Oemer 2000 OIN_Bd_6.pdf - ÖIN
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3.2.1.5 Autopoiese<br />
Der Begriff der Autopoiese (wörtlich „selbst machen“,<br />
Selbstproduktion, Selbsterneuerung) wurde von<br />
MATURANA und VARELA eingeführt und ist ein Lebensprinzip,<br />
das dem Phänomen der Selbstorganisation<br />
zugrundeliegt 1 . Autopoiese ist die Eigenschaft lebender<br />
Systeme, sich ständig selbst zu erneuern und diesen Prozess<br />
so zu regeln, dass die Integrität der Struktur gewahrt<br />
bleibt 2 . Sie bezeichnet „ein Netzwerk von Produktionsprozessen,<br />
in denen jeder Bestandteil die Funktion hat,<br />
sich an der Produktion oder Umwandlung anderer Bestandteile<br />
im Netzwerk zu beteiligen. Auf diese Weise ist<br />
das Gesamtsystem ständig damit befasst, ‘sich selbst zu<br />
machen’ bzw. sich selbst zu erzeugen. Es wird durch<br />
seine Bestandteile produziert und produziert wiederum<br />
diese Bestandteile“ 3 . In lebenden Netzwerken sind somit<br />
Sein und Tun untrennbar miteinander verbunden, was<br />
ihre spezifische Organisationsweise kennzeichnet – oder<br />
wie es CAPRA ausdrückt: „In einem lebenden System<br />
ist das Produkt seiner Operation seine eigene Organisation“<br />
4 .<br />
Wesentlich ist, dass ein autopoietisches Netzwerk nicht<br />
ein Muster von Beziehungen zwischen statischen Komponenten<br />
ist, sondern ein Muster von Beziehungen zwischen<br />
Produktionsprozessen von Komponenten. Wenn<br />
diese Prozesse aufhören, betrifft dies die gesamte Orga-<br />
nisation. Ein autopoietisches System muss sich also<br />
ständig regenerieren, um seine Organisation aufrechtzuerhalten.<br />
Dadurch wird seine zeitweise Existenz in einer<br />
bestimmten Struktur in Prozesse aufgelöst 5 . Ein stärker<br />
operational ausgerichteter Ansatz von ROTH untergliedert<br />
den Begriff „Autopoiese“ in die beiden Aspekte der<br />
Selbstherstellung und der Selbsterhaltung. Diese Gliederung<br />
beruht auf der Tatsache, dass es zwar eine Reihe<br />
selbstherstellender Systeme gibt, aber nur ein selbsterhaltendes<br />
System, nämlich Lebewesen 6 .<br />
Da alle Bestandteile eines autopoietischen Netzwerkes<br />
von anderen Bestandteilen im Netzwerk erzeugt werden,<br />
stellt das gesamte System eine geschlossene Organisation<br />
dar, auch wenn es in Hinblick auf den Energie-,<br />
Materie- und Informationsfluss offen ist. Daher ist eine<br />
Autonomie lebender Systeme insofern gegeben, als diese<br />
ihre Ordnung und ihr Verhalten systemintern selbst bestimmen<br />
und nicht vom Umfeld auferlegt bekommen.<br />
Daraus ergibt sich eine weitere Eigenschaft autopoietischer<br />
Organisationen, nämlich das Errichten einer Grenze,<br />
die die Domäne der Operationen des Netzwerkes bestimmt<br />
und die das System als eine Einheit definiert 7 .<br />
Das einfachste autopoietische System stellt die lebende<br />
Zelle dar, die sich im Wechselspiel von anabolischen (aufbauenden)<br />
und katabolischen (abbauenden) Reaktionsketten<br />
ständig erneuert und nicht über längere Zeit hindurch<br />
aus den gleichen Molekülen besteht. Jeder Zellbestandteil<br />
(Zellmembran, Zytoplasma, Zellkern, Ribosomen,<br />
Golgi-Apparat, Lysosomen, Mitochondrien, Chloroplasten)<br />
wirkt bei der Produktion oder Umwandlung<br />
anderer Komponenten mit. Mit der Zellmembran, die<br />
1 Siehe Capra, F.: Lebensnetz. Ein neues Verständnis unserer Welt ... S.193.<br />
2 Siehe Jantsch, E.: Die Selbstorganisation des Universums. Vom Urknall zum menschlichen Geist. München Wien 1992, S.33.<br />
3 Siehe ebenda, S.119. Immanuel Kant hat Organismen als autopoietische Ganzheiten beschrieben, deren Teile für und durch das Ganze<br />
existieren, während das Ganze für und durch die Teile besteht. Siehe Kauffman, S.: Der Öltropfen im Wasser. Chaos, Komplexität,<br />
Selbstorganisation in Natur und Gesellschaft. München Zürich 1996. S.402.<br />
4 Siehe Capra, F.: Lebensnetz. Ein neues Verständnis unserer Welt ... S.193.<br />
5 Siehe Jantsch, E.: Die Selbstorganisation des Universums ... S.193.<br />
6 Siehe Roth, G.: Selbstorganisation – Selbsterhaltung – Selbstreferentialität: Prinzipien der Organisation der Lebewesen und ihre Folgen<br />
für die Beziehung zwischen Organismus und Umwelt. In: Dress, A., Hendrichs, H. und G. Küppers (Hrsg.): Selbstorganisation. Die<br />
Entstehung von Ordnung in Natur und Gesellschaft. München 1986, S.149ff.<br />
7 Siehe Jantsch, E.: Die Selbstorganisation des Universums ... S.119 und 192f.<br />
Transformationsmodell Schriftenreihe 6<br />
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