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In eigener Sache... - Adolf-Reichwein-Verein

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eichwein forum Nr. 19 Juli 2013<br />

orientierte, und zwar auch in Richtung eines nationalen<br />

Sozialismus bzw. der nationalsozialistischen<br />

Bewegung. Ebenso wenig ist es erstaunlich, dass die<br />

nationalsozialistische Bewegung in den 1920er Jahren<br />

Ideen und Elemente der bü rgerlichen Jugendbewegung<br />

in sich aufgenommen und weitergetragen hat, was<br />

später vor allem in der Jugendpolitik der NSDAP, in der<br />

Hitlerjugend (HJ) und im Bund deutscher Mä del (BDM)<br />

zum Ausdruck kam. (Hier gerät man übrigens in<br />

Konflikt mit der These von Ernst Nolte, der meinte,<br />

dass die Nazis vor allem bei den Kommunisten<br />

„abgekupfert“ hä tten. Den Einfluss der<br />

Jugendbewegung hat er dabei wohl etwas<br />

unterschä tzt.)<br />

Wenn man daher danach fragt, wer hier der Gebende<br />

und wer der Nehmende war, ob die Jugendbewegung<br />

von den Nationalsozialisten missbraucht und verfä lscht<br />

worden ist, oder ob die Jugendbewegung sich nicht<br />

teilweise der nationalsozialistischen Bewegung relativ<br />

bereitwillig angeschlossen hat, stößt man auf eine<br />

schwierige Frage, die sich nicht pauschal beantworten<br />

lässt und genauer Detailanalysen bedarf. Im Prinzip<br />

stimmt sowohl das eine wie das andere. Darüber ist<br />

auch schon viel geforscht und geschrieben worden. <strong>In</strong><br />

dem ideologisch-politischen Durcheinander der 1920er<br />

Jahre, der Weimarer Republik, bedurfte es schon sehr<br />

klarer Wert- und Urteilsmaßstäbe, um sich richtig zu<br />

orientieren und sich auf die Seite zu schlagen, die wir<br />

Nachgeborenen heute fü r die richtige und gute halten.<br />

Und damit waren viele junge Leute damals vermutlich<br />

genau so ü berfordert wie viele Jugendliche heute. Die<br />

Meisten wussten ja auch noch nicht, was auf sie<br />

zukommen würde, wenn sie sich für diese oder jene<br />

Richtung entschieden, wä hrend wir das heute wissen.<br />

<strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> war offenbar einer derjenigen, die<br />

ü ber solche Wertmaßstäbe verfü gten.<br />

<strong>In</strong> diesem Zusammenhang mö chte ich einige Sä tze<br />

zitieren, die in der letzten Nummer des reichweinforums<br />

abgedruckt wurden. Der erste stammt von<br />

Hans-Peter Thun aus seinem Vortrag ü ber<br />

„Erwachsenenbildung zwischen Erstem Weltkrieg und<br />

Nationalsozialismus“. Dort schreibt er, mit Bezug auf<br />

Rolf Gardiner: „Wer damals Vorstellungen hatte, die wir<br />

auch bei den Nazis finden, muss also nicht unbedingt<br />

ein Nazi gewesen sein, war jedoch zweifellos mit vielen<br />

anderen fü r ihr Gedankengut empfänglich.“ (siehe<br />

oben, a.a.O., S.15) Auch das nächste Zitat stammt von<br />

H.P. Thun aus demselben Vortrag: „Waren die Ideen der<br />

Jugendbewegung … große Irrtü mer, die den Nazis ihren<br />

unheilvollen Weg erleichterten, oder waren sie<br />

zwangsläufige Folgen tradierter Denkweisen …, und die<br />

Nazis nutzten die Jugendbewegung nur als<br />

willkommenen Katalysator?“ (ebd., S. 17) Keine sehr<br />

geglü ckte Gegenü berstellung und kein wirklicher<br />

Gegensatz, wie ich finde, aber eine durchaus<br />

berechtigte Frage. Die nächste Stelle stammt von Rolf<br />

Gardiner aus dem Jahr 1949, die von Klaus Schittko in<br />

21<br />

seinem Vortrag „Eine schwierige Freundschaft...“ zitiert<br />

wird: Fü r Gardiner gehörte <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> „zu der<br />

breiten Minorität von Deutschen, die danach strebten,<br />

die konstruktive und experimentelle Arbeit der<br />

vorhergegangenen A ra (d.h. der jugendbewegten<br />

Reformpädagogik in der Weimarer Republik, R.R.)<br />

innerhalb des hitlerischen Rahmens in Deutschland<br />

doch weiter zu führen.“ (siehe oben, a.a.O., S. 26) Und<br />

an anderer Stelle fü gt Gardiner (1969) laut Schittko<br />

hinzu: man habe ihm 1946 die Einreise in die britische<br />

Besatzungszone u.a. wegen seiner „idealistischen<br />

Hoffnungen auf eine Durchdringung des 'Dritten<br />

Reiches' mit den Pionierleistungen der<br />

Jugendbewegung“ verweigert. (ebd., S.22) Gardiner<br />

spricht hier natü rlich auch pro domo, aber er bringt<br />

zugleich etwas zum Ausdruck, was damals, nach der<br />

Machtübernahme Hitlers und der Nazis, für viele<br />

Jugendbewegte noch in der Luft lag und eine<br />

Perspektive bildete. Das interessanteste Zitat, das wie<br />

eine Antwort auf Gardiner wirkt, stammt aber von dem<br />

SPD-Politiker und späteren Oberbü rgermeister West-<br />

Berlins Otto Suhr aus dem Jahr 1953: „So wie die<br />

idealistischen Toren (der Jugendbewegung, R.R.) in der<br />

Nazibewegung die Verwirklichung mancher Wü nsche<br />

der Jugendbewegung zu sehen glaubten, so verstand<br />

der damalige preußische Erziehungsminister Rust,<br />

<strong>Reichwein</strong> vorzugaukeln, dass auch er, der dem<br />

politischen Parteibetrieb ablehnend gegenü berstand,<br />

im Nationalsozialismus die Erfü llung seiner<br />

pädagogischen Ziele finden könne.“ (zitiert nach R.<br />

<strong>Reichwein</strong>, rf 17/18, Mai 2012, S.41) <strong>In</strong> diesen Zitaten<br />

wird die eigentü mliche Affinität zwischen<br />

Jugendbewegung und Nazibewegung deutlich. <strong>In</strong><br />

diesem Sinn war Rolf Gardiner einer dieser<br />

„idealistischen Toren“, die es auch in Deutschland gab<br />

und die der Nationalsozialismus später für seine<br />

Zwecke einspannen wollte und konnte. Bei <strong>Adolf</strong><br />

<strong>Reichwein</strong> hat aber die Taktik von Rust, wie Otto Suhr<br />

hinzufü gt, nicht verfangen.<br />

Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht besonders<br />

erstaunlich, dass einige junge, national gesinnte<br />

Sozialdemokraten, darunter auch <strong>Reichwein</strong>, 1932<br />

Kontakt zu dem linken „Strasser-Flü gel“ der NSDAP<br />

aufnahmen, um die Möglichkeiten einer<br />

Zusammenarbeit und einer Aufspaltung der NSDAP zu<br />

erkunden, was uns heute bereits wie ein Tabubruch<br />

erscheint. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es auch in<br />

der Nazi-Bewegung verschiedene Strömungen und<br />

Flü gel gab. Der linke sogen. „Strasser-Flü gel“, der von<br />

den Brü dern Gregor und Otto Strasser angefü hrt wurde<br />

und zu dem auch Teile der SA-Fü hrung gehö rten, stand<br />

Anfang der 30er Jahre dem „Hitler-Flü gel“ skeptisch,<br />

kritisch bis ablehnend gegenü ber. Es war also fü r junge,<br />

national orientierte SPD-Politiker um die „Neuen<br />

Blätter für den Sozialismus“ nicht ganz abwegig,<br />

Kontakt zu diesem linken Flü gel aufzunehmen und<br />

einen Keil in die NS-Bewegung zu treiben. Ihr<br />

Kontaktmann Otto Strasser, der jü ngere Bruder von

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