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Volltext - TOBIAS-lib - Universität Tübingen

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Arztes zu befolgen und „cool“ zu bleiben. Auf dem Flohmarkt kaufte ich mir ein altes<br />

Fahrrad und fuhr viel damit herum. Ich ging wieder regelmäßig in die Bibliothek, fing<br />

wieder an Deutsch zu lernen und versuchte Kontakte zu Deutschen zu knüpfen, was<br />

jedoch sehr schwierig war, zumal ich keinen besonders glücklichen und offenen<br />

Eindruck machte und die Deutschen selbst sich mir gegenüber sehr distanziert zeigten.<br />

Wenn es mir überhaupt gelang, jemanden kennen zulernen, wurde die Person spätestens<br />

dann abgeschreckt, wenn sie erfuhr, dass ich in einem Flüchtlingslager wohnte und aus<br />

dem Iran kam. Man kannte meine Heimat und ihre Menschen durch die Medien als<br />

zurückgeblieben, fundamentalistisch und terroristisch.<br />

Eines Tages beschimpfte mich eine ältere Frau, als ich eine leere Tabakschachtel in eine<br />

vor ihrem Haus stehende Mülltonne warf. Sie schrie mich an und drohte mir, die Polizei<br />

zu holen, wenn ich meinen Müll nicht sofort entfernte. Sie jagte mir einen solch großen<br />

Schrecken ein, dass ich nur «ja, ja» sagte und meine leere Schachtel aus der Mülltonne<br />

holte. Später ärgerte ich mich über mich selbst, dass ich mir durch mein<br />

umweltbewusstes Verhalten einen solchen Ärger eingeheimst hatte.<br />

So vergingen Tage und Nächte. Endlich nach einer langen Zeit bekam ich eine neue<br />

Einladung zur Anhörung. Dieses Mal waren richtige Richter in entsprechender Kleidung<br />

da. Zum ersten Mal war auch mein Rechtsanwalt dabei.<br />

Ich war entsetzt, als der Richter sagte, dass Deutschland mir kein Asyl gewährleisten<br />

könne, weil der Iran von der Bundesrepublik Deutschland von nun an als ein „sicheres<br />

Herkunftsland“ angesehen wird. Es mochte sein, dass es zu jener Zeit einige Reformen<br />

im Iran gegeben hatte. Der Richter ignorierte jedoch, dass es zu jenem Zeitpunkt in<br />

meiner Heimat einen (auch) vom Westen aufgezwungenen Krieg zwischen Iran und Irak<br />

gab, und dass ich dementsprechend als junger Mann dort gefährdet war. Außerdem<br />

ignorierten sie mich als Individuum und betrachteten meinen Fall nicht als „Einzelfall“,<br />

sondern völlig verallgemeinert. Am liebsten hätte ich den Richter angeschrieen und ihm<br />

gesagt, was ich von ihm und den menschenunwürdigen Gesetzen und Entscheidungen<br />

halte. Ich versuchte jedoch, meine Nerven zu behalten und nicht irgendetwas zu tun, was<br />

meine Lage noch weiter verschlimmern würde. Sie hätten mich ja wegen<br />

Beamtenbeleidigung dann gleich einsperren können. Also schluckte ich meine Wut und<br />

meinen Hass herunter. Der Richter teilte mir mit, dass meine Akte nun endgültig<br />

geschlossen sei. Er forderte mich auf, das Land innerhalb von vier Wochen freiwillig zu<br />

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