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Thesis - RWTH Aachen University

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Bedeutung für das Rheinland kaum zu unterschätzen ist, gab es andere – beispielsweise<br />

August Reichensperger und Julius Lessing – die sich mit der Goldschmiedekunst ausei-<br />

nandergesetzt haben. 96 Somit ist das bei Bock erwähnte Phänomen der Fertigung von<br />

Arbeiten mit Hilfe von Gipsabgüssen als Fragment einer niemals als Einheit geschriebe-<br />

nen und nicht existenten Kunsttheorie zum Entwurf und zur Herstellung von Gold-<br />

schmiedearbeiten zu verstehen. Jede Kunsttheorie impliziert Momente der Normativität;<br />

geht man davon aus, daß die beste Theorie immer die ist, die mit maximaler Anschau-<br />

lichkeit operiert, so sind die Gipsabdrücke didaktisch besonders effizient, da sie – im<br />

Gegensatz zur zeichnerischen Wiedergabe, die der Bestimmung der Ikonographie oder<br />

des Themas genügt – die für das Relief typische Plastizität wiederzugeben vermag. Die<br />

Gipsmodelle boten dem Kunsthandwerker die Möglichkeit, sich ein Repertoire muster-<br />

gültiger Objekte in die Werkstatt zu holen. Ebenso bedeutsam waren die Gipse darüber<br />

hinaus als Muster für potentielle Auftraggeber, da der Kunde die anschaulichen Fragmente<br />

theoretisch nach Wahl kombinieren konnte. 97<br />

Zudem wurden Werke zeitgenössischer Kunsthandwerker in die Schausammlungen in-<br />

tegriert. Als mustergültige Objekte wurden sie dem Betrachter einerseits als Dokumen-<br />

tation der Leistungsfähigkeit des Kunstgewerbes präsentiert 98 , andererseits avancierten<br />

sie nun ihrerseits zu Vorbildern. 99 Daran zeigt sich der januskopfartige Charakter der<br />

Vorlagen, den schon die oben formulierte Definition impliziert.<br />

96 Die Goldschmiede entwickelten selbst keine Theorie. Sie äußerten sich zu praktischen Problemen. Die<br />

wenigen Beiträge sind im OfchrK publiziert. Vgl. z. B. Leonhard Schwann: Praktische Betrachtungen<br />

eines Goldschmiedes. In: OfchrK 5/1855, S. 180, 181 und S. 192–194. Gabriel Hermeling: Über die Behandlung<br />

alter reparaturbedürftiger Edelmetallgefäße. In: ZfchrK 2/1889, S. 21–22.<br />

97 Die Bedeutung der Gipsvorlagen läßt sich auch an der Tatsache ablesen, daß die Gipsabdrücke selbst<br />

unter den ausgestellten Stücken zeitgenössischer Kunsthandwerker ihren Platz hatten. Vgl. dazu die Auflistung<br />

der Ausstellungsobjekte beispielsweise von Martin Vogeno in der Mechelner Ausstellung 1864.<br />

Kat. Mecheln 1864, S. 189.<br />

98 Bei Ankäufen galt das Interesse im Allgemeinen kunsthandwerklichen, handgefertigten Unikaten. –<br />

Nicht ohne Grund wiesen verschiedene Goldschmiede des 19. Jahrhunderts immer wieder darauf hin, daß<br />

ihre Arbeiten handgefertigt seien. Offensichtlich handelte es sich bei dem Verzicht auf die maschinelle<br />

Fertigung um ein Qualitätsmerkmal. Dafür sprechen ebenso die zahlreich in Katalogen erwähnten Hinweise<br />

auf echte Handarbeit wie die Tatsache, daß maschinell gefertigte Serienprodukte kaum Eingang in die<br />

Museen ihrer Zeit fanden. Zu den wenigen Vertretern, die Serienprodukte für ihre Sammlungen erwarben,<br />

gehörten z. B. Julius Lessing in Berlin, Jakob Falke in Wien und Justus Brinckmann in Hamburg. Vgl.<br />

dazu Mundt 1990, S. 384.<br />

99 Barbara Mundt legte dar, daß die Aufnahme der Werke der eigenen Zeit, also des 19. Jahrhunderts, den<br />

Plagiaten Vorschub leisteten. Ferner stellte sie fest, daß die Integration jener mustergültigen Objekte des<br />

19. Jahrhunderts in die Schausammlungen gerade vor dem Hintergrund der den Kunstgewerbemuseen<br />

zugrunde liegenden Idee der Vorbildersammlung anfechtbar sei. Am alten Kunsthandwerk könne der<br />

moderne Mensch die Möglichkeiten der Gestaltung studieren. Sie bediente sich der Worte Julius Lessings<br />

(Lessing war von der Gründung des Deutschen Gewerbe-Museums bis 1908 Direktor der Berliner Institution),<br />

der feststellte, daß kein Stück einer früheren Periode unverändert in die eigene Zeit übernommen<br />

werden könne, da es den Grundbedingungen der Technik, des Materials und der Funktion der eigenen Zeit<br />

angepaßt werden müsse. In diesem Sinne sei die Orientierung an Vorbildern als schöpferischer Akt zu

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