Der Sandmann Nathanael an Lothar Gewiß seid Ihr ... - ETA Hoffmann
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In dieser Zeit beschloß er, sich von jedem Geschäft g<strong>an</strong>z zurückzuziehen. Er trat seine Justitiariate <strong>an</strong> <strong>an</strong>dere ab, und<br />
so war mir jede Hoffnung verschwunden, jemals wieder nach R..sitten zu kommen. Nur meine Pflege litt der Alte, nur<br />
von mir verl<strong>an</strong>gte er unterhalten, aufgeheitert zu werden. Aber wenn auch in schmerzlosen Stunden seiner Heiterkeit<br />
wiedergekehrt war, wenn es <strong>an</strong> derben Späßen nicht fehlte, wenn es selbst zu Jagdgeschichten kam, und ich jeden<br />
Augenblick vermutete, meine Heldentat, wie ich den greulichen Wolf mit dem Jagdmesser erlegt, würde herhalten<br />
müssen – niemals – niemals erwähnte er unseres Aufenthalts in R..sitten, und wer mag nicht einsehen, daß ich aus<br />
natürlicher Scheu mich wohl hütete, ihn geradezu darauf zu bringen.<br />
Meine bittre Sorge, meine stete Mühe um den Alten hatte Seraphinens Bild in den Hintergrund gestellt. Sowie des<br />
Alten Kr<strong>an</strong>kheit nachließ, gedachte ich lebhafter wieder jenes Moments im Zimmer der Baronin, der mir wie ein<br />
leuchtender, auf ewig für mich untergeg<strong>an</strong>gener Stern erschien. Ein Ereignis rief allen empfundenen Schmerz hervor,<br />
indem es mich zugleich, wie eine Erscheinung aus der Geisterweit, mit eiskalten Schauern durchbebte!<br />
Als ich nämlich eines Abends die Brieftasche, die ich in R..sitten getragen, öffne, fällt mir aus den aufgeblätterten<br />
Papieren eine dunkle, mit einem weißen B<strong>an</strong>de umschlungene Locke entgegen, die ich augenblicklich für<br />
Seraphinens Haar erkenne! Aber als ich das B<strong>an</strong>d näher betrachte, sehe ich deutlich die Spur eines Blutstropfens!<br />
Vielleicht wußte Adelheid in jenen Augcnblicken des bewußtlosen Wahnsinns, der mich am letzten Tage ergriffen, mir<br />
dies Andenken geschickt zuzustellen, aber warum der Blutstropfe, der mich Entsetzliches ahnen ließ und jenes<br />
beinahe zu schäfermäßige Pf<strong>an</strong>d zur schauervollen Mahnung <strong>an</strong> eine Leidenschaft, die teures Herzblut kosten<br />
konnte, hinaufsteigerte?<br />
Das war jenes weiße B<strong>an</strong>d, das mich, zum erstenmal Seraphinen nahe, wie<br />
im leichten losen Spiel umflatterte, und dem nun die dunkle Macht das<br />
Wahrzeichen der Verletzung zum Tode gegeben. Nicht spielen soll der<br />
Knabe mit der Waffe, deren Gefährlichkeit er nicht ermißt!<br />
Endlich hatten die Frühlingsstürme zu toben aufgehört, der Sommer behauptete sein Recht, und war erst die Kälte<br />
unerträglich, so wurd’ es nun, als der Julius begonnen, die Hitze. <strong>Der</strong> Alte erkräftigte sich zusehends und zog, wie er<br />
sonst zu tun pflegte, in einen Garten der Vorstadt. An einem stillen lauen Abende saßen wir in der duftenden<br />
Jasminlaube, der Alte war ungewöhnlich heiter und dabei nicht, wie sonst, voll sarkastischer Ironie, sondern mild,<br />
beinahe weich gestimmt.<br />
»Vetter«, fing er <strong>an</strong>, »ich weiß nicht, wie mir heute ist, ein g<strong>an</strong>z besonderes Wohlsein, wie ich es seit vielen Jahren<br />
nicht gefühlt, durchdringt mich mit gleichsam elektrischer Wärme. Ich glaube, das verkündet mir einen baldigen Tod.«<br />
Ich mühte mich, ihn von dem düstern Ged<strong>an</strong>ken abzubringen. »Laß es gut sein, Vetter«, sprach er, »l<strong>an</strong>ge bleibe ich<br />
nicht mehr hier unten, und da will ich dir noch eine Schuld abtragen! Denkst du noch <strong>an</strong> die Herbstzeit in R..sitten?« –<br />
Wie ein Blitz durchfuhr mich diese Frage des Alten, noch ehe ich zu <strong>an</strong>tworten vermochte, fuhr er weiter fort: »<strong>Der</strong><br />
Himmel wollte es, daß du dort auf g<strong>an</strong>z eigne Weise eintratst und wider deinen Willen eingeflochten wurdest in die<br />
tiefsten Geheimnisse des Hauses. Jetzt ist es <strong>an</strong> der Zeit, daß Du alles erfahren mußt.<br />
Oft genug, Vetter, haben wir über Dinge gesprochen, die du mehr ahntest als verst<strong>an</strong>dest. Die Natur stellt den Zyklus<br />
des menschlichen Lebens in dem Wechsel der Jahreszeiten symbolisch dar, das sagen sie alle, aber ich meine das<br />
auf <strong>an</strong>dere Weise als alle. Die Frühlingsnebel fallen, die Dünste des Sommers verdampfen, und erst des Herbstes<br />
reiner Äther zeigt deutlich die ferne L<strong>an</strong>dschaft, bis das Hienieden versinkt in die Nacht des Winters.<br />
Ich meine, daß im Hellsehen des Alters sich deutlicher das Walten der unerforschlichen Macht zeigt. Es sind Blicke<br />
vergönnt in das gelobte L<strong>an</strong>d, zu dem die Pilgerfahrt beginnt mit dem zeitlichen Tode.