1993 - Adalbert Stifter Gymnasium
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Dichterlesung und Werkstattgespräch am ASG<br />
Zum vierten Mal las am 27.4.93 Johanna Beringer vor Kollegiaten<br />
und Referendaren des ASG aus eigenen, teilweise noch unveröffentlichten<br />
Werken. Neben kurzen Prosatexten trug sie vor allem<br />
Gedichte unterschiedlicher sprachlicher und formaler Gestaltung<br />
vor. Geboten wurde "eine Portion" Mundart, aber auch "ein<br />
Häppchen" Hochdeutsch: Die Thematik entscheidet in jedem Falle<br />
die Diktion. Beiden Versionen gemeinsam war das "Markenzeichen":<br />
Problematisches wird unausweichlich angegangen, die Kritik<br />
aber bleibt verhalten, das lyrische Ich präsent und spürbar,<br />
doch unaufdringlich.<br />
Frau Beringers Lyrik steht in ihrer janusköpfigen Aktualität zwischen<br />
Perfekt und Futur. Sie greift das Augenblickliche auf, verdichtet<br />
die inneren Bezüge, erinnert, macht bwußt und weist den<br />
Weg. In distanzierter Sicht faßt sie das Wesentliche des Aktuellen,<br />
macht Flüchtigkeit zu Gültigkeit, das Abbild zum Sinnbild. Meist<br />
sind es nicht die spektakulären Schlagzeilen allgemeiner Entrüstung,<br />
die aufgegriffen werden, meist vielmehr die tolerierten Verhängnisse<br />
der Zeit, die zu denken geben: die Zunahme an Gleichgültigkeit,<br />
Egozentrik und Profiliersucht, der Verlust an Mitmenschlichkeit,<br />
Solidarität und Wertorientierung. Ein kurzes,<br />
aphoristisches Gedicht mag als Beispiel stehen:<br />
-63-<br />
Meßlatte<br />
Der Stellenwert des Künstlers<br />
wird an der Gage<br />
gemessen.<br />
Die Meßlatten sind nicht geeicht.<br />
Die Aussage bleibt apodiktisch. Gleichwohl fällt Beringers Lyrik<br />
nicht "ins Haus", sie kommt durch die "Hintertür". Darin wohl<br />
liegt ihre Wirksamkeit. Hier ist, um mit Helmut Arntzen, einem<br />
Meister des Aphorismus zu sprechen, "der Gedanke nicht zuhause,<br />
sondern auf dem Sprung."<br />
Dementsprechend lebhaft war die Reaktion der Kollegiaten, die in<br />
eingeschobenen und den Vortrag auflockernden Gesprächsrunden<br />
nicht nur nach dem rein Handwerklichen fragten, weit mehr nach<br />
dem Selbstverständnis, der Intention und der Weltsicht der Autorin.<br />
Nach den bereits erschienenen Lyrikbänden "De bucklate Welt",<br />
"Eini und dahinter gschaut" und "Nadelstiche" darf man auf eine<br />
weitere und wohl auch geplante Veröffentlichung der Dichterin<br />
gespannt sein.<br />
B. Paul