Mordbefehl und Todesmarsch. Das Hamelner Zuchthaus in den ...

Für die letzten Monate vor der Befreiung steht uns Rudi Goguel als Chronist der Ereignisse in
Hameln nicht mehr zur Verfügung. Er wird nach Sachsenhausen verschleppt. Von Hans
Bielefeld, der seit 1944 in Hameln einsitzt und die Befreiung des Zuchthauses durch die
Amerikaner erlebt, liegt aber ein weiterer Bericht vor.
Foto von Hans Bielefeld aus seiner Häftlingspersonalakte im Hauptstaatsarchiv Hannover
Hans Bielefeld 37 wurde 1909 in Berlin geboren, absolvierte seine Schulzeit in Hameln und
bestand hier 1927 auch das Abitur. Nach einem Lehramtsstudium ist er bis 1940 als
Hauslehrer und anschließend in einem Landschulheim tätig. Bielefeld steht dem
Nationalsozialismus gedanklich nahe; er ist seit 1933 Mitglied der Hitlerjugend.
1940 wird eine Beziehung zu einem Schüler bekannt. Bielefeld zeigt sich daraufhin selbst an,
wird verhaftet und verbringt elf schlimme Monate in Untersuchungshaft im Gerichtsgefängnis
in Hannover. Strenge Einzelhaft und das Verbot, die Kirche zu besuchen, waren üblich für
homosexuelle Häftlinge. Bielefeld ist Idealist; im Prozeß, der am 19. Januar 1941 stattfindet,
bekennt er sich offen zu seiner Homosexualität und kämpft gegen die Strafbarkeit der
Homosexualität. Bielefeld wird zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Mehrere Gnadengesuche
bleiben erfolglos. Im Sommer 1944 wird er schließlich in Hameln eingeliefert wird. Hier
erlebt Bielefeld das Chaos der letzten Monate. Das Kriegsende rettet ihm das Leben, denn es
war geplant, ihn nach seinem Strafende am 19. März 1945 in ein Konzentrationslager
einzuweisen. 38
Nach der Befreiung durch die Amerikaner bleibt Hans Bielefeld in Hameln. In seinem Beruf
als Lehrer zu arbeiten, blieb ihm wegen seiner Verurteilung verwehrt. Der Paragraph 175 gilt
in seiner in der NS-Zeit verschärften Form weiter. Außerdem hatte die lange Haft seine
Augen ruiniert. Er kämpft nun offen für die völlige Abschaffung des Paragraphen 175 und
schreibt ein Buch über seine Verfolgung und seine Haftzeit: „Durch das dunkelste
Abendland“. Vergeblich versucht er, für das Buch einen Verlag zu finden, gibt es schließlich
auf eigene Kosten im Selbstverlag heraus, schickt zahllose Exemplare an
Staatsanwaltschaften, Gerichte, juristische Fakultäten und Bundestagsabgeordnete und
handelt sich deswegen eine Anzeige der Staatsanwaltschaft Hannover wegen Verbreitung
unzüchtiger Schriften ein. Bielefeld erlebt eine polizeiliche Durchsuchung seiner Wohnung
und die Beschlagnahmung seines Buches.
Prompt bekommt er Probleme mit seiner Tätigkeit an der Volkshochschule Hameln, wo er in
den Jahren 1948 bis 1950 Kurse gibt. Ihm wird nahegelegt zu verschwinden; schließlich wird
37 Hoffschildt, Olivia, S. 135f.
38 Hoffschildt, mündlich.
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