Ursprung und Ursprünglichkeit - Walter Peter Gerlach ...
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<strong>Peter</strong> <strong>Gerlach</strong>, <strong>Ursprung</strong><br />
Daß z.B. Wilhelm Worringer sein Buch »Abstraktion <strong>und</strong> Einfühlung« von 1908 selber als einen<br />
Beitrag zur <strong>Ursprung</strong>sdebatte begriff, geht aus dem Vorwort zur Neuausgabe hervor: Es behandele<br />
Fragen der „Genesis menschlicher Kunsttätigkeit [...].” 29 Und die Wendung „<strong>Ursprung</strong>: [ist ein]<br />
praktischer Wunsch, das vergängliche Körperliche festzuhalten“ in einem Essay von Kandinsky 30<br />
verweist uns wieder auf den alten Topos der kunsttheoretischen Schriften. 31 Verwendet Kandinsky<br />
zwar den älteren Begriff, ist dennoch ersichtlich, daß er diesen im Sinne der Avantgarde der Moderne<br />
als individuell verfügbares „Ursprüngliches“ verstand. 32 Kasimir Edschmid schrieb über „die Künstler<br />
der neuen Bewegung“: „Es gab Gefühle darin <strong>und</strong> Menschen ... Sie sollten erfaßt werden im Kern <strong>und</strong><br />
im Ursprünglichen. Dafür bedurfte es einer Gestaltung der künstlerischen Welt...” 33<br />
Vorausgegangen war zudem eine Veränderung in der Orientierung der Archäologie. 1832 stellte<br />
Christian Jürgen Thomsen (Kopenhagen) die Unterscheidung von Steinzeit, Bronzezeit <strong>und</strong> Eisenzeit<br />
vor. Das führte durch die Veränderung der Grabungstechnik von dem Schliemannschen<br />
„Schatzsuchen“ (1870 -1876) zu einer entwickelten prähistorischen Chronologie, die sich nicht auf<br />
Schriftzeugnisse stützen konnte. 34 Gleichsam selbstverständlich blieben dennoch bildende Kunst <strong>und</strong><br />
Kultur generell in Eins gesetzt, da sich deren Einheit ausschließlich am Kultbild <strong>und</strong> der<br />
dazugehörigen Architektur optisch evident zu werden schien, faßlich beschreiben <strong>und</strong> nachzeichnen<br />
ließ.<br />
Mit erster Sicherheit konnte der Archäologe Adolph Michaelis 1906 konstatieren: „Das größte<br />
Aufsehen erregten die in den siebziger Jahren <strong>und</strong> wiederum in den neunziger Jahren in der Nähe<br />
von Schaffhausen gemachten F<strong>und</strong>e, z.B. die meisterhafte Darstellung eines äsenden Rentiers. Die<br />
Vollendung der Zeichnung erschien für jene Urzeit so unbegreiflich, daß ein - leider durch einige<br />
Fälschungen genährter - Verdacht gegen die Echtheit laut ward. Er verstummte bald. Neuere<br />
Entdeckungen in Frankreich haben jene Werke fast noch übertrumpft, <strong>und</strong> das Studium des<br />
Kunstsinnes <strong>und</strong> der Kunstleistungen bei wilden Völkern hat das in seiner Vereinzelung unbegreiflich<br />
Erscheinende als allgemeingültig nachgewiesen. Eine höchst primitive Kunststufe schließt<br />
keineswegs künstlerischen Blick <strong>und</strong> treffende Wiedergabe aus: eine für die Ursprünge der Kunst<br />
wertvolle Beobachtung.“ 35<br />
Selbst mit der Natur 36 verbündete sich die Argumentation fürs Ursprüngliche erneut im Resultat der<br />
Leonardo-Bellini Kontroverse um die freie Ausdeutung von Naturformen: In der Natur selber fänden<br />
sich jene biologischen Urzeichen (die Zufallsstrukturen unterschiedlichster Provenienz) künstlerischen<br />
Schaffens, die dem seiner kindlichen <strong>Ursprünglichkeit</strong> Entwachsenen immer noch unvermittelt zur<br />
Verfügung stünden. Mit Haeckels u.a. Entdeckung von „Kunstformen der Natur“ - als Photographien<br />
veröffentlicht - glaubte man, ein unerschöpfliches Reservoir erschlossen zu haben, das von den<br />
normierenden Kräften der modernen Gesellschaft unberührt, immer noch von den Zeiten vor dem<br />
Erscheinen des Menschen <strong>und</strong> seiner Kunst künde.<br />
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