In eigener Sache... - Adolf-Reichwein-Verein

eichwein forum Nr. 19 Juli 2013
ment des betreffenden Erziehers geben. Ich für meine
Person möchte mit Nein antworten.“ 41
Das Berner Neuwerk als Volkshochschule
Im Handbuch „Freies Volksbildungswesen“ 42 von 1929
lesen wir: „Neuwerkgemeinde Bern: Gegründet von
Hans Berlepsch⸗Valendàs, war ursprünglich eine kleine
Arbeitsgemeinschaft von Intellektuellen u.
Industriearbeitern, die regelmäßig nach Arbeitsschluss
zusammenkamen. Die starke Betonung der
Selbstgewinnung der Lebensgrundlagen u. die
Gruppierung der Stoffe um das Thema ´Leben´ machte
sie zu einer vorbildlichen Abendvolkshochschule. Sie
wirkte auf weitere Kreise hauptsächlich durch
praktische Jugendpflege u. Veranstaltung von Ferien-
Volkshochschulkursen.“
Die Kurse waren für einen ungewöhnlich langen
Zeitraum gedacht, mit zwei geplanten Winterkursen zu
je fünf Monaten. Am Anfang standen aber nur
Arbeitsgemeinschaften in diesen Ferienkursen. So hielt
Berlepsch vom 14. bis 29. August 1920 einen
Ferienkurs der bernischen Volkshochschulgemeinde in
Sigriswil ab, und vom 31. Juli bis 14. August 1921
wurden durch die Leiter der Neuwerk-Gemeinden von
Bern und St. Gallen junge Leute beider Geschlechter ab
17 Jahren zu einem Ferienkurs in Feldis (Kanton
Graubünden) eingeladen. Zwei Themen lagen in
diesem Jahre der Kursarbeit zu Grunde :
„1. Gegenwartsfragen: Unter ihnen die Frage der
persönlichen Lebensgestaltung, des Berufes, Selbstverantwortung
oder Fremdverantwortung: Jugendbewegung,
Jugendpflege und Schule; Politik
oder Erziehung; Genossenschaftswesen; das Typische
im öffentlichen Leben unserer Zeit
(Parteiflucht, Prinzipienflucht) und anderes.
2. Die Naturerscheinungen und wir (Betrachtungen
zur modernen Naturwissenschaft): Formprobleme:
Kraftumformungen: der Aufbau des physischen
Körpers; Tier und Pflanze: Lebendes und Totes in
der Natur: unser Wesen in der Rhythmik des Weltgeschehens.
Sowohl die Veranstaltungen der Neuwerk-Gemeinde,
als diejenigen der Volkshochschule Bern wollen das
Gemeinschaftsgefühl wecken.
Die Volkshochschule Bern, die sich mehr als offizielle
Einrichtung kundgibt, steht, wie bereits betont,
zwischen dem, was Berlepsch als intensive und
extensive Versuche einander gegenüberstellt, oder was
41 Berlepsch-Valendas, Problem, S. 126 ff.
42 Freies Volksbildungswesen, hrsg. Paul/ Naumann. Halberstadt: Meyer
1929, 142 S. , S. 83
30
Lämmel 43 mit patriarchalisch und intellektualistisch
bezeichnet.“ 44
Das schweizer “Neuwerk” war also als eine Alternative
gemeint zu den damals auch in der Schweiz aktuell
werdenden Volkshochschulen: “Wichtiger als der
Aufruf an Viele zur blossen Wissensvermittlung war
die Sammlung Weniger, die mit voller menschlicher
Hingabe sich in bestimmte, bedeutsame
Lebensprobleme vertieften und sich Einsichten
erarbeiteten, die ihrem Leben erhöhten Gehalt und
ihnen wertvolle Ausstrahlungskraft verleihen würden.”
45
Organisation der Volkshochschularbeit
Wie setzt sich dieser Anspruch in die Praxis, in eine
„Form“ um? „Unsere Gesellschaft ist heute nicht fähig,
sie [die Form] zu schaffen; sie versagt tatsächlich
überall, wo sie es probiert; ... und trotzdem, wir müssen
eine Form finden, müssen Formen finden, die dem
dienen, was wir wollen. ... Ich glaube, wir [die
Neuwerk-Gemeinde] sind auf dem Wege dazu ...d.h.
eine Form, die Menschen zur Gemeinschaft kettet. ...
Und darauf hinaus läuft Wartenweilers Sache und
darauf hinaus laufen wird alles, was sich durchbeißt;
das andere wird auf dem großen Komposthaufen der
Versuche von gestern vermodern. ... Es bleibt uns keine
Wahl mehr. Wir müssen Menschen schaffen als Träger
geistigen Gutes und damit als Verwirklicher des
Sozialismus und wir müssen Führer schaffen als seine
Vermittler.“ 46 Führer als Vermittler des Sozialismus –
in den frühen dreißiger Jahren wird er diese Position
wieder aufgreifen.
Die Kursarbeit folgte also keinem festen Arbeitsplan,
sondern sollte den Charakter möglichst freier
Diskussionen haben und nicht eine bloße
Vortragsreihe darstellen. Auch Spiel und Sport,
Gesang, künstlerische Betätigung und freie Geselligkeit
waren eingeplant. „Ein Bauernhaus wird den
Kursteilnehmern Unterkommen gewähren, geschlafen
wird auf dem Heu, gegessen wird einfach, aber kräftig
und reichlich.“ 47
„Wichtiges Merkmal der Neuwerkkreise ist ... ihre
vorläufige Bindung an die städtischen Bedingungen, als
Folge davon das System der Arbeitsgruppe, neben das
ergänzend lockere Kurse treten.“ 48
43 Rudolf Lämmel (1879-1962), schweizer Reformpädagoge, Gründer
des Landschulheims Schillerheim
44 Archiv für das schweizerische Unterrichtswesen a. a. O.
45 Berlepsch-Valendas, Problem, S. 126
46 Berlepsch-Valendas, Problem, a. a. O.
47 Archiv für das schweizerische Unterrichtswesen a.a.O
48 Ebd.