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In eigener Sache... - Adolf-Reichwein-Verein

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eichwein forum Nr. 19 Juli 2013<br />

weise, dass <strong>Reichwein</strong> in der Weltwirtschaftskrise der<br />

These ungeregelter Überinvestitionen und maßloser<br />

Überproduktion anhing, die zu Absatz- und Umsatzeinbrüchen<br />

führen mussten; aber seine Hauptkritik richtete<br />

sich gegen den Mangel an Vernunft, gegen die irrationale<br />

Maßlosigkeit der Wirtschaftskapitäne, die in der Krise in<br />

einen allgemeinen Vertrauensverlust umschlagen musste.<br />

Die Rolle der Banken und des globalen Finanzmarkts<br />

hat er dabei anscheinend unterschätzt, obwohl doch<br />

Banken die Auslöser der Krise waren. <strong>In</strong> diesem Zusammenhang<br />

zitierte er auch den Satz des britischen Premiers<br />

Lloyd George von 1933: „Etwas in unserem wirtschaftlichen<br />

System muss grundsätzlich falsch sein, weil<br />

nämlich Überfluss Armut erzeugt.“ (von Koerber, S. 282,<br />

Anm. 35) Mit diesem Rätsel hat sich freilich schon Karl<br />

Marx und – zur Zeit Lloyd Georges – der britische Ökonom<br />

John Maynard Keynes befasst. Der „ökonomische<br />

Sozialist“ <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>, wie er sich selbst einmal<br />

nannte, war in seinen ökonomischen Schriften offenbar<br />

kein marxistischer Sozialist.<br />

<strong>Reichwein</strong>s Hauptinteresse galt offenbar der Frage, wie<br />

die Wirtschaft und die Wirtschaftspolitik so organisiert<br />

und gestaltet werden könne, dass sie allen zum Vorteil<br />

gereichen könne und dass die dabei entstehenden ökonomischen<br />

und sozialen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten<br />

nicht zu groß werden, erträglich bleiben. Und<br />

er war anscheinend der Auffassung, dass die Wirtschaft<br />

ganz vernünftig zum Wohle aller funktionieren könne,<br />

wenn und solange sie im Rahmen einer fairen Marktwirtschaft<br />

ihren eigenen Regeln und Gesetzen, ihrer eigenen<br />

Logik folgen kann. <strong>In</strong>sofern war er eigentlich ein<br />

marktwirtschaftlicher Liberaler. Wirtschaftliche Fehlentwicklungen,<br />

Verwerfungen und Krisen, die er natürlich<br />

auch gesehen und kritisiert hat, hat er nicht auf endogene<br />

Faktoren und Mechanismen des marktwirtschaftlichen<br />

Wettbewerbs und der Marktgesetze, sondern<br />

auf externe, wirtschaftsfremde Einflüsse und Faktoren<br />

zurückgeführt, auf unternehmerische Fehlentscheidungen,<br />

auf die Einseitigkeit oder Maßlosigkeit<br />

wirtschaftlicher Zielsetzungen, auf zu große Kapital- und<br />

Unternehmenskonzentrationen und auf politische, staatliche<br />

Eingriffe in die Wirtschaft, die der Wirtschaft wirtschaftsfremde,<br />

politische und ideologische Ziele aufzwingen.<br />

Solche Fehlentwicklungen und die daraus resultierenden<br />

wirtschaftlichen Ungleichgewichte gelte es<br />

zu kritisieren, zu bekämpfen und zu beseitigen, dann<br />

könne die Wirtschaft wieder zu einem gleichgewichtigen<br />

Entwicklungs- und Wachstumsprozess zum allgemeinen<br />

Wohl zurückfinden.<br />

Deshalb hat <strong>Reichwein</strong> insbesondere auch politische,<br />

staatliche Eingriffe in die Wirtschaft abgelehnt, wenn sie<br />

nicht den ökonomischen Gesetzlichkeiten dienen, sondern<br />

sie durch politische und ideologische Ziele und<br />

Zwecke verfälschen und dadurch unnötige Probleme,<br />

Verwerfungen und Konflikte provozieren. Daher war er<br />

auch für eine „Entpolitisierung der Wirtschaft“. Offenbar<br />

war er der Meinung und Überzeugung, dass Wirtschaft<br />

und Politik verschiedenen Bestimmungen und Gesetzmäßigkeiten<br />

(„Entelechien“ im Sinne des Aristoteles und<br />

44<br />

Goethes), verschiedenen „Logiken“ folgen, wie man heute<br />

sagt, und daher nach Möglichkeit getrennt voneinander<br />

operieren sollten, um ein Optimum ihrer jeweiligen<br />

Wirksamkeit zu erreichen. Diese These von der „funktionalen<br />

Differenzierung“ und Trennung von Wirtschaft<br />

und Politik im modernen Kapitalismus hat übrigens<br />

schon Max Weber vor dem 1. Weltkrieg vertreten, und<br />

sie ist seit den 1950er Jahren insbesondere von der<br />

strukturfunktionalistischen Systemtheorie der Soziologen<br />

Talcott Parsons und Niklas Luhmann weiterentwickelt<br />

und ausgebaut worden.<br />

Daher hatte <strong>Reichwein</strong> auch die Hoffnung und Erwartung,<br />

dass die Wirtschaft, wenn man sie sich selbst überließe,<br />

von sich aus zu friedlichen, kooperativen und solidarischen<br />

Handels- und Austauschbeziehungen, auch im<br />

internationalen Maßstab, finden könne. Sogar zu einem<br />

„Rollenwechsel“ in den ökonomischen Austauschbeziehungen<br />

zwischen den Völkern und Staaten, wenn dieser<br />

für die Beteiligten von Vorteil ist und zu einer „win-win-<br />

Situation“ führen könne, wie man heute sagt. Auf dieser<br />

Grundlage könnte sich, so hoffte und glaubte <strong>Reichwein</strong>,<br />

eine friedliche, kooperative und solidarische Weltwirtschaft<br />

entwickeln, ja er glaubte sogar, sie bereits heraufziehen<br />

zu sehen, jedenfalls vor der großen Krise. Globale<br />

Weltwirtschaft und „Geopolitik“ waren für ihn nicht nur<br />

ein Kampfplatz gegensätzlicher nationaler Wirtschaftsinteressen,<br />

sondern auch eine Chance für eine internationale<br />

Arbeitsteilung und einen Handels- und Wirtschaftsaustausch<br />

zum Vorteil und zum Wohle aller. <strong>In</strong><br />

diesem Zusammenhang hat er auch vier große, enger<br />

verknüpfte Wirtschaftsräume ins Auge gefasst: die USA<br />

und Amerika, Europa und Russland, Ostasien mit Japan<br />

und China und das britische Commonwealth, die relativ<br />

autark nebeneinander bestehen könnten. Allerdings war<br />

er nicht so naiv anzunehmen, dass sich eine harmonisch<br />

vernetzte Volkswirtschaft von selbst, allein aufgrund der<br />

ökonomischen Marktgesetze ergeben könne. Er war<br />

vielmehr der Meinung, dass diese von unten, durch aktive<br />

Gruppen, Gemeinschaften und Genossenschaften der<br />

Zivilgesellschaft in allen gesellschaftlichen und ökonomischen<br />

Bereichen, auch und gerade auf betrieblicher<br />

Ebene, in einem längeren Prozess aufgebaut und aktiv<br />

ausgebaut werden müsse. Deshalb war seine Idealvorstellung<br />

einer vernünftig und gut funktionierenden<br />

Marktwirtschaft die einer mittelständisch organisierten<br />

Volkswirtschaft mit mittelgroßen Betrieben, in denen<br />

eine genossenschaftliche „Betriebsgemeinschaft“ zwischen<br />

Betriebsführung und Belegschaft, zwischen Eigentümern<br />

und Lohnabhängigen möglich sein sollte. Ein<br />

Ideal, das schon zu <strong>Reichwein</strong>s Zeit ziemlich überholt<br />

war, oder andererseits - wenn man will – revolutionär.<br />

(„Gildensozialismus“) Denn solche genossenschaftlichen<br />

Betriebs- und Unternehmensformen liefen auf die Einschränkung<br />

der Eigentumsrechte der Unternehmerkapitalisten<br />

und auf die Auflösung und Aufteilung der bestehenden<br />

Großbetriebe und monopolistischen Unternehmenskonzerne<br />

hinaus. Hier verwandelt sich <strong>Adolf</strong><br />

<strong>Reichwein</strong> in der Tat von einem Marktliberalen in einen<br />

„ökonomischen Sozialisten“. Und dann sollte diese ge-

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