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"Wir sprachen aber vom Sichtbaren und Unsichtbare für die menschliche Natur – oder für irgendeine<br />
andere?"<br />
"Nein, die menschliche."<br />
"Was können wir von der Seele sagen? Dass sie sichtbar ist oder unsichtbar?"<br />
"Sie ist nicht sichtbar."<br />
"Also unsichtbar?"<br />
"Ja."<br />
"Also ist die Seele dem Unsichtbaren ähnlicher als der Körper, dieser aber dem Sichtbaren ähnlicher."<br />
[79c] "Auf jeden Fall, Sokrates."<br />
"Sagen wir nicht auch schon lange, dass die Seele, wenn sie den Körper zu einer Untersuchung hinzuzieht,<br />
durch das Sehen oder das Hören oder sonst einen Sinn – denn 'mittels des Körpers' bedeutet ja: etwas<br />
mittels der Sinne zu untersuchen – dass sie dann vom Körper zu den Dingen hingeschleppt wird, die<br />
niemals gleich bleiben, und dann herumirrt und verwirrt ist und taumelt, als wäre sie betrunken, weil sie ja<br />
mit ebensolchen Dingen in Berührung steht?"<br />
"Gewiss."<br />
[79d] "Wenn sie aber für sich allein etwas untersucht, geht sie fort in das Reine, Immerseiende,<br />
Unsterbliche und Gleichbleibende, und weil sie sich diesem verwandt fühlt, bleibt sie immer bei ihm, wann<br />
immer sie für sich allein ist und es ihr möglich ist, und ruht sich von dem Herumirren aus und bleibt in der<br />
Gegenwart dieser Dinge (περὶ ἐκεῖνα, vgl. 75e) sich immer ganz gleich, weil sie ja mit ebensolchen Dingen<br />
in Berührung ist; und dieser Zustand der Seele wird Vernunft (φρόνησις) genannt, nicht wahr?"<br />
"Es ist vollkommen richtig und wahr, was du da sagst, Sokrates", sagte Kebes.<br />
"Welcher von beiden Klassen (εἴδει) scheint dir nach dem, was wir vorhin und [79e] gesagt haben, die<br />
Seele ähnlicher und verwandter zu sein?"