In eigener Sache... - Adolf-Reichwein-Verein
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eichwein forum Nr. 19 Juli 2013<br />
<strong>In</strong> den Jahren bis 1925, die im ersten Band versammelt<br />
sind, oszillierten <strong>Reichwein</strong>s Aktivitäten<br />
zwischen Studium an den Universitäten Frankfurt<br />
und Marburg, jugendbewegtem Engagement und<br />
ersten beruflichen Anstellungen als Geschäftsführer<br />
des Ausschusses der deutschen Volksbildungsvereinigungen<br />
und der Volkshochschule Thüringen.<br />
Seine Marburger Dissertation zum Thema<br />
China und Europa im 18. Jahrhundert, die das<br />
Themenfeld der Erwachsenenbildung überschreitet,<br />
wurde hier nicht berücksichtigt.<br />
Ebenso wenig ist seine umfassende Studie „Die<br />
Rohstoffwirtschaft der Erde“, die 1928 erschien<br />
und unter anderem auf den Anschauungen seiner<br />
Weltreise 1927 beruht, in den zweiten Band aufgenommen<br />
worden. Das ist einerseits verständlich,<br />
denn die mehr als 600 Seiten hätten einen Zusatzband<br />
beansprucht, aber auch schade, denn dieses<br />
Buch ist auf der materialen Ebene ein hervorragendes<br />
Beispiel für eine objektive aufklärende politische<br />
Bildung. <strong>Reichwein</strong> brachte Beobachtungswissen<br />
in die Erwachsenenbildung ein, er war bei<br />
allem Engagement und persönlichem Charisma<br />
immer auch ein vergleichsweise nüchterner Analyst,<br />
der Faktenwissen dem Bekenntnis vorzog.<br />
Die Bände 3 und 4 umfassen vor allem die Schulschriften,<br />
darunter im Band 3 zunächst viele sachlich<br />
orientierte Beiträge, die sein nachhaltiges <strong>In</strong>teresse<br />
an anderen Kulturen und weltwirtschaftlichen<br />
Entwicklungen, aber auch seinen ethnografisch<br />
geschulten Blick dokumentieren. Der vierte<br />
Band beinhaltet seine längeren und bedeutenden<br />
Schriften „Schaffendes Schulvolk“ und „Film in der<br />
Landschule“, die seinen Ruf als Reformpädagoge<br />
auch für den Bereich der Schulbildung begründeten.<br />
Die Texte ab 1933 zeugen natürlich auch von<br />
Zugeständnissen, die <strong>Reichwein</strong> an die nun im öffentlichen<br />
Sprachgebrauch erwartete Begriffswahl<br />
und Diskursregeln machte. <strong>In</strong> den Editionen, die<br />
nach 1945 erschienen, sind manche anrüchig erscheinenden,<br />
weil im Sprachduktus an den NS erinnernde<br />
Passagen geglättet und beschönigt worden.<br />
Nun endlich kann man den ursprünglichen<br />
Text zur Kenntnis nehmen und sich selber ein Bild<br />
von vielleicht aus unserer heutigen Sicht äußerst<br />
befremdlichen Zugeständnissen an Denk- und<br />
Sprachformen der 30er Jahre machen. Man kann<br />
manche Passagen auch als Version einer zeitgenössischen<br />
Doppelsprache lesen, in der die einen die<br />
Zustimmung zur aktuellen NS-Herrschaft und NS-<br />
Ideologie ausgedrückt fanden und die anderen<br />
noch das Appellieren an frühere, inzwischen verpönte<br />
Ideale. Neugierig wäre ich allerdings auch<br />
50<br />
auf den Vergleich 30er Jahre und 50er Jahre – eine<br />
Kennzeichnung später veränderter Passagen wäre<br />
hier auch schön gewesen.<br />
<strong>Reichwein</strong>s Schriften sind von den Bearbeitern<br />
eingebettet worden in einen umfassenden Reigen<br />
von Einleitungen, Erläuterungen, Kommentaren;<br />
Verweisen und ergänzenden Dokumenten und<br />
Stimmen der Zeit. Der Erziehungswissenschaftler<br />
Peter Menck hat sich von diesen begleitenden Anmerkungen<br />
distanziert, weil er hier mehr <strong>In</strong>terpretation<br />
als sachlich-dienliche Hinweise findet. Nun<br />
ist die <strong>In</strong>anspruchnahme dieser Hilfen letztlich<br />
freiwillig. <strong>In</strong> den Bereichen, in denen ich mich persönlich<br />
besser auskenne, nämlich der Erwachsenenbildung,<br />
finde ich diese Rahmungen und Erläuterungen<br />
einleuchtend und hilfreich. Ich kann auch<br />
keine Redundanzen oder übereifrige Ausdeutungen<br />
erkennen. Natürlich ist die Auswahl der Dokumente,<br />
die Amlung und Lingelbach vorgenommen<br />
haben, zeitgebunden ebenso wie die Randbemerkungen,<br />
Kurzkommentare und Literaturverweise<br />
es sind. Das ist nun mal das Schicksal von<br />
Forschung, dass Paradigmen wechseln, neues Wissen<br />
gewonnen wird und Zeitkonjunkturen den<br />
Wert der Erkenntnisse und die entsprechenden<br />
Darstellungen wieder relativieren können.<br />
Der Kosmos dieser Erklärungen und Vertiefungen<br />
bietenden Rahmungen stellt die eigentliche beeindruckende<br />
Herausgeberarbeit und eine eigenständige<br />
Forschungsleistung dar, die im Zusammenhang<br />
mit den <strong>Reichwein</strong>texten so etwas wie eine<br />
kollektive Werkbiografie ergibt. Für die Erwachsenenbildungsforschung<br />
wie für die Lehre ist diese<br />
Kombination ein großer Gewinn.<br />
Zur Ergänzung: <strong>In</strong> dem noch fehlenden Band 5, der<br />
2012 erscheint, werden die museumspädagogischen<br />
Schriften, die Dokumente des Widerstands,<br />
aber auch seine umstrittene Zusammenarbeit mit<br />
NS-Einrichtungen wie dem weiblichen Arbeitsdienst<br />
mit den entsprechenden Reden dokumentiert.<br />
Paul Ciupke