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In eigener Sache... - Adolf-Reichwein-Verein

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eichwein forum Nr. 19 Juli 2013<br />

gleichbar ist. Nachdem 1989/90 der Systemkonflikt des<br />

20. Jh. zwischen westlichem Kapitalismus und östlichem<br />

„Realsozialismus“ zusammengebrochen und von der<br />

Weltbühne abgetreten ist (China ist eine Ausnahme, die<br />

besonderer Untersuchung bedarf), hat der Kapitalismus<br />

im globalen Maßstab einen Siegeszug angetreten, der<br />

allgemein unter dem Titel „Globalisierung der Weltwirtschaft“<br />

zusammengefasst wird. (Die Demokratie, was<br />

immer man darunter versteht, ist diesem Siegeszug, wie<br />

man weiß, nur partiell gefolgt). Zu meinem Erstaunen<br />

musste ich nun feststellen, dass diese Situation ungefähr<br />

derjenigen entspricht, die schon nach dem 1. Weltkrieg<br />

und vor der Entstehung des Hitlerreiches und des Sowjetblocks<br />

bestanden hat und mit der sich <strong>Reichwein</strong> in<br />

den 1920er Jahren und in der ersten Weltwirtschaftskrise<br />

von 1929 ff. beschäftigt hat.<br />

Die heutige Rede von der „Globalisierung“ der Wirtschaft<br />

und des Kapitalismus erweist sich insofern als eine Übertreibung,<br />

die vor allem dem Zusammenbruch des Sowjetblocks<br />

geschuldet ist. Dem Kapitalismus hat schon seit<br />

seinen Anfängen im 15. Jh. eine Tendenz zur Globalisierung<br />

innegewohnt, deshalb ist es auch – wenn man so<br />

will – zur Entdeckung und Eroberung der Neuen Welt<br />

gekommen. Das haben schon die Ökonomen des 19. Jh.<br />

gewusst, besonders Karl Marx, und erst recht die des 20.<br />

Jh., auch <strong>Reichwein</strong>. Wenn es heute eine neue, noch weiter<br />

gehende Globalisierung gibt, dann ist sie einerseits<br />

dem Umstand zuzuschreiben, dass sich die industrielle<br />

Arbeitsteilung auch auf früher agrarische Staaten ausgedehnt<br />

hat, und zum andern darauf, dass es heute einen<br />

globalen, computer- und satellitengestützten Banken-,<br />

Börsen- und Finanzsektor gibt, der „in Echtzeit“, d.h.<br />

rund um die Uhr um den ganzen Globus aktiv ist. Und<br />

selbst den gab es schon Ende der 1920er Jahre und in der<br />

ersten Weltwirtschaftskrise, nur musste man sich damals<br />

an den Börsen noch mit dem Telegraphen oder dem<br />

Telefon zufrieden geben.<br />

III.<br />

<strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> hat in den 1920er Jahren, in seiner<br />

Volkshochschularbeit und in seinen kleinen Artikeln, in<br />

seinen Reisebüchern über Mexiko und die USA sowie in<br />

der „Rohstoffwirtschaft der Erde“, wie von Koerber feststellt,<br />

eine „Wirtschaftswissenschaft von unten“ vertreten,<br />

die vom Konkreten und Empirischen ausging, von<br />

Raum und Zeit, vom Boden und vom Klima, von der<br />

Landwirtschaft und von den Rohstoffen, von der produzierenden<br />

Arbeit, von handwerklichen Techniken und<br />

Traditionen, von der industriellen Technik, von Arbeiterassoziationen<br />

und Gewerkschaften, von sozialen und<br />

kulturellen Strukturen usf.. Dies waren für ihn die „Rohstoffe“,<br />

aus denen sich eine Volkswirtschaft aufbaut und<br />

aus denen sich der Wirtschaftsprozess und die Wirtschaftsentwicklung<br />

ergibt, und er hat diese Art der Betrachtung<br />

auch gern etwas bescheidener als „Wirtschaftskunde“<br />

bezeichnet. Dabei ging es ihm aber nicht<br />

bloß um ökonomische Geschichte im Sinne der Historischen<br />

Schule, sondern es ging ihm durchaus darum, die<br />

wesentlichen und bestimmenden Faktoren der aktuellen<br />

43<br />

Wirtschaftslage herauszuarbeiten und in ihrem Zusammenwirken<br />

zu erklären, die Konflikte und die Dramatik<br />

der wirtschaftlichen Entwicklung deutlich zu machen,<br />

um die Möglichkeiten einer vernünftigen, den Menschen<br />

dienenden Wirtschaftspolitik zu erkunden. <strong>In</strong>soweit<br />

handelte es sich durchaus um Wirtschaftswissenschaft.<br />

Der einzige Wirtschaftsfaktor, der ihn anscheinend nicht<br />

besonders interessiert hat, war der dritte Produktionsfaktor<br />

neben Boden und Arbeit - das Kapital. Und zwar<br />

Kapital zum einen als Geld und als angespartes Geldkapital<br />

und zum andern Kapital als Konzentration von industriellem<br />

Sachkapital und als wirtschaftliche Macht.<br />

Geldkapital kam bei ihm vor allem als Arbeitslohn (variables<br />

Kapital), und Sachkapital vor allem als <strong>In</strong>vestition<br />

in die maschinelle Ausrüstung eines Betriebes (konstantes<br />

Kapital) vor. Ansonsten findet sich in seinen Schriften<br />

wenig über das Kapital, insbesondere über das industrielle<br />

Finanzkapital. Die Konzentration von Kapital in<br />

Banken, in großen Monopolen und Konzernen hat er<br />

zwar als einen schädlichen Irrweg kritisiert und abgelehnt,<br />

der zu einer Verfälschung des Marktwettbewerbs<br />

und der ökonomischen Gesetzmäßigkeiten zum Nachteil<br />

der Beteiligten und Betroffenen führt, aber er hat sich in<br />

seinen ökonomischen Schriften – soweit ich sehe - kaum<br />

explizit mit diesen Problemen auseinander- gesetzt, insbesondere<br />

nicht mit denen des Banken-, Börsen- und Finanzkapitals,<br />

das heute so dominant ist und das schon in<br />

die erste Weltwirtschaftskrise von 1929 ff. geführt hat.<br />

Auch bei von Koerber findet sich kein Hinweis darauf.<br />

Vielleicht lag das an dem Volkshochschulpublikum, mit<br />

dem er zu tun hatte und für das er auch schrieb und das<br />

er mit so abstrakten und schwierigen Fragen nicht überfordern<br />

wollte.<br />

<strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> hat daher in seiner „Wirtschaftskunde“,<br />

soweit ich sehe, auch niemals die Perspektive eines industriellen<br />

Kapitalisten eingenommen, der als „Wirtschaftskapitän“<br />

von der Schiffsbrücke seines Unternehmens<br />

oder seiner Bank herab die Waren- und Geldströme<br />

beobachtet und aufgrund seiner Bilanzen und seiner<br />

Gewinn- und Verlustrechnungen seine unternehmerischen<br />

Entscheidungen trifft. Das war und ist aber in der<br />

bürgerlichen Wirtschaftswissenschaft die vorherrschende<br />

Perspektive, die es erlaubt, ein ganzes Unternehmen<br />

oder eine ganze Volkswirtschaft auf wenige Statistiken,<br />

Bilanzen und Berechnungen zu reduzieren. Alles<br />

quantitativ nicht in Geldgrößen Erfassbare fällt dann<br />

leicht aus den Berechnungen heraus, erscheint als irrelevant,<br />

was <strong>Reichwein</strong> wahrscheinlich für falsch hielt. Er<br />

hat die Wirtschaft dagegen, um im Bild zu bleiben, überwiegend<br />

von unten her gesehen, aus dem Laderaum,<br />

dem Mannschaftsraum und aus dem Maschinenraum einer<br />

nationalen Wirtschaft. Hier lagen für ihn die wesentlichen<br />

Faktoren, aus denen sich eine Wirtschaft aufbaut<br />

und die von der Wirtschaftspolitik berücksichtigt werden<br />

müssen.<br />

Daher hat ihm anscheinend auch eine Konjunktur- und<br />

Krisentheorie der kapitalistischen Wirtschaft gefehlt,<br />

obwohl diese in verschiedenen Varianten bereits vorlag,<br />

auch schon bei Marx. Bei von Koerber gibt es zwar Hin-

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