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Ursprung und Ursprünglichkeit - Walter Peter Gerlach ...

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<strong>Peter</strong> <strong>Gerlach</strong>, <strong>Ursprung</strong><br />

zuvor getrennten Ausfallerscheinungen zur „Paranoia“ seit ihrer Definition 1883 durch den Berliner<br />

Privatdozenten Emanuel Mendel nach 1866 zu einem gehäuften Auftreten. Gegen das ihr unterstellte<br />

vorgeschichtliche oder überhistorische Substrat hatte Foucault bereits gegen die Frage nach dessen<br />

<strong>Ursprung</strong> die nach ihrer Genese gefordert. 26<br />

Vom <strong>Ursprung</strong> zur <strong>Ursprünglichkeit</strong> war's ein kurzer Sprung. Seitdem man die Frage nach der<br />

Realzeit zwischen dem historischen Zeitpunkt der Schöpfung <strong>und</strong> der Gegenwart stellte, verlängerte<br />

sich zunehmend die Zeitspanne zwischen der Gegenwart <strong>und</strong> diesem historischen <strong>Ursprung</strong> der Welt.<br />

Im Gegensatz zur heilsgewissen Nähe der Schöpfung <strong>und</strong> der Apokalypse im christlichen<br />

Weltverständnis verlangte dieses profanierte, naturwissenschaftlich f<strong>und</strong>ierte Verständnis der<br />

Historizität von Natur <strong>und</strong> Menschheit zugleich mit dieser Einsicht das Opfer an Bereitschaft zum<br />

Einlassen auf die beunruhigende Vorstellung, daß Anfang <strong>und</strong> Ende dieser Welt die individuelle<br />

biographische Lebensspanne unendlich weit übersteigen. Diese Dehnung des zeitlichen<br />

Verständnisses wird aufgehoben in seinem Gegenteil, aufgehoben in der Vorstellung, daß in der<br />

individuellen Entwicklung gleichsam im Zeitraffer die Entwicklungsgeschichte der Spezies Mensch<br />

vollständig reproduziert <strong>und</strong> damit vollständig durchlaufen würde. 27<br />

Was in der Morphologie der Physis dieser Entwicklungsgeschichte an Geltung verschafft wurde,<br />

konnte für die Konzeption der Psyche nicht ohne Folgen bleiben. Die Vorstellung von latenter Präsenz<br />

ursprünglicher Strukturen, die auch durch eine lebenslange Enkulturation nicht restlos ausgemerzt<br />

<strong>und</strong> zum Schweigen gebracht werden konnte, bestätigte die vorgebliche Gewißheit, daß auch der<br />

Anfang der Menschheit in der individuellen Psyche ständige Präsenz genieße <strong>und</strong> jederzeit unter der<br />

dünnen Kruste der kulturellen Bildung als Rohes <strong>und</strong> Wildes hervorgeholt werden könne. Diese<br />

rettende Einsicht hatte ihr Bedrohliches <strong>und</strong> ihr Beglückendes. Bedrohlich wurde sie in der<br />

Vorstellung von brutaler, instinktgeleiteter Roheit <strong>und</strong> Sexualität. Beglückend wurde die Vorstellung<br />

von der Möglichkeit zu natürlicher Unmittelbarkeit <strong>und</strong> paradiesischer Einheit mit der Natur.<br />

Diese <strong>Ursprünglichkeit</strong>s-Utopie faszinierte die kunsttheoretische Debatte der jüngeren Generation seit<br />

Nietzsche in ihrer Frage nach kreativer Potenz, den innerpsychischen Inspirationsquellen als<br />

verweigernde Resistenz gegenüber der unerbittlichen, als unerquicklich erfahrenen, bedrohlichen<br />

Entfaltung der technischen Zivilisation der modernen Industriegesellschaft.<br />

Im Gegensatz zu allen Formen des bürgerlich Genormten entstand ein Leitbild des Archaischen,<br />

Südseehaften oder Afrikanischen, das immer stärker ins Utopische tendiert. Statt sich von der<br />

Gesellschaft weiterhin widerspruchslos abrichten zu lassen, setzte eine Gruppe jüngerer Künstler den<br />

Bürokratisierungs- <strong>und</strong> Einengungstendenzen der modernen „Überzivilisation“ das Prinzip des<br />

„Primitiven“ entgegen. 28<br />

http://www.kunstserviceg.de/gerlach 6 von 13

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