Stalin Eine neue Welt
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schaffen, dass wir, wenn wir einen von ihnen auf einer Versammlung vor uns hatten, uns nicht<br />
versagen konnten, ihm nach besten Kräften mit Worten und vor allem mit Argumenten „ad<br />
hominem“ (Persönlich beleidigend.) eins auszuwischen! <strong>Stalin</strong> liebte die Kampfesweise nicht.<br />
Grobe, beleidigende Ausdrücke waren eine Waffe, deren Gebrauch er sich versagte. Höchstens<br />
kam es einmal vor, dass er, nachdem er alle seine Argumente vorgebracht und einem Widersacher<br />
in scharfer Diskussion den Mund gestopft hatte, ihm wie einen Pfeil eine kaukasische Redensart<br />
nachschleuderte, wie: „Du bist doch so ein Prachtkerl; was kneifst du vor solchen Windbeuteln, wie<br />
wir es sind?“ Der Beruf des illegalen Agitators, des Berufsrevolutionärs, den er wie viele andere<br />
gewählt hatte, ist ein schlimmer Beruf. Man wird vogelfrei, immer gehetzt von der Polizei, den<br />
ganzen Staatsapparat auf den Fersen: Freiwild für den Zaren und seine zahllose gut genährte,<br />
robuste, bis an die Zähne bewaffnete Meute. Man ist wie ein Verbannter, der provisorisch<br />
freigelassen ist, immer gespannt, immer auf der Lauer, Man ist der winzige Revolutionär, fast einsam in der<br />
Menge, mit herablassendem Unverständnis behandelt von den „gescheiten Leuten“, untergehend in dem<br />
gewaltigen Kapitalismus, der die Länder von einem Pol zum anderen umklammert hält (nicht nur die 180<br />
Millionen Untertanen des Zaren, sondern alle Lebewesen auf dieser Erde). Man ist der, der mit ein paar<br />
Freunden das alles ändern will. Man taucht auf, bald hier, bald da, um Zorn zu säen und die Köpfe<br />
aufzuwiegeln, und man hat nichts als seine Überzeugung und seine Stimme, um die Völker in Bewegung zu<br />
bringen. Dieser Beruf, bei dem scharf umrissen am Ende jedes Weges, den man nimmt, das Gefängnis,<br />
Sibirien, der Galgen stehen - er ist nicht für alle und jeden geschaffen. Man braucht dazu eine<br />
unerschütterliche Gesundheit im Dienste einer unwiderstehlichen Energie, eine fast unbegrenzte<br />
Arbeitsfähigkeit. Man muss überall der Erste, der Beste sein - aber im verborgenen -, muss von einer<br />
Tätigkeit zur anderen überspringen können, muss zu fasten und mit den Zähnen zu klappern verstehen, muss<br />
es fertig bringen, sich nicht kriegen zu lassen, und zu entspringen, wenn man doch gefasst wird. Man muss<br />
sich lieber ein glühendes Eisen unter die Haut jagen oder sich die Zähne einschlagen lassen, als einen<br />
Namen oder eine Adresse von sich geben. Das Herz, das man hat, es gehört der Sache; unmöglich, es<br />
anderen Dingen zu widmen. Man ist zu gewiss, von da wieder fortgerissen zu werden, wo man ist. Man hat<br />
keine freie Zeit, kein Geld. Und das ist nicht alles. Man muss die Hoffnung im Leibe tragen, in den<br />
düstersten Momenten, in den schlimmsten Niederlagen nicht müde werden, an den Sieg zu glauben. Aber<br />
auch das genügt noch nicht. Man muss vor allem klar sehen und wissen, was man will. Das ist die Waffe,<br />
die der Marxismus den Revolutionären in die Hand gibt und die diesen <strong>neue</strong>n Menschen solche Macht über<br />
das Geschehen gibt (und ihnen erlaubt und schon erlaubt hat, so richtig in die Zukunft zu sehen). Früher<br />
genügte es, alles in allem, tapfer zu sein, wenn man eine revolutionäre Aktion zum Erfolg führen wollte - zu<br />
zeitweisem Erfolg wenigstens, denn ein dauerhafter ist schon eine schwierigere Sache ... Blasen Ibanez,<br />
diese liebenswürdige und generöse Attrappe von einem großen Mann, gestand mir einmal mit einem tiefen<br />
Seufzer seine Verzweiflung darüber, dass die Zeiten, wo es genügte mit einer kleinen, entschlossenen<br />
Gruppe auf die Straße zu gehen, um die Macht zu erobern, vorüber seien. Heute gäbe es Maschinengewehre,<br />
und die Barrikaden seien wie aus Karton. Das Metier sei verdorben, und was ihn beträfe, so habe er den<br />
Geschmack daran verloren. Ja, heute gibt es Maschinengewehre. Aber nicht nur aus diesem Grunde ist das<br />
alte Revolutionslibretto, das früher einmal realistisch war, jetzt romantisch geworden und gehört in die<br />
Rumpelkammer. Heute handelt es sich um Revolutionen von anderen Maßen und anderen Ausdehnungen,<br />
als es die politischen Sketches waren, die bisher so oft in den Regierungspalästen eine Tafelrunde an die<br />
Stelle der anderen gesetzt haben, ohne im übrigen irgend etwas wirklich zu ändern, außer höchstens die<br />
Aushängeschilder. Das Interesse der Allgemeinheit, das heute aus den Tiefen nach oben drängt, fordert<br />
heute wahrlich andere Maßnahmen. Der Marxismus leuchtet in die Tiefen und erhellt die verschlungenen<br />
Gesetze der großen, unaufhaltsamen Umwälzungen, die sich in der heutigen Gesellschaft vorbereiten, und er<br />
zeigt sicher die Regeln, nach denen man ihnen zum Durchbruch verhelfen kann. Der Marxismus, das ist<br />
nicht, wie so viele (die ihn nicht kennen) glauben möchten, ein Sammelsurium von verschiedenen<br />
Grundsätzen oder Geboten, die man auswendig lernt, wie eine Grammatik oder einen Koran. Er ist eine<br />
Methode. Und sie ist im Grunde einfach. Sie ist die Methode des vollkommenen Realismus, die<br />
Umschaltung und Lenkung aller Ideen, das Vortreiben aller Anstrengungen zu dem festen Fundament, den<br />
konkreten Stützen, dem tragenden Gerippe hinweg über allen Mystizismus, den religiösen oder spekulativen,<br />
über alle Gespensterzüge und Sprünge ins Leere. Keine Ideen oder Formeln, die in der Luft hängen, als ob<br />
sie sich dort allein halten könnten. Karl Marx ist der Riese unter den Denkern, der Moderne, der die Nebel<br />
vom Himmel des Gedankens wegblasen konnte. Seine Methode führt uns immer zurück bis auf die