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Mordbefehl und Todesmarsch. Das Hamelner Zuchthaus in den ...

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Wir passieren e<strong>in</strong> unleserliches Ortsschild. Noch acht Kilometer, sagen Kenner. Wir kommen<br />

durch Holzen. Nun noch fünf. Es geht bergauf. Der Regen fällt noch immer, <strong>und</strong> die Bäume<br />

tropfen. Vor uns stolpern dunkle Rücken. Der Haufen murmelt. Unten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Tal<br />

Lichtzeichen <strong>und</strong> Rufen, Kriegshandlungen? Dieser Tag wird uns nicht mehr die Freiheit<br />

br<strong>in</strong>gen. Wenn er uns nur zum Endziel br<strong>in</strong>gt, das Lager ‘Hecht’, mit e<strong>in</strong>em Dach über dem<br />

Kopf, dann ist es auch schon mehr als gut.“ 58<br />

„<strong>Das</strong> Lager... Am E<strong>in</strong>gang brennt e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Licht. Bei dem schwachen Sche<strong>in</strong> sehe ich l<strong>in</strong>ks<br />

<strong>und</strong> rechts Wachtmeister <strong>und</strong> Stacheldraht. Wir gehen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Baracke IIIB wird dort gerufen.<br />

Noch e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e Abquälerei durch e<strong>in</strong>en Schlammbrei, wie es ihn nirgendwo anders gibt,<br />

dann s<strong>in</strong>d wir zu Hause. <strong>Das</strong> Ziel ist erreicht. Wieder e<strong>in</strong>en Tag näher an der Befreiung.<br />

Etliche von uns wer<strong>den</strong> sie nicht mehr erleben. Den Hafen vor Augen sahen sie das Tageslicht<br />

zum letzten Mal. Sie ruhen nun an <strong>den</strong> Rändern der Wege, auf <strong>den</strong>en wir unsere 45 Kilometer<br />

liefen. Leichen, unversehrt, <strong>und</strong> solche mit Kugele<strong>in</strong>schüssen. ...<br />

In der Baracke sieht es gut aus. Da s<strong>in</strong>d Gestelle mit Strohsäcken, <strong>und</strong> außerdem brennt dort<br />

laut e<strong>in</strong> Ofen. Erst e<strong>in</strong>mal Decken <strong>und</strong> Kleider trocknen <strong>und</strong> dann <strong>in</strong>s Bett. Über das, was<br />

später kommt, kann man sich später Gedanken machen.“ 59<br />

Die erschöpften Männer verbr<strong>in</strong>gen <strong>den</strong> folgen<strong>den</strong> Tag im Lager.<br />

„<strong>Das</strong> Lager bietet im Tageslicht e<strong>in</strong>en jämmerlichen Anblick. Niedrige graue Baracken,<br />

dazwischen e<strong>in</strong> Platz. So schlammig, daß man sich fragt, wie es <strong>in</strong> der Welt nur so schäbig<br />

se<strong>in</strong> kann. Und es regnet immer weiter. ... Der Tag vergeht <strong>und</strong> es wird Abend. Wieder e<strong>in</strong><br />

Tag Gew<strong>in</strong>n!“ 60<br />

Immer noch ist die Angst groß, daß die SS die Männer erschießt. Der nächste Tag br<strong>in</strong>gt dann<br />

endlich die Befreiung durch die Amerikaner.<br />

„7. April, der große Tag, der Tag der Befreiung. Der Tag, dem wir uns fünf Jahre<br />

h<strong>in</strong>tere<strong>in</strong>ander je<strong>den</strong> Tag um e<strong>in</strong>en Tag näherten.“ 61<br />

„Dann gegen drei Uhr wird plötzlich laut <strong>in</strong> die Baracke h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geschrien: ‘Le drapeau blanc, le<br />

drapeau blanc’ - die weiße Fahne. Ich schieße aus me<strong>in</strong>em Bett heraus. Draußen steht e<strong>in</strong>e<br />

Menge, gestikuliert <strong>und</strong> redet wild durche<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> allen Sprachen Europas - e<strong>in</strong>e<br />

babylonische Sprachenverwirrung!<br />

Und ja - da hängt es... Oben am Flaggenmast e<strong>in</strong> Bettlaken. Es flattert im W<strong>in</strong>d, ab <strong>und</strong> zu<br />

knallt es kurz. ... So e<strong>in</strong> dummes, ganz normales <strong>und</strong> ganz weißes Bettlaken. Oben, ganz hoch<br />

an der Spitze des Flaggenmastes - <strong>und</strong> da s<strong>in</strong>d mächtige Flecken aus re<strong>in</strong>em Blau am Himmel<br />

<strong>in</strong>mitten von glänzen<strong>den</strong> Wolken - flattert es <strong>und</strong> spricht se<strong>in</strong>e Sprache.<br />

Wir rennen zum Tor, das wer weiß wie lange schon lang <strong>und</strong> breit offensteht. Sie stehen auf<br />

dem Betonweg vor der Verwaltungsbaracke. Dies s<strong>in</strong>d nun die Amerikaner. USA. Jeeps,<br />

große <strong>und</strong> kle<strong>in</strong>e Gefechtswagen, Lastautos <strong>und</strong> dar<strong>in</strong> die Kerle, die besten der ganzen Welt,<br />

unsere Befreier, lachend <strong>und</strong> geschoren <strong>und</strong> Kaugummi kauend <strong>und</strong> mit Zigaretten zwischen<br />

<strong>den</strong> F<strong>in</strong>gern <strong>und</strong> <strong>in</strong> ganz e<strong>in</strong>fachen Uniformen.“ 62<br />

58 Schort<strong>in</strong>ghuis, S. 211.<br />

59 Schort<strong>in</strong>ghuis, S. 211f.<br />

60 Schort<strong>in</strong>ghuis, S.212.<br />

61 Schort<strong>in</strong>ghuis, S. 212.<br />

62 Schort<strong>in</strong>ghuis, S. 214.<br />

24

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