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Thesis - RWTH Aachen University

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44<br />

in deutscher Gotik gewonnen hatte. Mit seiner 1858 publizierten Schrift Remarks on<br />

Secular and Domestic Architecture wollte Scott den Beweis erbringen, dass die Gotik<br />

für den Profan- wie den Kirchenbau seiner Zeit geeignet sei. 194 Einen neogotischen<br />

Profanbau entwarf unter Beteiligung von Pugin 195 der Reichensperger ebenfalls gut<br />

bekannte Charles Barry (1795–1860) für das Londoner Parlamentsgebäude. Für seine<br />

Konzeption war die Gotik als nationaler Stil ebenso ausschlaggebend wie eine<br />

harmonische Einbettung des Baus in seine Umgebung. 196 An dem 1836 angenommenen<br />

Entwurf entbrannte mit Beginn der Bauzeit 1839/40 die Debatte um die Frage der<br />

neuzeitlichen Verwendung des gotischen Stils. Reichensperger bemerkte, dass „darob<br />

ein gewaltiger Lärm [entstand], dessen Echo sich lange Zeit hindurch auf unserem<br />

Continente vernehmen ließ.“ 197 Für ihn, der – anders als Bock – den gotischen Stil als<br />

den einzig wahren betrachtete, war das Parlamentsgebäude „Wendepunkt auf dem<br />

Gebiete der Profan=Architektur“ 198 . Deutschland habe aus neuerer Zeit nichts auch nur<br />

annähernd Vergleichbares aufzuweisen. 199<br />

War Reichenspergers Interesse in erster Linie auf die Bewahrung mittelalterlicher<br />

Bauwerke ausgerichtet 200 und setzte er sich besonders für den gotischen Stil ein, so galt<br />

das gleichermaßen für das Kunstgewerbe. Er fertigte Entwürfe für kirchliches Silber in<br />

gotischem Stil an und propagierte seine Positionen vor einer breiten Öffentlichkeit. In<br />

194<br />

Wie sehr sich Scott dem gotischen Stil verpflichtet sah, zeigt seine Reaktion auf den Wunsch Lord<br />

Palmerstons, Scott möge die neuen Regierungsgebäude in Whitehall im Neorenaissance-Stil errichten.<br />

Scott selbst zeigte sich darüber tief verletzt. Pevsner/Honour/Fleming 1992. S. 527 f. – Scott reichte einen<br />

Entwurf für den Berliner Reichstag ein. Reichensperger vertrat die Auffassung, daß es sich um den<br />

einzigen Plan handele, der „in würdiger und im Wesentlichen zugleich zweckentsprechender Weise [...]<br />

das Gepräge ächter, nationaler Kunst an sich [trage]; .... bei weitem die meisten Entwürfe forderten nicht<br />

einmal die Kritik heraus.“ Reichensperger 1877, S. 72. Umgesetzt wurde der der Neorennaissance<br />

verpflichtete Plan Paul Wallots.<br />

195<br />

Die bereits von Reichensperger 1877, S. 53 f., diskutierte und ungeklärte Frage, inwieweit Pugin am<br />

Bau des Parlaments beteiligt war, vermochte auch Zeitler nicht zu klären. Er räumte jedoch ein, daß vor<br />

dem Hintergrund der vielfach zitierten Äußerung Pugins “Alles griechisch, Sir, Tudorstil-Dekor an<br />

klassischem Baukörper“ der Grundriß Barry, das architektonische Detail hingegen Pugin zuzuschreiben<br />

sei.. Zeitler 1985, S. 323.<br />

196<br />

In der Ausschreibung des Wettbewerbs wurde zur Bedingung gemacht, was bis dahin nur für den<br />

Sakralbau galt: Der Neubau sollte gotisch oder elisabethanisch sein. Ausschlaggebend für diesen Stil war<br />

einerseits die unmittelbare Nachbarschaft der altehrwürdigen Westminster-Abbey, andererseits die<br />

historische Tradition des Parlaments. Die Bezeichnung neogotisch ist insofern irreführend, als daß die<br />

historischen Motive der englischen Gotik des 16. Jahrhunderts entstammen.<br />

197<br />

Reichensperger 1877, S. 56.<br />

198<br />

Reichensperger 1877, S. 56.<br />

199<br />

Reichensperger 1877, S. 57. Neben den führenden Köpfen der englischen Neogotik-Vertreter<br />

verkehrte der Redakteur und spätere Parlamentarier mit Adolph-Napoléon Didron (1806–1867),<br />

Herausgeber der Annales archéologiques, dem er ebenfalls in Cheadle unter den geladenen Gästen<br />

begegnet war. Anerkennung und Wertschätzung des Juristen von internationaler Seite manifestieren sich<br />

zudem darin, daß Didron Reichensperger als Berichterstatter für seine Zeitschrift gewann<br />

(Reichensperger lieferte zwischen 1847 und 1858 zahlreiche Artikel für die Annales archéologiques) und<br />

daß Joseph Alberdingk Tijm, Herausgeber der niederländischen Zeitschrift Dietsche Warande, seine<br />

Schrift Over de Kompozitie in de Kunst Didron und Reichensperger widmete.<br />

200<br />

Becker 1985, S. 154–156.

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