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Dossier #11: "ERINNERUNGSKULTUR UND GEDÄCHTNISPOLITIK"

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wollte nur einem Angriff der Sowjetunion zuvorkommen, der Partisanenkrieg war erst der Auslöser deutscher<br />

Gräueltaten, in den Gulags starben auch viele..."); sprachliche Abschwächungen und Verstärkungen unterstrichen die<br />

Konstruktion (für deutsche/österreichische Aktivitäten subjektlose Passivkonstruktionen und neutrale Attribute - für<br />

alliierte Aktionen dagegen emotionale Beschreibungen wie "abschlachten"); es gab Tabuthemen (Vernichtung,<br />

Zusammenarbeit SS und Wehrmacht, Freiwilligkeit) und es wurde genau ausgewählt, wer reden durfte (jüdische und<br />

andere KZ-Überlebende kamen nicht zu Wort, dafür oft die "Heimkehrer").<br />

Die Motive hinter all diesen Strategien sind relativ klar: Deutsche bzw. Österreicher wollen sich und ihre Vorfahren<br />

von der Schuld der nationalsozialistischen Verbrechen befreien und / oder am besten gar nicht mehr an diese Vergangenheit<br />

erinnert werden.<br />

Macht, Medien, Erinnerung<br />

Der Zusammenhang zwischen Medien und Erinnerungsdiskurs ist weder eine Einbahnstraße noch überhaupt mit<br />

einer simplen Ursache-Wirkungs-Beschreibung zu erfassen. Auch ist er nicht auf diese beiden Pole beschränkt. Denn<br />

beide hängen gleichzeitig mit den Machtverhältnissen in der Gesellschaft zusammen. Gesellschaftliche Gruppen und<br />

Institutionen versuchen, ihre Existenz, ihre Identität und ihre Macht über eine jeweils passende Erinnerung zu<br />

legitimieren. Die Vergangenheit ist immer an den Interessen der Gegenwart ausgerichtet. Das heißt, die aktuellen<br />

Bedürfnisse gesellschaftlicher Gruppen und Institutionen bestimmen, wie Geschichte konstruiert und ausgelegt wird.<br />

Somit ist die historische Wahrheit immer abhängig von den an die Fakten gestellten Fragen. Und auch der<br />

Erinnerungsdiskurs ist abhängig von den aktuellen Interessen und Bedürfnissen gesellschaftlicher Gruppen und<br />

Institutionen.<br />

Die hier besprochenen Medien stehen dabei an einem Ort, der ihrem Namen gerecht wird: dazwischen. Sie bilden<br />

mit der Erinnerungskultur und den aktuellen gesellschaftlichen Interessen einen Zusammenhang der gegenseitigen<br />

Abhängigkeit. Wie sieht das konkret aus?<br />

Gesellschaftliche Gruppen und Institutionen haben bestimmte aktuelle Interessen. Aus diesen folgen bestimmte<br />

Ansprüche an ein Bild der Vergangenheit. Diese Ansprüche wiederum sorgen für eine bestimmte mediale Vermittlung<br />

dieses Vergangenheitsbilds und prägen dadurch die kollektive Erinnerung (oder einen Teil von ihr). Diese<br />

kollektive Erinnerung nun wird von einer bestimmten Gruppe von Menschen in der Gesellschaft geteilt, sie werden<br />

mit ihr sozialisiert, nehmen sie in ihre individuelle Erinnerung, also ihr Geschichtsbild auf. Und diese Menschen<br />

schließlich sind selber wieder aktiv in der Formulierung und Verfolgung von aktuellen Interessen - innerhalb<br />

bestimmter Gruppen oder Institutionen. Womit sich der Kreis schließt. Um den ganzen Zusammenhang noch<br />

komplexer zu machen, sei noch darauf hingewiesen, dass sowohl die AkteurInnen innerhalb der Medien-<br />

Institutionen noch ihre eigenen Interessen verfolgen, als auch die Medien die gesellschaftlichen Gruppen und<br />

Institutionen beeinflussen. Und nicht zuletzt sind auch die MedienakteurInnen von einer bestimmten Erinnerungskultur<br />

geprägt. Also: Die in der Gegenwart medial konstruierte Vergangenheit konstruiert die Gegenwart.<br />

Das alles ist ziemlich kompliziert, deshalb braucht es Beispiele: Der bayrische Rundfunk und die südwestdeutschen<br />

Sender wollten die Ausstrahlung von "Holocaust" verhindern. Bekanntermaßen sind die öffentlich-rechtlichen<br />

Sender keineswegs so politikfern, wie sie und die Politik gern behaupten. Es zeigt sich an diesem Verhalten also<br />

deutlich der Versuch der bayrischen und baden-württembergischen Landespolitik, diesen bedeutenden Umbruch in<br />

der deutschen Erinnerungskultur, nämlich eine weite Teile der Bevölkerung erreichende Personifizierung der<br />

deutschen Untaten durch eine verfilmte Geschichte, abzuwenden. Zu ihrer Motivation liegt keine empirische<br />

Analyse vor, ich darf jedoch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit annehmen, dass es hier um die Fortsetzung der<br />

Verdrängung, des Schweigens über die TäterInnen und ihre Taten und vor allem um eine Vermeidung einer erneuten<br />

Diskussion um deutsche Schuld ging.<br />

Andererseits waren bei den Sendern, die die Ausstrahlung der Serie vorantrieben, vornehmlich dem WDR, ebenfalls<br />

politische Interessen im Spiel. In Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung sollte erreicht werden,<br />

der Öffentlichkeit ihre (vorhandenen) Wissenslücken zum Holocaust nachzuweisen und die Nachfrage nach Bildung<br />

und Information anzukurbeln. Außerdem sollte eine öffentliche Diskussion über die Verbrechen der Deutschen im<br />

"Dritten Reich" angestoßen werden, unter anderem, da es Bestrebungen gab, die anstehende Verjährungsfrist für<br />

Kriegsverbrechen aufzuheben. Nicht zufällig wurde in der vorher und nachher durchgeführten ZuschauerInnenbefragung<br />

auch die Frage gestellt, ob die Interviewten eine weitere Verfolgung von Kriegsverbrechen und<br />

Verbrechen des Nationalsozialismus bejahen würden. Die Zustimmung stieg durch die Sendung von 15 auf 39%<br />

bzw. von 33 auf 50%. 60<br />

60 Brandt, Susanne: Holocaust - redaktionell bearbeitet, S.90<br />

D-A-S-H <strong>Dossier</strong> <strong>#11</strong> – Erinnerungskultur und Gedächtnispolitik 35

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