Ausgabe 1/2012 - Gewerkschaft Öffentlicher Dienst
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titelgeschichte<br />
16<br />
PerSPeKtiVeN:<br />
Wird europa<br />
kaputtgespart?<br />
in allen staaten europas werden massive sparpakete<br />
umgesetzt. in den Problemstaaten sind diese kaum<br />
mehr durchsetzbar. Proteste sind an der tagesord<br />
nung. ist das der richtige Weg?<br />
text: Dr. norBert schneDl<br />
Die Situation ist vertrackt. Das Wirtschaftswachstum ist<br />
nach einem kurzen Aufflackern 2011 wieder im Sinkflug.<br />
Selbst den robusten Staaten wie Deutschland und Österreich<br />
wird von den Wirtschaftsforschern für <strong>2012</strong> kaum<br />
mehr Wachstum zugetraut. Europa ist nach wie vor in der<br />
Krise, und es scheint, als werde kein Rezept gefunden,<br />
um endlich wieder eine positive Perspektive zu erhalten.<br />
Was ist los in Europa?<br />
Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass Europa<br />
nach wie vor deutlich besser dasteht als beispielsweise<br />
die USA. Wir haben – zumindest in den westlichen<br />
europäischen Staaten – eine soziale Marktwirtschaft und<br />
gut funktionierende Sozialsysteme. Die medizinische Versorgung<br />
der Bevölkerung (inklusive Vorsorge) ist deutlich<br />
besser als in den USA. Die Gesamtverschuldung Europas<br />
ist geringer als jene der USA, und den europäischen<br />
Schulden stehen auf der Habenseite eben diese sozialen<br />
Sicherungssysteme und hohe Lebensqualität – überhaupt<br />
in jeder Hinsicht Qualität – gegenüber.<br />
Trotzdem zahlen die USA deutlich weniger Zinsen für ihre<br />
Staatsschulden als die meisten Länder in Europa, nämlich<br />
unter 2 Prozent für 10-jährige Staatsanleihen. Das hat<br />
mehrere Ursachen. Einer der Hauptgründe ist zweifellos<br />
die entschlossenere Vorgangsweise der Fed (amerikanische<br />
Notenbank – Federal Reserve System). Diese Entschlossenheit<br />
resultiert auch aus einem völlig anderen<br />
Auftrag der Fed im Vergleich zur EZB. Die Fed hat zwei<br />
Hauptziele, nämlich Wachstum und Beschäftigung. Diesen<br />
Zielen wird die Politik der amerikanischen Notenbank<br />
untergeordnet. Wenn notwendig, wird der Markt mit Geld<br />
geflutet, um deutliche Wirtschafts- und Beschäftigungsimpulse<br />
zu setzen. Die damit angekurbelte Binnennachfrage<br />
trägt ihr Übriges für den Erfolg dieser Politik bei. Solange<br />
die Investoren an die Wirksamkeit dieser Politik glauben,<br />
bleiben die Zinsen in einem erträglichen Rahmen. Außerdem<br />
ist für die Amerikaner klar, dass die Anleihen notfalls<br />
von der Fed gezeichnet werden.<br />
Das ausschließliche Ziel der EZB ist Geldwertstabilität.<br />
Damit ist für die EZB das Fluten des Marktes mit Geld<br />
eigentlich ausgeschlossen und kann nur auf Umwegen<br />
und in weit geringerem Ausmaß als in den USA durchgeführt<br />
werden. Damit ist die Unsicherheit, ob ein Land neue<br />
Schulden auf dem Markt platzieren kann, allgegenwärtig.<br />
Das erhöht die Zinsen. Außerdem spielen die Ratingagenturen<br />
keine unwesentliche Rolle (manche sehen diese<br />
Agenturen als die Söldner der Finanzindustrie). Alle drei<br />
maßgeblichen Ratingagenturen sind amerikanisch.