Stalin Eine neue Welt
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<strong>Eine</strong> verzweifelte Gewitterstimmung lag über den Truppen. Die Rote Armee der Republik war auf der<br />
entscheidenden Linie: Kursk-Orel-Tula geschlagen. Der Ostflügel trat tatenlos auf der Stelle. Was war zu<br />
tun? Es gab einen Operationsplan, den der Oberste Kriegsrat im September des Vorjahres aufgestellt hatte.<br />
Der Plan sah eine große Offensive auf dem linken Flügel, von Zarizyn aus über Noworossisk durch die Dons<br />
steppen vor. <strong>Stalin</strong> stellte zunächst fest, dass dieser Plan seit September unverändert geblieben war: „Die<br />
Offensive muss durch die Gruppe Korin durchgeführt werden mit dem Ziel, den Feind am Don und Kuban<br />
zu vernichten.“ <strong>Stalin</strong> studiert den Plan, durchdenkt ihn, begutachtet ihn und ist der Meinung, dass er nichts<br />
taugt. Dass er nichts mehr taugt. Er war gut vor zwei Monaten, aber die Verhältnisse haben sich geändert.<br />
Man muss etwas anderes finden. <strong>Stalin</strong> sieht es und schickt <strong>neue</strong> Vorschläge an Lenin. Lesen wir diesen<br />
Brief, dieses historische Dokument, welches ebenso sehr die Lage an der riesigen Südfront wie den<br />
entschlossenen Klarblick des Mannes beleuchtet, der ihn geschrieben hat: „Vor zwei Monaten war der<br />
Oberste Rat im Prinzip damit einverstanden, dass der Hauptangriff von Westen nach Osten durch das<br />
Donezbecken geführt werden sollte. Wenn dieser Plan nicht durchgeführt worden ist, so infolge der <strong>neue</strong>n<br />
Lage, die durch den Rückzug der Truppen aus dem Süden während des Sommers, d. h. durch eine spontane<br />
Umgruppierung der Südwestfront entstanden ist, Diese Umgruppierung brachte einen großen Zeitverlust, der<br />
Denikin zugute kam. Aber jetzt ist die Lage und mit ihr die Dislokation der Truppen eine vollkommen<br />
andere. Die VIII. Armee (eine der Hauptkräfte der alten Südfront) ist vorgerückt und steht vor dem<br />
Donezbecken. Budjonnys Reiterarmee (eine andere Hauptkraft) ist ebenfalls vorgerückt. <strong>Eine</strong> <strong>neue</strong> Kraft ist<br />
dazugekommen: die lettische Division, die in einem Monat nach ihrer Reorganisation wieder eine<br />
Bedrohung für Denikin darstellen wird... Wer zwingt den Obersten Rat, den alten Plan beizubehalten? Das<br />
kann nur der verstockte, verworrene und für die Republik äußerst gefährliche Fraktionsgeist sein, der im<br />
Obersten Rat von dem ‚Oberstrategen’ (Anspielung auf Trotzki.) kultiviert wird. Vor einiger Zeit hat der<br />
Oberste Rat Korin Direktiven gegeben, durch die Donsteppen auf Noworossisk vorzurücken, d. h. auf einem<br />
Weg, der sich vielleicht für unsere Flieger eignet, aber auf dem man unmöglich unsere Infanterie und<br />
Artillerie vorwärts bringen kann. Es ist ein Kinderspiel, zu zeigen, dass dieser unsinnige Vormarsch durch<br />
feindlich gestimmtes Gebiet auf völlig unwegsamen Straßen zu einer vollkommenen Katastrophe zu werden<br />
droht. Es ist leicht zu verstehen, dass dieser Marsch durch die Kosakendörfer, wie es schon vor kurzem<br />
geschehen ist, die Kosaken zur Verteidigung ihrer Dörfer gegen uns auf die Seite Denikins treiben muss und<br />
Denikin unvermeidlich Gelegenheit geben wird, sich als Retter des Don aufzuspielen, d. h. nur der Stärkung<br />
Denikins dienen kann. Aus diesem Grunde muss sofort, ohne eine Minute zu verlieren, der alte, in der Praxis<br />
schon überholte Plan aufgegeben und durch den einer zentralen Attacke auf Rostow über Charkow und das<br />
Donezbecken ersetzt werden. Auf diese Weise werden wir uns erstens nicht nur nicht in einem uns<br />
feindlichen Gebiet befinden, sondern im Gegenteil in einem mit uns sympathisierenden, was unseren<br />
Vormarsch erleichtert. Zweitens werden wir eine für uns wichtige Eisenbahnlinie (Donezlinie) und den<br />
Haupttransportweg für die Verpflegung Denikins, die Linie Woronesh-Rostow, in die Hand bekommen.<br />
Drittens werden wir die Armee Denikins in zwei Teile spalten, von denen der eine, die ‚Freiwilligen’, mit<br />
Machno zu tun haben wird, und werden die Etappe der Kosakenarmee bedrohen. Viertens bekommen wir<br />
die Möglichkeit, die Kosaken in Gegensatz zu Denikin zu bringen: wenn wir erfolgreich vorstoßen, wird<br />
Denikin versuchen, die Kosaken nach Westen zu treiben, was diese in ihrer Mehrzahl verweigern werden.<br />
Fünftens bekommen wir Kohle, während Denikin ohne sie bleibt. Man muss diesen Plan ohne Zögern<br />
annehmen ... Zusammenfassend: der alte, von den Ereignissen schon überholte Plan darf auf keinen Fall<br />
wieder aufgenommen werden. Das wäre eine Gefahr für die Republik, das würde die Position Denikins<br />
bestimmt stärken. Man muss einen anderen Plan aufstellen. Die Bedingungen und Umstände sind nicht nur<br />
reif dafür, sondern sie fordern auch gebieterisch eine solche Änderung... Andernfalls hat meine Tätigkeit an<br />
der Südfront keinen Sinn mehr, sie wird verbrecherisch, unnütz. Das gibt mir das Recht, oder macht es<br />
vielmehr für mich zur Pflicht, anderswohin zu gehen, gleichgültig wohin, selbst zum Teufel, aber nicht hier<br />
zubleiben. Ihr <strong>Stalin</strong>.“ Das Zentralkomitee nahm den Plan <strong>Stalin</strong>s ohne Zögern an. Lenin sandte dem<br />
Generalstab der Südfront den eigenhändigen Befehl, die früher gegebenen Anweisungen aufzuhalten. Die<br />
Hauptoffensive wurde in der Richtung Charkow-Donezbecken-Rostow geführt. Man weiß, was dann kam.<br />
Die Armeen Denikins wurden ans Schwarze Meer getrieben. Die Ukraine und der Nordkaukasus wurden<br />
von den weißen Garden befreit. Die Revolution gewann den Bürgerkrieg. Die stets so schnellen und so<br />
umfassenden Erfolge <strong>Stalin</strong>s muten fast wie Wunder an. Wunderbar und ganz außenordentlich ist tatsächlich<br />
eine so vollkommene Vereinigung aller schöpferischen Elemente des Realismus - im Gedanken und in der<br />
Aktion - bei einem einzigen Menschen. Der wahre Realpolitiker muss den scharfen Blick für<br />
Unterscheidungen besitzen, muss den Mut haben auszusprechen, dass der längste Weg manchmal der<br />
kürzeste ist, und muss die Macht besitzen, den Gang der Dinge auf die notwendige Bahn zu zwingen. <strong>Eine</strong>s