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Ausgabe 1/2012 - Gewerkschaft Öffentlicher Dienst

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gesundheit<br />

22<br />

Soll heißen: In der Praxis könnte es künftig tatsächlich häufiger<br />

Komplikationen geben. Immer weniger Geld, immer<br />

weniger Personal stehen immer mehr überarbeiteten Ärzten<br />

gegenüber. Das höhere Risiko eines Behandlungsfehlers<br />

gibt’s dann gratis dazu. Fehldiagnosen, übermüdete Ärzte,<br />

mysteriöse Todesfälle – Gesundheitsrisiko Krankenhaus?<br />

Und die Patienten als große Verlierer? Vor so einem Szenario<br />

warnt Richard Kdolsky nachdrücklich. Als erfahrener Unfallmediziner<br />

arbeitet er seit mehr als 20 Jahren an vorderster<br />

Front. Er weiß, was sich in den Notaufnahmen Tag und Nacht<br />

abspielt. Durchgehende Schichten von bis zu 49 Stunden<br />

und Wochenarbeitszeiten von bis zu 72 Stunden sind auch<br />

heute keine Seltenheit. „Wir befinden uns in etwa dort, wo<br />

wir Ende des 19. Jahrhunderts bei den gewerkschaftlichen<br />

Forderungen gestanden sind. Wir sind also weit entfernt von<br />

einer 50-, 45- oder 40-Stunden-Woche.“<br />

WIE GEHABT<br />

Dabei ist das Problem historisch gewachsen und eigentlich<br />

auch hausgemacht. Das Arbeitszeitmodell im AKH basiert<br />

auf Verhandlungen aus den 1970er Jahren. Damals ging man<br />

von einer Ruhezeit von sechs Stunden bei Nacht- bzw. Bereitschaftsdiensten<br />

aus. Dementsprechend schlecht wird diese<br />

Zeit bezahlt. Bloß, dass sich die Situation in den letzten 30<br />

Jahren erheblich verändert hat. Diese sechs Stunden sind in<br />

den meisten Fächern eine völlige Illusion. Eigentlich ist das<br />

schon lange kein Bereitschaftsdienst mehr. „Ich würde meinen,<br />

dass gerade mal 20 Prozent der <strong>Dienst</strong>räder hier im Haus<br />

noch diesen Kriterien entsprechen. Die restlichen 80 Prozent<br />

sind de facto längst Dauerdienst.“<br />

Obendrein hat eine Studie ergeben, dass ein Arzt nach 24<br />

Stunden im Schichtdienst in einer ähnlichen Verfassung sei,<br />

wie wenn er 1,0 Promille im Blut hätte. Kdolsky erinnert sich,<br />

dass er als junger Arzt selbst nicht selten eine 100-Stunden-<br />

Woche absolviert hat. Auch wenn solche Extreme heute nicht<br />

mehr der Fall sind, die immense Arbeitsbelastung zehrt dennoch<br />

an den Kräften der Akademiker. Und „sozialfreundlich“<br />

ist das freilich auch nicht. „Da gehen Beziehungen drauf,<br />

da kommt es zu sozialer Vereinsamung. Und irgendwann<br />

kommt dann der Rückzug mit dem Satz: Ich will nicht mehr“,<br />

a. o. Univ.-Prof. Dr. Richard Kdolsky,<br />

Vorsitzender der Bundesvertretung<br />

Universitätsgewerkschaft für wissenschaftliches<br />

und künstlerisches<br />

Personal in der GÖD.<br />

so Kdolsky. Er hat im Laufe seiner Karriere viele Kollegen<br />

gesehen, die „das Hangerl geschmissen“ und sich aus dieser<br />

Spirale ausgeklinkt haben. Und das ist nicht das Einzige, das<br />

dem Spitzenmediziner bitter aufstößt.<br />

AUSGEHUNGERT<br />

Auch der wissenschaftliche Betrieb wird zusehends ein<br />

Opfer der verworrenen österreichischen Gesundheitspolitik.<br />

„Generell zieht sich die Misere ja nicht erst seit einem Jahr. Im<br />

Grunde laufen die Dinge seit 20 Jahren nicht gut und seit zehn<br />

Jahren überhaupt aus dem Ruder“, bringt es Richard Kdolsky<br />

ohne Umschweife auf den Punkt. Seiner Einschätzung<br />

nach hungere der Bund die Universitäten kontinuierlich aus.<br />

Begonnen hätte es damit, dass die sogenannte Universitätsmilliarde<br />

eigentlich nichts anderes als die Inflationsabgeltung<br />

der letzten zehn Jahren gewesen sei. Kdolsky: „Damit sind wir<br />

de facto auf dem Status des Jahres 2002 gewesen.“ Ähnlich<br />

grotesk ist die Situation jetzt. Zwar wurde mittlerweile eine<br />

„Überbrückungshilfe“ in der Höhe von neun Millionen Euro<br />

in Aussicht gestellt, um die Finanzierung der Journaldienste<br />

bis zum Sommer 2013 sicherzustellen, die Sache hat dennoch<br />

einen Haken. Die Medizinische Universität Wien erhält<br />

die Finanzmittel nämlich als Vorgriff auf das Budget 2013,<br />

dessen Dimensionen man noch nicht kennt. Und sie ist neuerlich<br />

bloß die Abgeltung der Inflation, die ohnehin längst<br />

fällig gewesen wäre. Wurde das Problem damit lediglich vertagt?<br />

„Ja. Das kann man durchaus so sagen. Ich bin gespannt,<br />

wie das weitergeht“, sagt Kdolsky und meint das durchaus in<br />

einem weiteren Sinn. Denn wie schon angesprochen, liegt<br />

auch der wissenschaftliche Forschungsbereich zusehends im<br />

Argen. Den Ärzten geht es längst nicht mehr um die prekäre<br />

Versorgungssituation alleine. Auch die Forschungstätigkeit<br />

geht aufgrund der dauerhaften Finanzlage langsam, aber<br />

sicher den Bach runter. „Je mehr Leute im Haus überlastet<br />

sind, umso mehr wird die Forschung in die Freizeit verlegt,<br />

was ohnehin schon gang und gäbe ist. Aber, wenn die Leute<br />

so müde aus dem Spital gehen, dass sie wirklich nur noch<br />

schlafen gehen, dann ist selbst das nicht mehr möglich. Und<br />

dann wird es wirklich heikel“, sagt Kdolsky – auch mit Blick<br />

auf die nächsten Generationen an guten Ärzten, die – und

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