Graf István Széchenyi auf dem Weg in die Politik. Der ... - EPA
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136 ELEMÉR SZENTKIRÁLYI<br />
befaßt hatte. Im elterlichen Haus gab es e<strong>in</strong> bedeutendes musikalisches Leben. Er<br />
selbst spielte Flöte. Franz Liszt kannte er persönlich. Die Persönlichkeit des Komponisten<br />
sprach ihn an, über dessen Musik äußerte er sich jedoch sehr zurückhaltend.<br />
Nur <strong>die</strong> Musik von János Bihari löste e<strong>in</strong>e Begeisterung <strong>in</strong> ihm aus. Se<strong>in</strong>e<br />
literarische Bildung war ungewöhnlich umfangreich. Die ganze europäische Belletristik<br />
war dar<strong>in</strong> vertreten. Er berief sich <strong>auf</strong> <strong>die</strong> ungarische schöngeistige Literatur<br />
jedoch erst nach se<strong>in</strong>em 40. Lebensjahr. Noch gründlicher als se<strong>in</strong>e literarische<br />
war se<strong>in</strong>e philosophische, politische und volkswirtschaftliche Bildung. Es lag <strong>in</strong><br />
der Natur der Sache, daß nur se<strong>in</strong>e politische Bildung ungarische Elemente hatte.<br />
Se<strong>in</strong>e historische Bildung, besonders über das Altertum und <strong>die</strong> Geschichtsphilosophie,<br />
war sehr ansehnlich. Se<strong>in</strong>e Kenntnisse von der ungarischen Nationalgeschichte<br />
waren bescheiden, deren Kapitel über <strong>die</strong> ruhmreiche Vergangenheit<br />
hielt er mit voller Überzeugung für übertrieben. Das Niveau se<strong>in</strong>er geographischen<br />
Bildung war sehr unterschiedlich. Se<strong>in</strong> Wissen von der politischen<br />
Geographie Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Englands waren weit über<br />
<strong>dem</strong> Durchschnitt. Ziemlich orientiert war er auch <strong>in</strong> H<strong>in</strong>sicht <strong>auf</strong> Holland, Belgien<br />
und <strong>die</strong> Türkei. Bekannt waren ihm nur <strong>die</strong>jenigen Teile Ungarns, <strong>die</strong> er bereist<br />
hatte. Se<strong>in</strong>e physikalische, zoologische und botanische Bildung war unbedeutend,<br />
<strong>die</strong> m<strong>in</strong>eralogische bereits bedeutender. Er hatte e<strong>in</strong>e sehr gründliche<br />
technische Bildung. Auch se<strong>in</strong> landwirtschaftliches Wissen war vielseitig, und <strong>auf</strong><br />
<strong>dem</strong> Gebiete der Pferdezucht war er e<strong>in</strong>er der hervorragendsten Fachmänner Europas.<br />
Ausgesprochen solide war se<strong>in</strong>e militärische Fachbildung. Man kann also<br />
sehen, daß <strong>Széchenyi</strong>s Bildungsgut mit ungarischem Bezug an der Schwelle se<strong>in</strong>es<br />
30. Lebensjahres <strong>auf</strong> ke<strong>in</strong>en Fall größer war als das e<strong>in</strong>es gebildeteren nichtungarischen<br />
Europäers.<br />
»Bezüglich des größten Ungarn 97 ist <strong>die</strong>se Ersche<strong>in</strong>ung sehr überraschend«,<br />
schrieb Viktor Padányi <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vorzüglichen Stu<strong>die</strong>. 98 Es fragt sich, warum im<br />
Bildungsgut <strong>Széchenyi</strong>s das ungarische Element fehlte. Auch aus e<strong>in</strong>igen se<strong>in</strong>em<br />
Tagebuch entnommenen Gedanken ist zu ersehen, daß es ihm, <strong>dem</strong> allmählich<br />
zum Ungarn Werdenden, immer wichtiger vorkam, das harte Los se<strong>in</strong>er Landsleute<br />
zu mildern. Se<strong>in</strong> Gerechtigkeitsgefühl und se<strong>in</strong>e Menschenliebe hielten es<br />
für richtig, wenn jeder Mensch gleiche Chancen für <strong>die</strong> Hebung se<strong>in</strong>es Wohlstandes<br />
habe. Natürlich dachte er <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie an <strong>die</strong> Ungarn. Er konnte <strong>die</strong> Realisie-<br />
97 Fontes {kam. 28), Bd. 6/1, S. 788, Anmerkung. Lajos Kossuth nannte <strong>István</strong> <strong>Széchenyi</strong> zweimal<br />
den größten Ungarn: Als er am 19. Juni 1840 aus se<strong>in</strong>er Haft freikam und den Ständen des Komitats<br />
Pest für deren Unterstützung dankte: »[...] jemand, der stärker <strong>die</strong> Jahrhunderte prägen könnte, der<br />
wirksamer <strong>die</strong> nationale Erneuerung fördern würde, mit e<strong>in</strong>em Wort, der e<strong>in</strong> größerer Ungar wäre,<br />
kenne ich nicht <strong>in</strong> den Annale» me<strong>in</strong>er Nation, dessen Name, der Name <strong>István</strong> <strong>Széchenyi</strong>, von je<strong>dem</strong><br />
Ungarn, solange es Ungarn gibt, nur mit tiefer Dankbarkeit und treuer Begeisterung erwähnt<br />
werden wird.« Und am 19. November 1840, als er am dritten Tag der Generalversammlung des<br />
Pester Komitates wegen der Verletzung des Briefgeheimnisses <strong>die</strong> Postämter heftig angriff: »[...]<br />
<strong>die</strong> 52 Komitate, wie der größte Patriot [<strong>Széchenyi</strong>] <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Werke sagte, 52 besondere Staaten<br />
bilden werden.« So steht es im offiziellen deutschsprachigen Protokoll der Sitzung.<br />
» PADÄNYI (Aran. 1), S. 170.