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Stalin Eine neue Welt

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und seiner Ideenwelt, und man kann sagen, dass er schon gewählt hatte, bevor er wählte. Es gab niemals<br />

Meinungsverschiedenheiten zwischen Lenin und <strong>Stalin</strong>. Dafür hatten sie beide heftige Gegner innerhalb der<br />

Partei, an erster Stelle Trotzki, den überzeugten und redegewandten Menschewiken, der der Meinung war,<br />

dass die starre Prinzipientreue der Bolschewiki die Partei zur Unfruchtbarkeit verurteile. Trotzki<br />

beschuldigte Lenin der Fraktionsmacherei und der Spaltung der Arbeiterklasse. Lenin, der Agitator und<br />

universelle Staatsmann, fast ein Übermensch durch die Unfehlbarkeit, mit der er unter allen Umständen und<br />

allseitig die Theorie mit der revolutionären Praxis verband, war ein orthodoxer Marxist. Der Leninismus ist<br />

exakter Marxismus. Er ist ein <strong>neue</strong>s Kapitel des Marxismus, kein Anhang: er ist die Anwendung, die<br />

Spezialisierung des Marxismus in einer <strong>neue</strong>n Lage.<br />

<strong>Stalin</strong> hat geschrieben: „Der Leninismus ist der Marxismus der Epoche des Imperialismus und der<br />

proletarischen Revolutionen.“ „<strong>Eine</strong> lakonische und gefeilte Definition“, wie Manuilski sagt. Der<br />

Leninismus ist die präzise Antwort des Marxismus auf die <strong>neue</strong> Epoche. Lenin hat niemals etwas an dem<br />

großen grundlegenden Credo des Sozialismus geändert, das in dem Kommunistischen Manifest von 1848<br />

niedergelegt ist. Lenin und Marx sind zwei konzentrische Persönlichkeiten, die sich in dem Kreis bewegt<br />

haben, den der ältere von ihnen gezogen hat. Das schöpferische Genie Lenins kam in der Umwandlung der<br />

sozialistischen Lehre in die sozialistische Revolution (und später in die sozialistische Ordnung) zum<br />

Ausdruck. <strong>Eine</strong> jede realistische Theorie ist biegsam, denn sie richtet sich nach dem Leben aus. Aber sie ist<br />

biegsam an ihrem äußersten Ende, nicht an der Basis; biegsam dort, wo die Umstände eine Rolle spielen,<br />

nicht dort, wo es um Grundsätze geht die ihrerseits übrigens ursprünglich eine ideale Synthese der<br />

Wirklichkeit sind), Das unbeirrbare Festhalten an diesen Grundsätzen, ihre Verteidigung gegen den leisesten<br />

Versuch sie zu modifizieren, wird zu einem der am hartnäckigsten von <strong>Stalin</strong> verfolgten Ziele. Man kann es<br />

nicht oft genug sagen: Bei all seinem explosiven Fortschrittsdrang zwingt der Bolschewismus durchaus<br />

nicht, immer und überall automatisch die äußersten Mittel anzuwenden. Es gibt bestimmte Umstände, unter<br />

denen die mechanische Anwendung übertriebener Mittel die Gefahr mit sich bringt, dass man über das Ziel<br />

hinausschießt, die schon ‘erreichten Resultate in Frage stellt und schließlich die Sache der Revolution<br />

zurückdrängt, anstatt sie vorwärtszutreiben. Die Schlussfolgerung daraus: Sich nicht blind auf einen vorher<br />

bestimmten ewigen Linkskurs festlegen. „An der Spitze marschieren“ hat nicht diesen Sinn. In den Händen<br />

derer, die zu verwirklichen haben, muss die Lehre sich mit der sich wandelnden Wirklichkeit vermählen; die<br />

Verwirklichung ist also eine ständige Anpassung, ein ständiges Erfinden. Als typisches Beispiel für diese<br />

organische Gelenkigkeit der marxistischen Theorie und Praxis, für dieses Kardangetriebe, mag folgendes<br />

dienen: Von der Idee besessen, dass, um eine proletarische Revolution in einem Agrarland wie Rußland<br />

festen Fuß fassen zu lassen, die Arbeiter sich im sozialen Kampf mit den Bauern verbünden müssen, und<br />

nachdem er im Jahre 1894 die Grundziele des Sozialismus in der Agrarfrage unter den Bauern<br />

(Konfiszierung und Nationalisierung der großen Güter) propagiert hatte, steckt Lenin das Ziel zurück; als er<br />

sich, sechs Jahre später, zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder an die Bauern wandte. Inzwischen war die<br />

Idee der Revolution herangereift (1905 wurde sie zur Wirklichkeit), und die Bauernfrage, die Lenin in einer<br />

meisterhaften und tiefen Untersuchung studiert hatte, und die die Sozialdemokraten vernachlässigt hatten<br />

(nach Lenins Meinung ein ungeheurer, unverzeihlicher politischer Fehler), wurde äußerst brennend: würden<br />

die 25 Millionen Bauernhöfe in der revolutionären Bewegung mitmachen oder neutral bleiben? Im Jahre<br />

1900 verfasste Lenin ein <strong>neue</strong>s Agrarprogramm, in dem er in erster Linie betonte, dass die russische<br />

Bauernschaft, geschichtlich und selbst gegenüber der Gesamtentwicklung des Landes stark zurückgeblieben,<br />

nicht so sehr unter dem kapitalistischen System zu leiden hatte als unter dem feudalen System, das das Land<br />

bedrückte, trotz der finsteren Komödie der Abschaffung der Leibeigenschaft (ja sogar infolge der ruinösen<br />

und erpresserischen Maßnahmen, die die demagogische Geste Alexander II. mit sich brachte). Unter diesen<br />

Umständen beschränkte sich das Bauernprogramm Lenins von 1900 darauf, die Abschaffung der<br />

Feudalrechte, unter denen die Bauernschaft noch litt, und die Rückerstattung der Geldsummen zu fordern,<br />

die den Bauern mit der Verpflichtung, das belastete Land zu kaufen, durch skandalöse Wucherpreise<br />

erpresst worden waren. So führte Lenin, getrieben von den Erfordernissen des nah bevorstehenden Kampfes,<br />

die nächstliegenden Argumente ins Feld, die imstande waren, breite Kreise der Bauernschaft unmittelbar zu<br />

berühren. Er verfolgte dabei das Ziel einer möglichsten Annäherung und der eventuellen Zusammenarbeit<br />

von Arbeitern und Bauern in dem ersten Akt des revolutionären Dramas: dem Kampf um die Macht. In<br />

dieser Phase stellte er sich in der Agrarfrage nur auf diesen ersten Akt ein und nicht auf den letzten, nämlich<br />

auf die Organisation der <strong>neue</strong>n Gesellschaft, die erst für später auf der Tagesordnung stand. Das ist<br />

Marxismus. Es kommt alles darauf an, weit genug in die Zukunft zu blicken, vorauszusehen und im<br />

richtigen Augenblick zu handeln, nie die Gesamtheit der gegebenen und sich oft scheinbar

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