Jahresbericht 1990 - Eawag-Empa Library
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teilweise oder ganz kompensieren. Da diese Funktion des Interstitials vor 40 Jahren noch kaum bekannt<br />
war, konnte Allen sie in seinen Berechnungen auch nicht berücksichtigen. Dies führte zu einem weiteren systematischen<br />
Fehler, der den paradoxen Befund Allens mindestens teilweise erklärt, indem damit dessen<br />
Besiedlungswerte für das Zoobenthos zu klein wurden.<br />
Der Lebensraum "Fliessgewässer" ist nicht auf das fliessende Wasser begrenzt; er besitzt weitgehend offene<br />
Systemgrenzen. Er umfasst auch die tieferen Bereiche der Flußsohle (Interstitial) und das unmittelbar<br />
angrenzende Umland. Der Energiebedarf des Systems wird oft zu einem wesentlichen Teil durch "Fremdenergie"<br />
aus benachbarten Ökosystemen gedeckt.<br />
Heterogenität: Ein Hauptmerkmal der Fliessgewässer<br />
Für die Erstellung von Stoff- oder Energiebilanzen ist es nötig, dass die einzelnen funktionellen Einheiten<br />
eines Systems quantitativ bekannt sind, um damit die jeweils "repräsentativen Mittelwerte" (auf die das<br />
Ökoystem nach der Theorie eingespielt ist) berechnen zu können. A ber schon die Erfüllung dieser auf den<br />
ersten Blick trivial erscheinenden Bedingung erweist sich als äusserst schwierig, weil die ausgesprochen<br />
geklumpte (kontagiöse) Verteilung der Tiere und Pflanzen und die zeitliCh heterogene Besiedlung der Gewässersohle<br />
die Mess- oder Zähldaten in der Grössenordnung des Mittelwertes streuen lässt. Das Problem<br />
lässt sich daher auch nicht einfach durch eine Verbesserung der Probenahme- und AuswerteteChniken lösen,<br />
denn die Streuung spiegelt lediglich die typische Heterogenität des Systems wider und ist nur zu einem<br />
geringen Anteil mit dem Fehlerau erklären, der durch den Probenahmevorgang entsteht. So streuen<br />
die Daten einer Untersuchung, welChe mit einer sehr präzisen und aufwendigen Technik (Core-Freezing)<br />
erhoben wurden (Eglin, <strong>1990</strong>), kaum weniger, als wenn der vergleichsweise einfache, weltweit verwendete<br />
"Surber-Sampler" eingesetzt wird (z.B. Frutiger, 1983). AuCh Proben, die in den verschiedenen Teillebensräumen<br />
getrennt erhoben werden, helfen kaum weiter, denn erstens findet man selbst bei ähnlichen Habitaten<br />
grosse Unterschiede der Besiedlung, zweitens stehen die einzelnen Habitate miteinander in Verbindung<br />
(z.B. durch die Bewegungsaktivität der Tiere) und dürfen daher nicht wie isolierte Inseln behandelt<br />
werden und drittens ist die Besiedlung auch zeitlich enorm heterogen. Die Ursache des Problems liegt<br />
wohl eher im niCht systemkonformen Ansatz der Untersuchungen (der auf den "repräsentativen Mittelwert"<br />
ausgerichtet ist), als im unpassenden methodischen Vorgehen und es stellt sich somit die Frage, wie<br />
wichtig Mittelwerte für die Funktion der benthischen Biozönose überhaupt sind. Auch tritt die Gefahr<br />
auf, dass mit einer Probenahme, die darauf ausgelegt ist, die Streuung zu minimieren und einen "repräsentativen<br />
Mittelwert" zu finden, eine wesentliche Information, nämlich diejenige ü ber die zeitliche und<br />
räumliche Heterogenität verloren geht.<br />
Für die ökologische Bedeutung der Heterogenität spricht auch folgende Tatsache: Natürliche Fliessgewässer<br />
sind alles andere als "ordentlich". Sie weisen eine unregelmässige Linienführung, "ausgefranste"<br />
Ufer, Hinterwasser, Überschwemmungsbereiche etc. auf; tote Baumstämme u.ä. behindern den Abfluss. Da<br />
alle diese Strukturen zu einem mosaikartigen Muster verschiedenster Bedingungen führen, können derartige<br />
Gewässer von einer Vielzahl verschiedener Tiere besiedelt werden. Bei verbauten Gewässern dagegen,<br />
deren Heterogenität viel geringer ist (befestigte Ufer und Sohle, gerade Linienführung, hydraulisch leistungsfähiger<br />
Gerinnequerschnitt etc.), findet man eine verarmte Biozönose, welche sich überdies nicht aus<br />
hochspezialisierten Arten zusammensetzt, sondern von wenigen anspruchslosen "Generalisten" dominiert<br />
wird (Beutler, 1991).<br />
Hochwasser mit Geschiebetrieb<br />
Ein wiChtiger Faktor, der ein mögliches Gleichgewicht des Systems immer wieder stört und daher für die<br />
Tiere und Pflanzen an der Gewässersohle eine besondere Bedeutung hat, ist das Abflussregime. Bei hohen<br />
Abflussmengen gerät die Flußsohle in Bewegung. Durch den Geschiebetrieb wird das Sediment zu einer<br />
Kugelmühle und für die Organismen damit zu einer extremen Bedrohung. Eine Population, die nicht in der<br />
Lage ist, der Wirkung des Geschiebetriebs zu entgehen, wird sehr bald aus dem Gewässer eliminiert. Das<br />
Abflussregime übt somit auf die Arten einen sehr starken Selektionsdruck aus, welcher sie zu einer weitgehenden<br />
Anpassung zwingt.<br />
Wenn der Abfluss stark von der Jahreszeit abhängt (d.h. Hochwasser treten fast nur im Sommer bzw. im<br />
Winter auf), ist die für die Tiere gefährliche Phase relativ gut zu prognostizieren. Die Arten können siCh<br />
darauf einstellen, indem sie ihren Entwicklungszyklus mit dem Abflussregime synchronisieren und die für<br />
sie gefährliche Periode in einen möglichst robusten Stadium (oft als Ei tief im Sediment) überdauern.