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Mordbefehl und Todesmarsch. Das Hamelner Zuchthaus in den ...

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gehandelt. 99 Im Unterschied zu Krämer schenkt das Gericht Lauterbacher an diesem Punkt<br />

Glauben. Damit entfällt der Hauptpunkt der Anklage.<br />

Lauterbacher räumt e<strong>in</strong>, daß er die Freilassung der „Schwerverbrecher“ habe verh<strong>in</strong>dern<br />

wollen, aber niemals habe er <strong>den</strong> Befehl zu ihrer Tötung gegeben. Vielmehr habe er Krämer<br />

<strong>den</strong> Befehl gegeben, im Ernstfall die Gefangenen zurück marschieren zu lassen. Später wird<br />

Lauterbacher <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Autobiographie sogar 100 behaupten: „Ich mußte ... als<br />

Reichsverteidigungskommissar auch noch Fahrzeuge zur Verfügung stellen, um die ‘Herren’<br />

nach Thür<strong>in</strong>gen fahren zu lassen.“<br />

Krämer trat als Kronzeuge der Anklage auf. Er hatte e<strong>in</strong> massives Interesse daran,<br />

Lauterbacher als Hauptschuldigen h<strong>in</strong>zustellen. Eben dies dürfte auch die Position<br />

Lauterbachers gestärkt haben. Nur über Krämers Aussage hätte ihm e<strong>in</strong>e Schuld im S<strong>in</strong>ne der<br />

Anklage nachgewiesen wer<strong>den</strong> können. Lauterbacher wird auf Vorschlag der<br />

Anklagevertreter freigesprochen - <strong>in</strong> dubio pro reo. <strong>Das</strong> Urteil wird von <strong>den</strong> zahlreich<br />

anwesen<strong>den</strong> deutschen Zuhörern mit großer Unruhe <strong>und</strong> deutlichem Protest aufgenommen. 101<br />

„Gegen Lauterbacher waren nach Kriegsende <strong>in</strong>sgesamt acht Verfahren anhängig, von <strong>den</strong>en<br />

ke<strong>in</strong>es zur Verurteilung führte.“ 102 Die Autobiographie Lauterbachers, „Erlebt <strong>und</strong><br />

mitgestaltet. Kronzeuge e<strong>in</strong>er Epoche 1923 - 1945. Zu neuen Ufern nach Kriegsende“ 103 ist<br />

deswegen lesenswert, weil sie anschaulich vermittelt, mit welch unverfrorener Dreistigkeit<br />

99 Die Begründung Lauterbachers, viele dieser „Schwerverbrecher“ seien Rädelsführer von 1918 <strong>und</strong> e<strong>in</strong> 1918<br />

dürfe sich nicht wiederholen, weist darauf h<strong>in</strong>, daß es um die Ermordung politischer Gegner, also nicht<br />

Krim<strong>in</strong>eller, g<strong>in</strong>g.<br />

100 Erlebt <strong>und</strong> mitgestaltet, S. 318. Die ganze Passage lautet: „Nach me<strong>in</strong>em schweren Unfall im Dezember 1944<br />

stürzte ich mich im März „wieder <strong>in</strong> die Arbeit, veranstaltete sogar, im Auto liegend, Inspektionsreisen. Darunter<br />

war auch die bekannt gewor<strong>den</strong>e Reise an die Weser, von Hannoversch-Mün<strong>den</strong> bis nach M<strong>in</strong><strong>den</strong>. Da geschah<br />

die Kalamität <strong>in</strong> Hameln. Bei me<strong>in</strong>em Besuch <strong>in</strong> der Kreisleitung berichtete mir der kurz zuvor e<strong>in</strong>gesetzte<br />

kommissarische Kreisleiter, der Jahre bei Frank im Generalgouvernement gewesen war <strong>und</strong> <strong>in</strong> dieser Manier <strong>in</strong><br />

Hameln zu arbeiten versucht hatte, ganz aufgeregt, daß der <strong>Zuchthaus</strong>direktor von Hameln Anweisung habe, die<br />

knapp tausend Insassen zu entlassen. Es handelte sich um schwere <strong>und</strong> schwerste Fälle aus dem ganzen<br />

Oberlandesgerichtsbezirk Celle. ...<br />

Diese Affäre um das <strong>Zuchthaus</strong> Hameln sollte mich nach dem Kriege dann wieder e<strong>in</strong>holen. Damals, 1945, löste<br />

ich die D<strong>in</strong>ge, <strong>in</strong>dem ich per Fernschreiben <strong>den</strong> Führer, Bormann <strong>und</strong> <strong>den</strong> Reichsjustizm<strong>in</strong>ister Thierack bat, die<br />

Entlassung dieser Zuchthäusler, die ke<strong>in</strong>e politischen Häftl<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> schon gar nicht Kriegsgefangene, sondern<br />

samt <strong>und</strong> sonders sogenannte ‘schwere Jungs’ waren, zu unterb<strong>in</strong><strong>den</strong>. Dann kam die Weisung, ne<strong>in</strong>, entlassen<br />

wer<strong>den</strong> sie nicht, aber sie wer<strong>den</strong> auch nicht <strong>in</strong> Hameln bleiben, sondern müssen zurückgeführt wer<strong>den</strong>. Ich<br />

mußte also als Reichsverteidigungskommissar auch noch Fahrzeuge zur Verfügung stellen, um die ‘Herren’ nach<br />

Thür<strong>in</strong>gen fahren zu lassen.“<br />

101 HAZ vom 5. Juli 1946. Wörtlich heißt es <strong>in</strong> dem Bericht: „Die Stimmung der Warten<strong>den</strong> gab sich ... <strong>in</strong><br />

drastischen Zurufen k<strong>und</strong>, <strong>in</strong>sbesondere wünschten e<strong>in</strong>ige lei<strong>den</strong>schaftliche Raucher zu wissen, wo Lauterbacher<br />

die e<strong>in</strong>e Million Zigaretten gelassen habe, mit <strong>den</strong>en er sich erfolgreich <strong>in</strong> <strong>den</strong> Harz abgesetzt hatte. Auch sonst<br />

gab die Menge zu erkennen, daß sie es begrüßen würde, wenn gewisse andere Handlungen des Mannes, der mit<br />

der Parole ‘Lever dod as Slav!’ aus Hannover floh, vor e<strong>in</strong>em deutschen Gericht zur Sprache kämen.“<br />

102 Vgl. HAZ vom 11. 10. 1983; bei Buchholz, S. 180, Anm. 224.<br />

„Ende 1947 leitete die Staatsanwaltschaft Hannover gegen Hartmann Lauterbacher e<strong>in</strong> Ermittlungsverfahren<br />

wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit e<strong>in</strong>, das auf e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>gabe de ehemaligen hannoverschen<br />

Regierungspräsi<strong>den</strong>ten Rudolf Diels beruhte <strong>und</strong> Lauterbachers Beteiligung an der E<strong>in</strong>richtung der<br />

‘Ju<strong>den</strong>häuser’ zum Gegenstand hatte. Lauterbacher saß zu dieser Zeit im Internierungslager Sandbostel bei<br />

Bremervörde e<strong>in</strong>“, Buchholz, S. 180.<br />

Am 1. 2. 1948 flieht er aus Sandbostel. <strong>Das</strong> Verfahren gegen ihn wurde vorläufig e<strong>in</strong>gestellt; Buchholz, S. 181.<br />

Am 18. 2. 1959 stellt der Oberstaatsanwalt das Verfahren gegen Lauterbacher h<strong>in</strong>sichtlich der Räumung von<br />

Wohnungen jüdischer Familien wegen Verjährung e<strong>in</strong>; bei Buchholz, S. 181.<br />

103 Preußisch Ol<strong>den</strong>dorf 1984.<br />

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