Stalin Eine neue Welt
Stalin Eine neue Welt
Stalin Eine neue Welt
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
9<br />
Kampf (als Angelegenheit der Arbeiter) und dem politischen Kampf (als Angelegenheit aller<br />
demokratischen Elemente). Lenin machte es sich zur Aufgabe, die Einheit zu schmieden und diese<br />
sozialdemokratische Partei, die seit 1898 nur formell bestand, wirklich zu gründen. Er hatte mit<br />
dieser Arbeit Erfolg, in einer Zeit, wo ringsum wilde Reaktion tobte, das Herdenvolk aller Reußen<br />
ein wahres Sklavendasein führte, die Romanows ihre barbarische Herrschaft ausübten, und die von<br />
den untersten bis zu den höchsten Stellen korrumpierten und entarteten Herren dieses<br />
Riesengefängnisses die öffentlichen Gelder in der phantastischsten Weise vergeudeten. Die<br />
Epoche, wo es dem Marxismus gelang, die verschiedenen Richtungen und Strömungen der<br />
russischen Revolution innerhalb und außerhalb des Landes zu disziplinieren, ist ungefähr dieselbe<br />
wie die, mit der wir uns vorhin beschäftigten. Es war im Jahre 1897, dass Joseph Wissarionowitsch<br />
Dshugaschwili den marxistischen Studienzirkel im Seminar von Tiflis leitete und, wie Sandro<br />
Mirabischwili erzählt, den Schlafsaal in ein zweites Seminar verwandelte. Das Tifliser Seminar<br />
war, wie alle seinesgleichen, eine qualifizierte Brutstätte des Dunkelmännertums und der<br />
Vergiftung mit Traditionen und war überdies von niederträchtigen Verwaltern geleitet. ...Wir waren<br />
einem erniedrigenden Regime, despotischen Methoden unterworfen. Bespitzelung war in diesem<br />
Haus an der Tagesordnung. Um 9 Uhr rief uns die Glocke zum Frühstück. Man ging ins<br />
Refektorium, und wenn man zurückkam, stellte man fest, dass während des Essens eine<br />
Durchsuchung stattgefunden hatte und unsere Schränke von oben bis unten durchwühlt waren...<br />
Trotz alledem - und gerade deswegen - war das Seminar ein „Herd <strong>neue</strong>r Ideen“, denn diese Dinge<br />
schufen, was man auch tun mochte, Keime von Unzufriedenheit und Protesten. Es bildeten sich<br />
Gruppen von Aufsässigen, die sich nicht fügen wollten, und die ihre Gedanken natürlich in den<br />
Winkeln im Flüstertone zum Ausdruck brachten. Unter diesen Gruppen gab es eine nationalistische<br />
(Georgien muss eine unabhängige Nation werden!), eine volkstümlerische (Nieder mit den<br />
Tyrannen!) und eine internationalistisch-marxistische.<br />
Dieser letzteren trat Joseph oder vielmehr Sosso Dshugaschwili, von ihren Ideen heftig angezogen,<br />
bei. Wie sah er aus? Als Kind war er klein, zart, von kühnem, beinahe etwas frechem Aussehen und<br />
trug den Kopf immer hoch erhoben. Später, als er mit den Jahren aufgeschossen war, erschien er<br />
ziemlich gebrechlich und zart: das Gesicht eines sehr verfeinerten Intellektuellen, dichtes,<br />
borstiges, tintenschwarzes Haar. Seine jugendliche Magerkeit ließ das georgische Oval seines<br />
Gesichts und das etwas längliche Auge seiner Rasse noch stärker in Erscheinung treten. Zu jener<br />
Zeit stellte der junge Kämpfer eine interessante, weil sehr vollkommene Mischung von Arbeiter<br />
und Intellektuellem dar. Nicht sehr groß, schmale Schultern, längliches Gesicht, ein feiner Bart,<br />
etwas schwere Augenlider, eine schmale und gerade Nase, auf den üppigen schwarzen Haaren die<br />
flache Mütze, ein wenig zur Seite geschoben - so stellte er sich damals dar, dieser Eroberer der<br />
Massen, dieser <strong>Welt</strong>umstürzer. Seitdem hat das Gesicht <strong>Stalin</strong>s endgültig feste Formen<br />
angenommen, und besonders heute, wo das immer noch starre, zu einer Bürste geschorene Haar<br />
leicht ergraut ist, ist man versucht zu glauben, dass seine Züge noch proletarischer. ja militärisch<br />
geworden sind - vielleicht zum Teil, weil man der Suggestion seiner Kleidung unterliegt. Aber man<br />
kann nicht sagen, dass er sich viel verändert hat, eher, dass man jetzt die Energie und die<br />
kämpferische Kraft, die dieses Antlitz auch früher zeigte, stärker erkennt. Denn wenn ein Mensch<br />
sich im Grunde seines Wesens nicht geändert hat, so ist er es. Schon in der Zeit, vor etwa 35<br />
Jahren, in der er für Ketskoweli „ein guter Kerl“ war, erkannte man ihn an der Sauberkeit seiner<br />
Ausdrucksweise. Dieser eigentümliche junge Mann hasste alle Phrasen. Er war das Gegenteil von<br />
denjenigen, die mit volltönenden Reden und kühn in die Luft gezeichneten Gesten nach vielen<br />
Effekten haschten. „Knappheit, Klarheit und Exaktheit waren seine kennzeichnenden Merkmale.“<br />
Zum Unglück für seine Ruhe studierte er in dem Tifliser Seminar im geheimen<br />
naturwissenschaftliche und soziologische Bücher. Er trug das geschriebene Gift exakter Kenntnisse<br />
in dieses Haus der frommen Denkart. Die Herren des Hauses entdeckten diesen Skandal. Der Drang<br />
zum wirklichen Lernen war unvereinbar mit den reinen Traditionen des Seminars: der junge Sosso<br />
wurde als „politisch unsicheres Element“ relegiert. „Er ging, ohne sieh umzusehen, geradewegs zu