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Mordbefehl und Todesmarsch. Das Hamelner Zuchthaus in den ...

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„Die Ruderboote <strong>und</strong> Motorboote s<strong>in</strong>d am Nachmittag alle an das Ostufer gebracht wor<strong>den</strong>.<br />

Der Ari-Beschuß kommt näher. Wir schauen wie gebannt auf die Uferstraße.“ 45<br />

Am Donnerstag, dem 5. April, wer<strong>den</strong> gegen 2 oder 3 Uhr morgens von der Wehrmacht die<br />

bei<strong>den</strong> <strong>Hamelner</strong> Weserbrücken gesprengt.<br />

„Gegen 2 Uhr früh wird die Weserbrücke gesprengt, e<strong>in</strong>e halbe St<strong>und</strong>e später die<br />

Eisenbahnbrücke. Die Fensterscheiben klirren, e<strong>in</strong> Hagel von Ste<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Eisenteilchen<br />

ergießt sich über das Anstaltsgelände. Dann ist es totenstill. Wie als ob e<strong>in</strong> furchtbares Untier<br />

Atem holt zu dem vernichten<strong>den</strong> Sprung.<br />

Unter dem Schutz der Dunkelheit hat der Amerikaner am l<strong>in</strong>ken Weserufer Stellung bezogen.<br />

Mit dem Anbruch der Dämmerung beg<strong>in</strong>nt die Schießerei. Die Stadt liegt unter dem Feuer der<br />

fe<strong>in</strong>dlichen Batterien. Die deutsche Abwehr ist schwach <strong>und</strong> unregelmäßig, <strong>und</strong> der<br />

Amerikaner operiert vorsichtig. Es ist wie e<strong>in</strong> Abtasten der beiderseitigen Stärkeverhältnisse.<br />

Der <strong>Zuchthaus</strong>bau liegt hart an der Weser <strong>und</strong> mit der Breitseite gegen die amerikanischen<br />

Stellungen. Wir haben uns an die Wand gekauert. Die da draußen können wenigstens<br />

kämpfen. Wir müssen hier hilflos wie die K<strong>in</strong>der sitzen <strong>und</strong> auf unser Schicksal warten.“ ...<br />

Am frühen Morgen hören wir „tumultartiges Stimmengewirr aus dem Innenhof <strong>und</strong> aus dem<br />

Kellergewölbe zu uns heraufdr<strong>in</strong>gen. Auf <strong>den</strong> Zellen <strong>und</strong> Sälen wird geschlossen.<br />

‘Alles raustreten! Decke mitnehmen! Im Innenhof antreten!’ An jeder Tür der gleiche,<br />

monotone Befehl. ‘Los, Tempo! Beeilung!’<br />

Im Osthof s<strong>in</strong>d H<strong>und</strong>erte von Männern angetreten. Dreckig, zerlumpt, aschgrau, vor Hunger<br />

<strong>und</strong> Kälte zitternd. E<strong>in</strong> eisiger Märzw<strong>in</strong>d schüttelt uns durch <strong>und</strong> durch. Über uns ziehn<br />

amerikanische Tagbomber nach Osten.<br />

In sechs großen Blocks stehen wir aufgeteilt. Zellenflügel, Ostflügel, Westflügel, Säle,<br />

Baracken, Betriebe. Unschlüssig schreiten die Wachmannschaften auf <strong>und</strong> ab. Da kommt<br />

plötzlich der Hauptwachmeister von vorn gerannt <strong>und</strong> <strong>in</strong>struiert se<strong>in</strong>e Kollegen. Dann wendet<br />

er sich zu uns:<br />

‘Herhören! <strong>Das</strong> <strong>Zuchthaus</strong> Hameln wird geräumt. Wir marschieren <strong>in</strong> geschlossener Abteilung<br />

nach Eschershausen. Verpflegung gibt’s unterwegs. Wer e<strong>in</strong>en Fluchtversuch unternimmt,<br />

wird sofort erschossen.’<br />

Die Wachtmannschaften s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>geteilt. Harte Kommandos gellen. Nur die Säle <strong>und</strong> der<br />

Zellenflügel stehen noch. Nasser, flockiger Märzschnee treibt uns <strong>in</strong>s Gesicht. Kriegen wir<br />

<strong>den</strong>n ke<strong>in</strong> Kommando? Nur noch vier Maschores s<strong>in</strong>d zu sehen.<br />

‘Los, schert euch auf die Zellen!’ brüllt der Haupt uns an. Und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Stimme liegt - ich<br />

weiß nicht - etwas von menschlichem Mitgefühl. Und dieser Befehl hat uns<br />

Zurückgebliebenen das Leben gerettet. Der Marsch nach Eschershausen war e<strong>in</strong> <strong>Todesmarsch</strong>.<br />

Von Eschershausen g<strong>in</strong>gs weiter lande<strong>in</strong> <strong>in</strong> Richtung Südharz, Thür<strong>in</strong>gen, Sachsen. Alles zu<br />

Fuß. E<strong>in</strong> Zug des Grauens durch W<strong>in</strong>terkälte <strong>und</strong> totes, ausgeblutetes Land. Wie wir später<br />

erfuhren, waren es nur wenige, die der Tod durch Hunger, Schwäche <strong>und</strong> Krankheit nicht<br />

erreichte.“ 46<br />

45 Bielefeld, S. 72.<br />

46 Bielefeld, S. 70f.<br />

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