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PLATON, PHAIDON

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2.1.1 AUSGANGSPUNKT: FÜR DIE PHILOSOPHEN IST DER TOD WÜNSCHENSWERT, WEIL ER<br />

UNABHÄNGIGKEIT VOM KÖRPER BEDEUTET – WENN ES EIN DASEIN NACH DEM TOD<br />

GIBT ('APOLOGIE') (59D-69E)<br />

Nun nahm Kebes das Wort und sagte: "Beim Zeus, Sokrates, es ist gut, dass du mich daran erinnerst. Denn<br />

zu den [60d] Gedichten, die du verfasst hast, indem du die Fabeln des Aisopos und den Apollon-Hymnos<br />

in Verse gebracht hast, haben mich schon andere befragt und vorgestern auch Euenos: Was du dir wohl<br />

dabei gedacht hast, sie zu schreiben, als du hierher kamst, wo du doch vorher noch nie etwas gedichtet<br />

hattest. Wenn dir nun daran liegt, dass ich dem Euenos eine Antwort geben kann, wenn er mich wieder<br />

fragt – und ich weiß, dass er mich wieder fragen wird –, dann sag mir, was ich antworten soll."<br />

"Sag ihm die Wahrheit, Kebes", sagte Sokrates, "dass ich es nicht in dem Wunsch tat, mit ihm in der<br />

Dichtung zu rivalisieren, [60e] – denn ich wüsste wohl, dass das nicht einfach wäre – sondern weil ich<br />

prüfen wollte, was gewisse Träume zu bedeuten hätten, und meine heilige Pflicht erfüllen wollte, für den<br />

Fall, dass diese Träume mir tatsächlich viele Male den Auftrag gegeben haben sollten, diese Kunst<br />

auszuüben. Es war nämlich so: Mir ist in meinem vergangenen Leben oft derselbe Traum begegnet, bald in<br />

dieser, bald in jener Gestalt, aber immer mit denselben Worten: 'Sokrates', sagte er, 'betreibe Kunst und<br />

übe dich darin!' Und ich dachte früher immer, dass er mir auftrug, genau das zu tun, was ich bereits tat;<br />

dass nämlich der Traum mich antrieb [61a] und bestärkte – so wie Leute, die Läufer anfeuern – das zu tun,<br />

was ich bereits tat, nämlich Kunst auszuüben, weil die Philosophie meiner Meinung nach die schönste<br />

Kunst ist und ich mich ja damit beschäftigte. Nun aber, nach dem Prozess, als das Fest des Gottes (die<br />

Delien) meine Hinrichtung verzögerte, schien es mir nötig zu sein, für den Fall, dass der Traum mir doch in<br />

Wirklichkeit all die Male aufgetragen hatte, 'Kunst' im landläufigen Sinne zu betreiben, ihm nicht<br />

ungehorsam zu sein, sondern das zu tun. Denn es schien mir sicherer, nicht aus dem Leben zu gehen,<br />

bevor ich meine heilige Pflicht erfüllt hätte, [61b] indem ich Gedichte schriebe und dem Traum gehorchte.<br />

So verfasste ich also das erste Gedicht für den Gott, dem das gegenwärtige Fest dargebracht wurde, und<br />

nach dem Gott – weil ich mir überlegt hatte, dass ein Dichter, wenn er wirklich ein Dichter sein will,<br />

Geschichten und nicht Diskurse schreiben müsse und dass ich selbst kein Geschichtenerfinder bin –<br />

deshalb also habe ich von den Geschichten, die ich zur Hand hatte und kannte, nämlich denen des<br />

Aisopos, die ersten, die ich fand, in Verse gebracht. Das also, Kebes, sag dem Euenos, und dass er gesund<br />

sein und mir so bald wie möglich folgen möge, wenn er bei Verstand ist. [61c] Wie es aussieht, werde ich<br />

ja heute aufbrechen, denn die Athener befehlen es."

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