20 focus Zur Frage: Wie hat sich die Schule in den vergangen vierzig Jahren verändert und entwickelt, haben Elisabeth Fessler, Brigitte Pfister, Rita Britschgi, Günther Bauer und Hansruedi Höfliger (v.l.n.r.) einiges zu berichten und vermögen dazu auch noch zu strahlen. Schule heute und damals VIErZIG JAhrE SchulDIEnSt: SIE StEllEn DEn VErGlEIch An tExt//Fabienne Feichtinger____Wer, wenn nicht lehrpersonen, die seit über vierzig Jahren im Schuldienst sind, könnten uns besser über die unterschiede der Schule, wie sie einst war und heute ist, berichten. Elisabeth Fessler, Brigitte Pfister, rita Britschgi, Günther Bauer und hansruedi höfliger haben sich zu dieser Frage ausgetauscht und Spannendes festgehalten.
«Die Kinder haben heute eine andere Beziehung zur lehrperson. Die Beziehung lehrer–Schüler ist enger geworden.» Die runde der lehrpersonen, die seit vierzig Jahren und mehr in der <strong>Gemeinde</strong> <strong>Freienbach</strong> und anderswo tätig ist, ist nicht vollständig. Dennoch fällt es Elisabeth Fessler aus Pfäffikon, Brigitte Pfister aus Bäch, rita Britschgi, hansruedi höfliger und Günther Bauer aus Wilen nicht schwer, ins Gespräch zu kommen. Vor vierzig Jahren waren Klassengrössen von 28 und mehr Kindern an der tagesordnung, heute bewegt sich die Durchschnittsklassengrösse in der <strong>Gemeinde</strong>schule <strong>Freienbach</strong> bei 16. Der Kontakt zu den Kindern, so die lehrpersonen, sei damit viel intensiver möglich geworden. Brigitte Pfister: «Die Kinder haben heute eine andere Beziehung zur lehrperson. Die Beziehung lehrer–Schüler ist enger geworden. Früher hat man schon mal ein sehr stilles Kind vergessen können, heute ist das nicht mehr möglich. Eine gewisse Distanz ist verloren gegangen.» Der Verlust der Langsamkeit Während früher die lehrpersonen noch mit der Schnapsmatrize und der Walze die Kopien für den unterricht machten, stehen heute der Kopierer und die Drucker bereit. Dadurch ist der unterricht jedoch nicht einfacher geworden, im Gegenteil. hansruedi höfliger: «Früher hatten wir für die unterrichtsthemen viel mehr Zeit. heute werden die themen schnell abgehandelt. Die Schüler wissen daher viel und doch wenig. Vor allem die schwächeren Schüler kommen dadurch auch zu wenig zum üben.» Alle lehrpersonen stellen fest, dass der unterricht viel sprachlastiger geworden ist, und dass im Gegensatz zu früher, im Fach Mensch & umwelt weniger Erlebnisunterricht stattfindet. nicht selten besuchte man die Väter der Kinder an ihrem Arbeitsort, beispielsweise in der Schreinerei oder auf dem Bauernhof. Früher wussten die Kinder noch genau, was ihre Väter beruflich machen, heute haben sie kaum noch eine Vorstellung davon. Obwohl die leistungserwartung gestiegen und der lernstoff in der Schule mehr geworden ist, stellen die lehrpersonen fest, dass die Konzentration und die Ausdauer der Schülerinnen und Schüler gesunken ist. Früher, so sind sich alle einig, konnte man von den Kindern in der Arbeitshaltung mehr erwarten. heute wüssten sie viel mehr, aber sie seien emotional und sozial weniger belastbar. Vom Einzelkämpfer zum Teammitglied nicht nur der unterricht hat sich verändert auch die rolle der lehrperson hat sich in den vergangen vierzig Jahren enorm gewandelt. Früher waren lehrer eher Einzelkämpfer im Klassenzimmer, heute hingegen nehmen die teamarbeit und die Schulentwicklung einen nicht unbedeutenden Anteil der Arbeit einer lehrperson ein. Dass die Schulzimmertüren heute offen sind, erleben die fünf lehrpersonen als Vorteil für ihre Arbeit. Der Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen ist zwar zeitaufwendig, spart jedoch ressourcen andernorts. So können die lehrpersonen beispielsweise gegenseitig von ihren unterrichtsvorbereitungen profitieren. Verfügt ein lehrer auf einem bestimmten Gebiet über ein ganz besonderes Fachwissen, so erfährt das ganze team dadurch einen Gewinn. Der lehrer als Einzelkämpfer ist aus unseren Breitengraden fast verschwunden. Verändert hat sich jedoch auch der Männeranteil in der Primarschule. Als die fünf lehrpersonen in der Schule angefangen haben, war der Anteil der männlichen lehrer viel höher als der von Frauen. heute ist es genau umgekehrt und das bedauern alle, denn für die Buben in unserer Schule wären mehr männliche Bezugspersonen sehr wichtig. Veränderter Umgang mit Material Elsabeth Fessler: «Als ich angefangen habe im lehrerberuf, gab es noch keine Pausenaufsicht. In den lehrbüchern waren noch die Bücherzettel, darauf hat man gesehen, wer ein Buch vorher benutzt hat. heute gibt es diese Zettel nicht mehr. Jeder hat sein eigenes Buch und Sorge tragen ist nur im rahmen der Eigenverantwortlichkeit ein thema. Ich finde, der umgang der Schüler mit Material hat sich enorm verändert. Kleider, die in der Schule liegen gelassen werden, werden nicht mehr abgeholt und niemand fragt mehr danach. Das war früher anders.» Stark verändert hat sich auch die Zusammenarbeit mit den Eltern. Früher hat höchstens ein Elternabend stattgefunden und wenn es keine Probleme gab, dann sah man die Eltern nie in der Schule. rita Britschgi: «Ich denke, das Vertrauen der Eltern in die Schule war früher grösser. Mit der Wertevielfalt hat sich das gewandelt. lehrer und Eltern haben zum teil nicht mehr die gleichen Werte, die sie hoch halten und das gibt Anlass zu Gesprächen.» Früher, so meinen alle lehrpersonen, haben Eltern ihre Erziehungsverantwortung verstärkter wahrgenommen. Wenn eine lehrperson beispielsweise vor vierzig Jahren die Eltern über einen kritischen Vorfall 21 in der Schule informiert hat, haben die Eltern die lehrperson gestützt. Im Gegensatz zu heute, wo nicht selten die lehrpersonen, wenn ein Schüler Schwierigkeiten hat, von den Eltern dafür verantwortlich gemacht werden. Dabei wäre es genau im Bereich der Sozial- und Selbstkompetenz wichtig, dass lehrpersonen und Eltern am gleichen Strick ziehen. Die Kinder sind Persönlichkeiten Die Schule von heute ist viel differenzierter geworden. Günther Bauer: «Die Kinder sind Persönlichkeiten, sie getrauen sich auch zu widersprechen. Der Frontalunterricht, in welchem alle gleichzeitig immer das Gleiche machen, ist zum teilen durch individuellere unterrichtsformen ersetzt worden und die Kinder geniessen es, dass nicht alle die gleiche Zielsetzung haben und an den gleichen themen arbeiten.» Günther Bauer gerät ins Staunen, wie weit gereist seine Schülerinnen und Schüler heute schon sind. Da sei es klar, so Bauer, dass diese immer viel zu erzählen hätten, auch von Dingen, die der lehrer selbst noch nie gesehen hat. Die lebensart der Eltern wirkt sich auch auf die Schule aus. Dabei stellen unsere lehrpersonen fest, dass es heute für die Schülerinnen und Schüler nichts neues ist, auf die Malediven zu reisen, der Gang auf den Etzel jedoch eine horizonterweiterung bedeuten kann. «Kinder dürfen heute allzu oft nicht mehr Kind sein.» rita Britschgi beurteilt das tempo, in dem die Kinder heute den lernstoff in der Schule bewältigen müssen, kritisch. und auch die Freizeitgestaltung der Schüler hat sich stark verändert. Früher sind die Kinder nach der Schule nach hause zum draussen Spielen gegangen und haben noch genügend Zeit für fantasievolle, selbstgesteuerte Freizeitgestaltung gehabt. heute sind die Kinder schon weitgehend auch in der Freizeit verplant. niemand will noch eine lange Weile haben, um sich wirklich zu erholen und Gelerntes auch zu verarbeiten. nicht zuletzt, so meinen alle lehrpersonen, wirkt sich die Schnelllebigkeit der Gesellschaft deutlich auf das lernen der Kinder und auf die Schule aus.