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Mordbefehl und Todesmarsch. Das Hamelner Zuchthaus in den ...

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Jahren der Weimarer Republik erbittert bekämpft <strong>und</strong> wollen auch im Gefängnis zunächst<br />

nichts mite<strong>in</strong>ander zu tun haben. <strong>Das</strong> wird sich jedoch ändern. Die geme<strong>in</strong>sam erlittene Haft<br />

<strong>und</strong> die Achtung vor dem hohen politischen Bewusstse<strong>in</strong> des ehemaligen Gegners führt die<br />

Gruppen zusammen. Die Solidarität der Häftl<strong>in</strong>ge von KPD <strong>und</strong> SPD hat manchem<br />

Gefangenen im <strong>Hamelner</strong> <strong>Zuchthaus</strong> das Leben gerettet.<br />

Untergebracht s<strong>in</strong>d die „Politischen“ zunächst <strong>in</strong> strengster E<strong>in</strong>zelhaft im Zellenbau. Nachts<br />

müssen sie z.B. wegen Fluchtgefahr die Kleider herauslegen.<br />

Der Kreisschulrat beschreibt 1937 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bericht über die Schulverhältnisse im <strong>Zuchthaus</strong><br />

die politischen Gefangenen folgendermaßen:<br />

„Sie s<strong>in</strong>d durchweg begabter <strong>und</strong> wissenshungriger als die Krim<strong>in</strong>ellen <strong>und</strong> bestehen zu 90%<br />

aus deutschen verhetzten Arbeitern, die für die Volksgeme<strong>in</strong>schaft zurückgewonnen wer<strong>den</strong><br />

können <strong>und</strong> nach dem Willen des Führers auch gewonnen wer<strong>den</strong> sollen. Die übrigen 10%<br />

s<strong>in</strong>d verbissene, fanatische Funktionäre, die allen Bee<strong>in</strong>flussungsversuchen gegenüber sich<br />

ablehnend verhalten. Erfahrungsgemäß ist der Weg zur Volksgeme<strong>in</strong>schaft für <strong>den</strong> willigen,<br />

aufnahmebereiten politischen Gefangenen sehr lang <strong>und</strong> schwer. ... Zu Beg<strong>in</strong>n jeder<br />

Unterrichtsstufe dürfen die Gefangenen Fragen über alle Wissensgebiete stellen. Dabei konnte<br />

festgestellt wer<strong>den</strong>, daß die <strong>in</strong>nerlich noch nicht gewonnenen Schüler sehr großes Interesse für<br />

außenpolitische Ereignisse (Kämpfe <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a, <strong>in</strong> Spanien, Geme<strong>in</strong>dewahlen <strong>in</strong> Frankreich)<br />

zeigen, die ihrer Me<strong>in</strong>ung nach die Weltlage <strong>in</strong> ihrem S<strong>in</strong>ne bee<strong>in</strong>flussen könnten, gar ke<strong>in</strong>s<br />

oder doch nur sehr ger<strong>in</strong>ges dagegen für <strong>in</strong>nerdeutsche Angelegenheiten (W<strong>in</strong>terhilfswerk).“ 13<br />

Der Autoschlosser <strong>und</strong> Kommunist Emil Carlebach 14 , der im Mai 1934 im Alter von19 Jahren<br />

wegen Herstellung illegaler Gewerkschaftszeitungen nach Hameln kommt, berichtet, daß sich<br />

<strong>in</strong> <strong>den</strong> Gefängnissen des „Dritten Reiches“ durch <strong>den</strong> Machtantritt der Nationalsozialisten<br />

nicht so viel geändert habe. Er empf<strong>in</strong>det die E<strong>in</strong>lieferung <strong>in</strong> Hameln als „Erleichterung“.<br />

„Solange ich bei SA <strong>und</strong> Gestapo war, konnte ich je<strong>den</strong> Moment totgeschlagen oder<br />

m<strong>in</strong>destens gefoltert wer<strong>den</strong>.“ In Hameln dagegen lief es „bürokratisch, menschenunwürdig,<br />

aber nicht lebensgefährlich“ ab. .15<br />

Carlebach wird im Herbst 1935 von Hameln über L<strong>in</strong>gen nach Hannover gebracht, wo er <strong>den</strong><br />

Rest se<strong>in</strong>er dreijährigen Strafe absitzen muß. Nach Ende se<strong>in</strong>er Haftzeit wird der Kommunist<br />

Carlebach sofort <strong>in</strong> „Schutzhaft“ genommen <strong>und</strong> nach Dachau e<strong>in</strong>geliefert. Er durchläuft bis<br />

1945 mehrere Konzentrationslager. Carlebach zählt zu <strong>den</strong> Häftl<strong>in</strong>gen, die im Mai 1945 die<br />

Befreiung von Buchenwald erleben. In se<strong>in</strong>em Buch „Am Anfang stand e<strong>in</strong> Doppelmord“ 16<br />

hat er der Haftzeit <strong>in</strong> Hameln breiten Raum gewidmet.<br />

13<br />

Mlynek, Gestapo Hannover meldet. Hildesheim 1986, S. 535f.<br />

14<br />

Carlebach war 1995 als achtzigjähriger Mann auf E<strong>in</strong>ladung der Antifa zu e<strong>in</strong>em Vortrag <strong>in</strong> der <strong>Hamelner</strong><br />

Sumpfblume.<br />

15<br />

Carlebach, Me<strong>in</strong>e Haftzeit <strong>in</strong> Hameln, S. 25.<br />

16<br />

Emil Carlebach, Am Anfang stand e<strong>in</strong> Doppelmord. Kommunist <strong>in</strong> Deutschland. Band 1: bis 1937, Köln 1988.<br />

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