Stalin Eine neue Welt
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Sibirien den Tuberkulösen nicht tötet, bringt es ihm radikale Heilung. Ein Mittelding gibt es nicht: die Kälte<br />
bringt mal so, mal so - den Mann um oder die Krankheit. Er war noch im Gefängnis, 1903, als er eine große<br />
Neuigkeit erfuhr: auf dem 2. Kongress der Sozialdemokratischen Russischen Arbeiterpartei war auf<br />
Initiative Lenins die Frage einer Spaltung zwischen Bolschewiki und Menschewiki aufgetaucht. Die<br />
Bolschewiki - die unbeugsamen, unbeirrbaren Klassenkämpfer, Männer aus Eisen. Die Menschewiki - die<br />
Reformisten, die Anpasser, die Spezialisten für Kompromisse und Schiebungen. Die Menschewiki waren<br />
erbost über die Bolschewiki, die ihren Standpunkt absichtlich zu überspitzem schienen. Die Spaltung stand<br />
auf der Tagesordnung, man musste wählen. - Die Macht des Zarismus und die Verfolgungen waren auf<br />
ihrem Höhepunkt, die kapitalistische Misswirtschaft in voller Blüte, noch waren die Dinge nicht so weit<br />
gediehen wie kurz darauf. Aber <strong>Stalin</strong> schwankte nicht: er wählte die Bolschewiki. Er entschied sich für<br />
Lenin. Es gibt im Leben jedes Kämpfers immer Augenblicke, wo er einen Entschluss dieser Art fassen muss,<br />
der dann sein ganzes weiteres Leben bestimmt. Man denkt an die große Sage der alten Griechen von<br />
Herkules, der sich zu Beginn seiner Laufbahn als Gott und Kraftmensch zwischen Tugend und Laster<br />
entscheiden musste. Gab es in diesem Fall nicht auch Für und Wider? Der Reformismus ist verführerisch. Er<br />
gibt sich vorsichtig und klug und behauptet, unnötiges Blutvergießen zu ersparen. Diejenigen, die weit in die<br />
Zukunft sehen und wissen, was für Lösegeld die Logik verlangt, diejenigen, die die Arithmetik der<br />
Gesellschaft kennen und die geschichtliche Erfahrung in ihrer ganzen Ausdehnung beherrschen - sie wissen,<br />
was auf dem Wege des opportunistischen Verzichtes und der reformistischen Unterwürfigkeit in der Zukunft<br />
liegt: erst schöne Gaukelbilder, dann Fallen und schließlich der Verrat. Sie wissen, dass es der Weg der<br />
Zerstörung und des Gemetzels ist. Nuancenfragen, sagen die Oberflächlichen. Nein! Das sind Grundfragen,<br />
Fragen auf Leben und Tod, denn der Minimalismus (den man auch „das kleinere Übel“ nennt) ist<br />
konservativ. Kobi (ein anderer seiner Namen) ist also zum ersten Male aus der Verbannung entflohen. Von<br />
diesem Augenblick an tauchen in Abständen schnuppernd, jagend, bald hier, bald dort, in Transkaukasien<br />
und Rußland, Gendarmenabteilungen auf, die ihn suchen, ihn fassen und sich von <strong>neue</strong>m auf die Suche nach<br />
ihm machen müssen. So geschah es sechsmal, die Fälle, die man vergessen hat, nicht eingerechnet. Nach<br />
seiner Flucht nahm unser Kobi den Kampf gegen die georgischen Menschewiki auf. „In den Jahren 1904<br />
und 1905“, schreibt Ordshonikidse, „war Kobi für die Menschewiki der bestgehasste aller kaukasischen<br />
Bolschewiki. Für diese wurde er nun anerkannten Führer.“ <strong>Eine</strong>s Tages ruft ihm ein Arbeiter von Olibadse<br />
zu: „Aber schließlich, zum Donnerwetter, haben die Menschewiki doch die Mehrheit in der Partei, Genosse<br />
Sosso!“ Und dieser Arbeiter erinnert sich heute noch sehr gut an die Antwort von Sosso: „Die Mehrheit?<br />
Aber nicht die Mehrheit der Qualität. Wart’ nur ein paar Jahre, und du wirst sehen, wer recht und wer<br />
unrecht hat.“ Und alle Parteigenossen, die diese Periode im Kaukasus mitgemacht haben, erinnern sich noch,<br />
wie außer sich die Häupter der Menschewiki wie NÖ Ramishwili oder Seide Diwdariani jedesmal waren,<br />
wenn sie erfuhren, dass der „Berufsrevolutionär“ Koba als Opponent in eine ihrer Versammlungen kommen<br />
sollte, um „ihr friedliches Leben zu stören“ Bubnow hat kürzlich sehr richtig und einleuchtend geschrieben:<br />
„Die russischen Bolschewiki waren in der glücklichen Lage, fünfzehn. Jahre lang einen systematischen und<br />
intensiven Kampf gegen die Abweichungen nach rechts und nach links führen zu können, lange Zeit vor der<br />
Revolution. Sie haben sich damit in der Folgezeit ebensoviel Missgriffe erspart, und der revolutionäre<br />
Fortschritt hat dadurch gewonnen, dass die Partei ihre Linie schon erprobt und ihren Standpunkt in reiflicher<br />
Überlegung durch das Studium der Theorie und vor allem durch eine vernünftige Taktik festgelegt und<br />
geprüft hatte.“<br />
Wir kennen das Wort Napoleons: „Wenn man unrecht hat, muss man hartnäckig sein, dann bekommt man<br />
schließlich recht.“ Der Satz ist amüsant und nicht ohne einen gewissen pittoresken artistisch-literarischen<br />
Beigeschmack. Aber (ich bitte die Künstler um Verzeihung) er ist grundfalsch. Nichts kann bestehen, was<br />
nicht mit der Wirklichkeit der Dinge und ihrem Entwicklungsstand in Einklang steht. Das Gegenteil<br />
behaupten heißt, sich die immensen Irrtümer zu eigen machen, von denen der Kapitalismus lebt. Und an<br />
deren Unverdaulichkeit er stirbt (bestes Beispiel: die Magenverstimmung von Versailles). So war es<br />
notwendig, zu gleicher Zeit die Anarchisten zu bekämpfen und die Sozialrevolutionäre (ihre<br />
Zwillingsbrüder), und die Nationalisten, die nicht weiter sahen als ihre nationale Nase; man musste die<br />
Menschewiki bekämpfen in Tiflis, in Batum, in Tschiatura, in Kutais, in Baku. Im Jahre 1905 redigierte<br />
<strong>Stalin</strong> unter anderem die illegale bolschewistische Zeitung „Proletarischer Kampf“ und schrieb in<br />
georgischer Sprache eine Arbeit „Einiges über die Parteidifferenzen“. „Oho, der Autor sitzt fest im Sattel?“<br />
sagte nach einer öffentlichen Vorlesung der Broschüre Teophil Tschitschua zu Donidse, der diese<br />
Bemerkung bis heute nicht vergessen hat. Unter <strong>Stalin</strong>s Einfluss gewinnt die Arbeiterbewegung an Breite.