Dossier #11: "ERINNERUNGSKULTUR UND GEDÄCHTNISPOLITIK"
Dossier #11: "ERINNERUNGSKULTUR UND GEDÄCHTNISPOLITIK"
Dossier #11: "ERINNERUNGSKULTUR UND GEDÄCHTNISPOLITIK"
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Auf jeden Fall ist zu erwarten, dass die Auseinandersetzung um Erinnerung und Aufarbeitung des Nationalsozialismus<br />
und ihr Verhältnis zu Erinnerung und Aufarbeitung des DDR-Unrechts auch im Bundestagswahlkampf<br />
2006 eine Rolle spielen wird. Eben dies ist es offenbar, worauf es den konservativen Parteien besonders ankommt.<br />
Ob und in welcher Weise Gruppen und Vereinigungen der Gesellschaft sich an dieser Auseinandersetzung beteiligen<br />
und in welcher Weise sie dabei Partei ergreifen werden, ist momentan noch nicht absehbar.<br />
Der Artikel erschien in kürzerer Version in der Zeitschrift "Horch und Guck" 45/2004<br />
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Dr. Martin Jander, geb. 21.1.1955, Historiker. Arbeitet heute als freier Autor, forscht, lehrt und publiziert zu den Themen Politische<br />
Theorien, Nationalsozialismus, Shoah und Deutsche Nachkriegsgeschichte. Er ist Mitarbeiter der Redaktion der Zeitschrift "Horch und<br />
Guck" und betreibt in Berlin die Stadtführungsagentur "Unwrapping History", die Besucher Berlins und Potsdams mit den<br />
Hinterlassenschaften der wesentlichen Epochen der verworrenen deutschen Geschichte bekannt macht. <br />
Nachtrag zur aktuellen Entwicklung in der Auseinandersetzung um die Gedenkstätte in Torgau<br />
Am 9. Mai 2004 wurde im Dokumentations- und Informationszentrum Torgau die neue Ausstellung "Spuren des<br />
Unrechts" eröffnet. Sie zeigt auf Schautafeln und Fotographien Einzelschicksale und Hintergrundinformationen zu<br />
drei Etappen Torgauer Geschichte: der NS-Militärjustiz, dem sowjetischen Speziallager 1945-48 und dem<br />
Strafvollzug der DDR zwischen 1950 und 1990. In ihrer Pressemitteilung betonte die Stiftung Sächsische<br />
Gedenkstätten: "Von einer 'Verdrängung' des Gedenkens an NS-Verfolgung kann nicht die Rede sein. Der<br />
Schwerpunkt des DIZ Torgau liegt nach wie vor auf dem Bewahren der Erinnerung an die Opfer der<br />
Wehrmachtjustiz." [PM der Stiftung vom 05.05.2004 "Wiedereröffnung der ständigen Ausstellung 'Spuren des<br />
Unrechts' in Torgau" ]<br />
Der Kritik von Ludwig Baumann, 82jähriger Wehrmachtsdeserteur und ehemaliger zum Tode verurteilter Häftling in<br />
Torgau, wollte man sich aber während der Eröffnungsfeierlichkeit dennoch nicht stellen. Die Schwerpunktsetzung<br />
der Ausstellung auf die Zeit nach 1945 wird von der Bundesvereinigung Opfer der Militärjustiz e.V. ebenso kritisiert<br />
wie die in der Ausstellungskonzeption in eine Reihe gestellten Opfer der NS-Justiz mit den nach 1945 auch in<br />
Torgau inhaftierten NS-Tätern.<br />
Die am Nachmittag im "Fort Zinna" enthüllte Informationstafel weist auf das bisherige Fehlen der NS-<br />
Militärjustizopfer in der Gedenkstätte hin, hier durfte dann auch Ludwig Baumann sprechen. Eine umfassende<br />
Gedenkstätte zur Erinnerung an die Zentrale der Wehrmachtsjustiz ist eine Gedenktafel aber nicht - diese<br />
Einrichtung steht immer noch aus.<br />
Hier noch einige Links zur Ausstellungseröffnung in Torgau<br />
7. Kein Mitleid mit den Deutschen<br />
Interview mit Marek Edelmann<br />
Der Bund der Vertriebenen hat mit seinen Plänen ein Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin zu errichten eine ganze Debatte angestoßen.<br />
Entgegen der Beteuerungen, nicht deutsche Geschichte nach 1945 sondern die europäische in den Mittelpunkt zu stellen, heißt es<br />
auf der offiziellen Homepage des Zentrums 45 : "Wir haben uns zum Ziel gesetzt, in Berlin eine Dokumentationsstätte zu schaffen, die im<br />
geschichtlichen Kontext das Schicksal der deutschen Vertriebenen und die Veränderungen Deutschlands durch ihre Integration sowie<br />
Vertreibungen und Genozid an anderen europäischen Völkern im 20. Jahrhundert in einem Gesamtüberblick erfahrbar macht." Diese<br />
Schwerpunktsetzung war genau die Befürchtung der Gegnerinnen und Gegnern eines Zentrums in Deutschland oder unter deutscher<br />
Konzeption. Inzwischen haben sich die Bildungsministerinnen und -minister europäischer Länder auf ein gemeinsames 'Europäisches<br />
Netzwerk für Zwangsmigration und Vertreibung' geeinigt, das nicht einen zentralen Sitz haben soll, sondern einzelne Orte, Gruppen<br />
und Institutionen, die mit Vertreibung im Zusammenhang stehen, vernetzen. Vermutlich wird dies in Form eines Onlineprojektes<br />
geschehen, so dass eine virtuelle Landkarte der Vertreibungen entsteht. 46<br />
Der Bund der Vertriebenen hält, ungeachtet dieser Einigung, an den Plänen eines Zentrums in Berlin fest. Gerade die Herausstellung<br />
der Deutschen als Opfer von Vertreibung sorgte im Ausland für Kritik, gerade in den Ländern, die besonders unter den Verbrechen der<br />
Deutschen leiden mussten, wie Polen, Tschechien und Russland. Marek Edelmann, der letzte überlebende Anführer des Warschauer<br />
Ghettoaufstands von 1943, gehört zu diesen Kritikern. Wir dokumentieren ein Interview, das in der polnischen Wochenzeitung<br />
Tygodnik Powszechny am 17. August 2003 erschien. Das Interview führten Krzysztof Burnetko und Jaroslaw Makowski.<br />
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D-A-S-H <strong>Dossier</strong> <strong>#11</strong> – Erinnerungskultur und Gedächtnispolitik 26