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Mordbefehl und Todesmarsch. Das Hamelner Zuchthaus in den ...

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Zwei Tage hält der Beschuss <strong>in</strong>sgesamt an. Am Sonnabend, <strong>den</strong> 7. April, um 7 Uhr verlässt<br />

die Wehrmacht die Stadt; um 10 Uhr s<strong>in</strong>d die Amerikaner da. Der Tag der Befreiung ist da!<br />

„Bleiern kommt der Morgen herauf. Die Kellertür steht offen. Ke<strong>in</strong> Beamter davor <strong>und</strong> ke<strong>in</strong><br />

rasselndes Schlüsselb<strong>und</strong>. Wir s<strong>in</strong>d so e<strong>in</strong>geschüchtert, wir wagen uns kaum heraus. Wir s<strong>in</strong>d<br />

nicht mehr gewohnt, alle<strong>in</strong> zu gehen, ohne Aufsicht zu se<strong>in</strong>.<br />

Geschützdonner <strong>in</strong> der Ferne. Wie e<strong>in</strong> abziehendes Gewitter. E<strong>in</strong>zelne schwere <strong>und</strong> leichte<br />

MG.s hämmern noch <strong>in</strong> der Nähe. Auf der Flußuferseite hat e<strong>in</strong>e Granate e<strong>in</strong> großes Loch <strong>in</strong><br />

die Außenmauer gerissen. Alle Türen <strong>und</strong> Tore s<strong>in</strong>d offen.<br />

Gegen 9 Uhr übernimmt e<strong>in</strong>e amerikanische E<strong>in</strong>heit das Anstaltsgelände <strong>und</strong> stellt e<strong>in</strong>e Wache<br />

an der Außenpforte. Die Küche arbeitet wieder. <strong>Das</strong> Brot aus der Arrestzelle wird befreit <strong>und</strong><br />

verteilt. Drei Mann übernehmen die Kammer <strong>und</strong> geben Zivilzeug aus. - Und das alles<br />

geschieht mit e<strong>in</strong>er Diszipl<strong>in</strong>, die man diesem zusammengewürfelten Haufen von Hungern<strong>den</strong>,<br />

Frieren<strong>den</strong>, Verzweifeln<strong>den</strong> kaum zugetraut hätte.<br />

Viele von uns sterben <strong>in</strong> <strong>den</strong> folgen<strong>den</strong> Tagen noch an Typhus <strong>und</strong> Ruhr. Es fehlt an<br />

Medikamenten.<br />

Der amerikanische Polizeioffizier prüft gewissenhaft die Akten jedes e<strong>in</strong>zelnen<br />

Anstalts<strong>in</strong>sassen. Zuerst wer<strong>den</strong> sämtliche Ausländer entlassen <strong>und</strong> von der Unrra<br />

übernommen. Dann folgen die Deutschen. Von jedem e<strong>in</strong>zelnen wird genau ermittelt, wieviel<br />

Strafzeit er hatte <strong>und</strong> wann die Strafzeit beendet war oder ist. Fast alle wer<strong>den</strong><br />

entlassungsfähig bef<strong>und</strong>en. Nur solche Gefangene, die wegen schwerer Eigentums- oder<br />

Körperdelikte verurteilt wur<strong>den</strong> <strong>und</strong> noch e<strong>in</strong>e lange Strafzeit nachhaben, wer<strong>den</strong> festgehalten.<br />

Aber viele s<strong>in</strong>d gar nicht transportfähig. Sie wür<strong>den</strong> <strong>in</strong> der ungewohnten Freiheit auf ihrem<br />

Weg <strong>in</strong> die Heimat quer durch das Kampfgebiet umkommen.<br />

Es ist e<strong>in</strong> sonnenüberstrahlter Apriltag des Jahres 1945. Sechs Tage nach der Übergabe der<br />

Stadt. Da schließt sich h<strong>in</strong>ter mir die dunkle Pforte. Noch ist Krieg, noch ist das Lei<strong>den</strong><br />

tausendfach um uns her. Aber das warme Sonnenlicht fällt mächtig durch die Zweige der alten<br />

Bäume am Wall. Ich gehe durch die alten, lieben Straßen wie im Traum. Vor mir liegt der<br />

helle Tag.“ 49<br />

In <strong>den</strong> Wochen nach der Befreiung am 7. April wer<strong>den</strong> noch 55 Häftl<strong>in</strong>ge sterben.<br />

Der <strong>Todesmarsch</strong> nach Eschershausen<br />

Hans Bielefeld hatte für <strong>den</strong> Donnerstagmorgen <strong>den</strong> Abmarsch der Häftl<strong>in</strong>ge nach<br />

Eschershausen berichtet. Er schreibt:<br />

„Der Marsch nach Eschershausen war e<strong>in</strong> <strong>Todesmarsch</strong>. Von Eschershausen g<strong>in</strong>gs weiter<br />

lande<strong>in</strong> <strong>in</strong> Richtung Südharz, Thür<strong>in</strong>gen, Sachsen. Alles zu Fuß. E<strong>in</strong> Zug des Grauens durch<br />

W<strong>in</strong>terkälte <strong>und</strong> totes, ausgeblutetes Land. Wie wir später erfuhren, waren es nur wenige, die<br />

der Tod durch Hunger, Schwäche <strong>und</strong> Krankheit nicht erreichte.“ 50<br />

Es ist nun e<strong>in</strong> glücklicher Zufall, daß uns über diesen <strong>Todesmarsch</strong> e<strong>in</strong> recht umfangreicher<br />

<strong>und</strong> detaillierter Bericht e<strong>in</strong>es Teilnehmers vorliegt: „<strong>Das</strong> Endspiel. Tagebuchaufzeichnungen<br />

49 Bielefeld, S. 75f.<br />

50 Bielefeld, S. 71.<br />

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