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Mordbefehl und Todesmarsch. Das Hamelner Zuchthaus in den ...

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Wie kam es eigentlich dazu, daß am 5. April, e<strong>in</strong>em Tag, an dem die Stadt bereits unter<br />

Beschuß lag <strong>und</strong> es nur noch kurze Zeit dauern konnte, bis alliierte Truppen das Gefängnis<br />

befreien wür<strong>den</strong>, noch e<strong>in</strong> Gruppe von Männern auf Marsch gesetzt wurde, der mehreren das<br />

Leben kosten sollte <strong>und</strong> für alle unendliche Strapazen bedeutete? Wir haben bisher das<br />

Geschehen aus der Sicht der Opfer, der Häftl<strong>in</strong>ge, beleuchtet. Jetzt nehmen wir e<strong>in</strong>en<br />

Perspektivenwechsel vor h<strong>in</strong> zu der Gruppe der Akteure, der <strong>Zuchthaus</strong>verwaltung <strong>und</strong> der<br />

politisch Verantwortlichen.<br />

Am 28. Mai 1945, also wenige Wochen nach Kriegsende, schreibt der kommissarische Leiter<br />

des <strong>Zuchthaus</strong>es Jakob Schmelzer e<strong>in</strong>en Brief an die Britische Militärverwaltung. 73 Er gibt<br />

dar<strong>in</strong> Kenntnis von „e<strong>in</strong>em geplanten ungeheuren Verbrechen des früheren Kreisleiters der<br />

N.S.D.A.P.“, unmittelbar vor dem E<strong>in</strong>marsch der Alliierten „sämtliche nichtdeutschen<br />

Gefangenen des <strong>Zuchthaus</strong>es sofort zu erschießen“.<br />

Schmelzer referiert <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Brief Aussagen e<strong>in</strong>es ehemaligen Wachtmeisters, des<br />

Ober<strong>in</strong>spektors Theile. 74 Der Kreisleiter Krämer habe dem <strong>Zuchthaus</strong>direktor Stöhr<br />

gegenüber telefonisch die Tötung aller ausländischen Gefangenen durch Erschießen<br />

angeordnet. Stöhr <strong>und</strong> Theile hätten sich aber geweigert, <strong>den</strong> Befehl auszuführen, <strong>und</strong> dies<br />

Krämer telefonisch mitgeteilt.<br />

Am folgen<strong>den</strong> Tage seien wieder Anrufe gekommen: die abendliche Suppe aller 800<br />

Gefangenen sei zu vergiften. Stöhr habe sich daraufh<strong>in</strong> mit Theile <strong>und</strong> dem Gefängnisarzt Dr.<br />

Kurz beraten. Krämer sei mitgeteilt wor<strong>den</strong>, der Befehl sei nicht ausführbar, weil es an der<br />

entsprechen<strong>den</strong> Giftmenge fehle. Um die Gefangenen vor weiteren <strong>Mordbefehl</strong>en des<br />

Kreisleiters zu schützen, habe Stöhr sie dann auf Marsch gesetzt.<br />

Mit diesem Brief kommt e<strong>in</strong>e umfangreiche Untersuchung <strong>in</strong> Gang, die mehrere Monate<br />

dauern <strong>und</strong> <strong>in</strong> zwei mehrtägige Prozesse vor Militärgerichten mün<strong>den</strong> wird. Der<br />

Hauptverdächtige, der Kreisleiter Krämer, kann nicht befragt wer<strong>den</strong>, weil er seit dem 6.<br />

April untergetaucht ist. <strong>Das</strong>selbe gilt für <strong>den</strong> Gauleiter von Hannover, Hartmann<br />

Lauterbacher. Im Juni 1945 nehmen die Briten unter dem Aktenzeichen L 53-00991 förmliche<br />

Untersuchungen wegen e<strong>in</strong>es Kriegsverbrechens <strong>in</strong> Hameln auf, begangen an 800 alliierten<br />

Personen. Es gibt zahlreiche Vernehmungen von Zeugen, die sich bis <strong>in</strong> <strong>den</strong> November<br />

h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>ziehen. 75 Stöhr, der als Regierungsrat automatisch <strong>in</strong> Arrest sitzt, wird als Hauptzeuge<br />

mehrmals vernommen. 76<br />

Am 20. September 1945 erstattet <strong>in</strong> Braunschweig e<strong>in</strong>e Frau (Gisela Wendt) bei der<br />

deutschen Polizei e<strong>in</strong>e Anzeige: e<strong>in</strong> Mann namens Krämer - ehemals Stadthauptmann <strong>in</strong><br />

Krakau <strong>und</strong> Reichstagsabgeordneter - halte sich unter falschem Namen <strong>in</strong> Braunschweig<br />

verborgen. Die deutsche Polizei verhaftet <strong>den</strong> Mann. Die Vernehmung streift nur knapp die<br />

kurze Zeit Krämers als Kreisleiter <strong>in</strong> Hameln; sie konzentriert sich auf se<strong>in</strong>e Zeit im besetzten<br />

Krakau, die Benutzung falscher Papiere nach dem E<strong>in</strong>marsch der Amerikaner sowie die<br />

Herkunft der hohen Geldsumme (23100 RM), die bei ihm bei der Festnahme gef<strong>und</strong>en wurde.<br />

73 PRO, WO 309/103.<br />

74 Wilhelm Theile, Ober<strong>in</strong>spektor, seit 1909 im Gefängnisdienst; seit 1939 für die Verpflegung <strong>und</strong> <strong>den</strong> E<strong>in</strong>satz<br />

<strong>in</strong> der Landwirtschaft zuständig. Er ist 61 Jahre alt <strong>und</strong> möchte mit se<strong>in</strong>er Aussage erreichen, daß er wieder <strong>in</strong><br />

der Anstalt beschäftigt wird (Schmelzer, a.a.O.).<br />

75 PRO, WO 235/110 <strong>und</strong> 309/103.<br />

76 Im August 1945 sitzt Stöhr <strong>in</strong> Haft <strong>in</strong> Hameln. Im September wird er als automatischer Arrest-Fall <strong>in</strong> das CIC<br />

(Civilian Internment Camp)-Lager Westertimke verlegt. Von Stöhr liegen drei Vernehmungsprotokolle vor; vom<br />

8. Und 9. 8., vom 14. 11. 1945.<br />

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