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spricht dagegen, dass sie zwar entsteht und sich irgendwo anders her zusammensetzt und so existiert,<br />
bevor sie in einen menschlichen Körper gelangt, wenn sie aber hineingelangt ist und sich von ihm wieder<br />
trennt, dann auch selbst stirbt und zugrundegeht?"<br />
[77c] "Du hast recht, Simmias", sagte Kebes. "Es scheint ja, dass gleichsam nur die Hälfte von dem<br />
bewiesen ist, was bewiesen werden muss, nämlich dass unsere Seele vor der Geburt existiert hat. Wir<br />
müssen zusätzlich beweisen, dass sie ebenso nach dem Tod noch existieren wird wie vor der Geburt, wenn<br />
die Beweisführung zum Ziel kommen soll."<br />
"Das ist schon bewiesen, Simmias und Kebes", sagte Sokrates, "wenn ihr diesen Beweis mit dem verbinden<br />
wollt, über den wir uns vor diesem hier einig geworden sind, nämlich dass alles Lebende aus dem Toten<br />
kommt. Wenn nämlich [77d] die Seele vor der Geburt existiert und zwangsläufig nirgendwoanders her ins<br />
Leben kommt und entsteht als aus dem Tod und dem Totsein, wie kann es dann anders sein, als dass sie<br />
zwangsläufig auch nach dem Tod noch existiert, da sie doch wieder entstehen muss? Also ist bewiesen,<br />
was ihr eben gesagt habt. Aber ich habe den Eindruck, dass ihr, du und Simmias, auch diese<br />
Argumentation noch weiter genau durchsprechen wollt, und dass ihr die typische kindliche Furcht habt,<br />
dass wirklich der Wind sie zerbläst und zerstreut, wenn sie aus dem Körper austritt – [77e] ganz besonders<br />
dann, wenn man nicht während einer Windstille stirbt, sondern während eines heftigen Sturms."<br />
Und Kebes lachte und sagte: "Dann versuche, Sokrates, es uns zu erklären, als hätten wir Angst – oder<br />
noch besser, nicht als hätten wir Angst, sondern vielleicht so, als wäre in uns ein kleiner Junge, der vor<br />
solchen Dingen Angst hat. Diesen versuche umzustimmen, so dass er den Tod nicht mehr fürchtet wie ein<br />
Schreckgespenst."<br />
"Nun", sagte Sokrates, "dann müsst ihr jeden Tag Zaubersprüche für ihn singen, bis ihr die Angst<br />
hinausgesungen habt."<br />
[78a] "Woher aber, Sokrates", fragte Kebes, "sollen wir einen tüchtigen Zauberer für solche Sprüche<br />
nehmen – da doch du", fuhr er fort, "uns verlässt?"<br />
"Hellas ist groß", sagte Sokrates, "und es leben viele tüchtige Männer darin und viele Barbarenstämme, die<br />
man alle durchforschen muss, wenn man einen solchen Zaubersänger sucht, ohne Geld und Mühen zu<br />
scheuen, denn für nichts könntet ihr euer Geld sinnvoller anlegen als dafür. Ihr müsst aber auch unter euch<br />
suchen, denn vielleicht könnt ihr gar nicht so leicht jemanden findet, der besser als ihr selbst in der Lage<br />
wäre, das zu tun."