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Juden in Kaunas - Arbeit und Leben (DGB/VHS) Hochtaunus

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Kürzlich war Abba Naor, der se<strong>in</strong>en Namen aus der litauischen Urfassung <strong>und</strong> der deutschen<br />

Schreibweise Nauchowitz hebraisiert hat, beim bayerischen Kultusm<strong>in</strong>ister Thomas Goppel.<br />

Ihm nahm er das Versprechen ab, für den Erhalt der Erdhütten als sichtbares Zeichen der KZ-<br />

Außenstelle des Konzentrationslagers Dachau zu sorgen. Man glaubt es sofort, dass Naor<br />

fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> bestimmt durchsetzt, was ihm wichtig ist. Als die Geme<strong>in</strong>de Utt<strong>in</strong>g Gelände<br />

r<strong>und</strong> um die ehemalige Fabrik der Firma Dyckerhoff <strong>in</strong> Bauland verwandeln wollte, stellte<br />

Abba Naor sich quer. Erst e<strong>in</strong>mal sollte e<strong>in</strong> Mahnmal geschaffen werden <strong>und</strong> für die Pflege<br />

sowie für e<strong>in</strong> neues H<strong>in</strong>weisschild am „<strong>Juden</strong>friedhof“ gesorgt werden. Für Naor musste deutlich<br />

werden, dass es sich um e<strong>in</strong>en „jüdischen KZ-Friedhof“ handelte. Das Mahnmal gibt es<br />

<strong>in</strong>zwischen.<br />

Am Ort lebt die Tochter jener Frau, bei der er für die SS hatte <strong>Leben</strong>smittel abholen müssen.<br />

Wann immer sie konnte, hatte sie ihm e<strong>in</strong> Extrapäckchen zugeschoben. „Jeder Tag war e<strong>in</strong><br />

Todesmarsch für uns, ke<strong>in</strong>e Schläge zu bekommen, etwas zum Essen f<strong>in</strong>den, immer <strong>in</strong> höchster<br />

Alarmbereitschaft se<strong>in</strong>“, so anschaulich kommentiert Abba Naor se<strong>in</strong>e Jugenderfahrung,<br />

während er am Interview-Ort, dem Restaurant Flem<strong>in</strong>g’s im neuen Jüdischen Geme<strong>in</strong>dezentrum,<br />

die Speisekarte studiert. Auf se<strong>in</strong>e Ges<strong>und</strong>heit bedacht, erlaubt er sich schließlich e<strong>in</strong>e<br />

Suppe.<br />

Zu den Deutschen als Volk hatte Naor lange e<strong>in</strong> gestörtes Verhältnis. Die hilfsbereite Frau <strong>in</strong><br />

Utt<strong>in</strong>g war e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>zelerfahrung. Doch der Reihe nach: Auf die Befreiung während des Todesmarsches<br />

<strong>und</strong> kurze Erholung <strong>in</strong> der Junkerschule <strong>in</strong> Bad Tölz folgte der Umzug <strong>in</strong>s DP-<br />

Lager Freimann. Se<strong>in</strong>e Tage verbrachte er mit Gleichaltrigen im K<strong>in</strong>o – „mit Rita Hayworth“.<br />

Manchmal kauften sie alle Karten auf, um „den Deutschen“ den K<strong>in</strong>obesuch zu verwehren,<br />

traten ihre Zigaretten, heiß begehrte Ware, halbgeraucht vollkommen aus. „Das war unsere<br />

Nekome, unsere Rache“, fügt Naor erklärend h<strong>in</strong>zu <strong>und</strong> betont noch e<strong>in</strong>mal: „Wir waren K<strong>in</strong>der.<br />

Als wir befreit wurden, waren wir alte Leute. Wir s<strong>in</strong>d jedes Jahr jünger geworden.“<br />

In der Kaserne <strong>in</strong> Freimann fand ihn der Vater wieder. Die Rückkehr nach Litauen endete <strong>in</strong><br />

Lodz, wo der Vater se<strong>in</strong>e Schwester fand, aber auch die Gewissheit vom Tod des Großteils<br />

der Familie. Abba Naor kehrte auf Umwegen nach München zurück. Wohnte nun im DP-<br />

Lager im Deutschen Museum <strong>und</strong> wurde e<strong>in</strong>es Tages während e<strong>in</strong>er Schwarzmarktrazzia im<br />

dortigen Café verhaftet. Am Tag, da er den ehemaligen Schutzpolizisten Jordan erkannte, holte<br />

ihn der Vater aus der Haft. Jordan hatte <strong>in</strong> <strong>Kaunas</strong> den Leuten gerne gefüllte Wasserflaschen<br />

vom Kopf geschossen.<br />

Statt den ehemaligen Pe<strong>in</strong>iger anzuzeigen, wollte Naor nur noch e<strong>in</strong>es – fort nach Paläst<strong>in</strong>a.<br />

Dazu g<strong>in</strong>g es erst e<strong>in</strong>mal nach Landsberg <strong>in</strong> die ORT-Schule. Als er München verließ, versuchte<br />

der Vater, ihn noch aus dem Zug zu holen. In Paläst<strong>in</strong>a werde es Krieg geben. „Dort<br />

werde ich wie e<strong>in</strong> Mensch sterben“, antwortete der Sohn. Doch ihm war e<strong>in</strong> besseres Schicksal<br />

beschieden.<br />

Nach dem Militärdienst heiratete Naor, bekam zwei K<strong>in</strong>der. Den Vater besuchte er ab 1953<br />

immer wieder <strong>in</strong> München, wo der ehemalige Fotograf sich nach e<strong>in</strong>em kurzen erfolglosen Intermezzo<br />

<strong>in</strong> den USA niedergelassen hatte. Die Eheschließung des Vaters mit e<strong>in</strong>er nichtjüdischen<br />

Deutschen trübte das Vater-Sohn-Verhältnis nachhaltig. In den 60er-Jahren zog Abba<br />

Naor mit Frau Lea <strong>und</strong> se<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>dern nach München, wurde Gastronom, betrieb unter anderem<br />

das Café Annast am Hofgarten, das Stop-In (später La Bohème) <strong>in</strong> der Türkenstraße, traf<br />

se<strong>in</strong>en Bekannten aus K<strong>in</strong>dheitstagen <strong>und</strong> Leidensgenossen Karl Rom. Naor war geme<strong>in</strong>sam<br />

mit Berek Rajber <strong>und</strong> Jakob Nussbaum aktiv im Vorstand des TSV Maccabi <strong>und</strong> er<strong>in</strong>nert sich<br />

schmunzelnd, wie gut e<strong>in</strong> israelischer Student namens David Leschem, <strong>in</strong>zwischen angesehener<br />

Neurologe, Akkordeon spielte. München wird für Naor immer e<strong>in</strong>e besondere Bedeutung<br />

haben. Auf dem neuen Jüdischen Friedhof ruht se<strong>in</strong> Vater, der bis zu se<strong>in</strong>em Tod 1992 im Alter<br />

von fast 92 Jahren, von se<strong>in</strong>er zweiten Frau treu umsorgt wurde.<br />

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