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Der Sandmann Nathanael an Lothar Gewiß seid Ihr ... - ETA Hoffmann

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übergeg<strong>an</strong>gen; es habe keiner Erklärung über den Erbschafts<strong>an</strong>tritt bedurft, da der Majoratsfolge nicht entsagt<br />

werden könne, mithin dürfte der jetzige Majoratsherr in dem Besitze nicht durch g<strong>an</strong>z illiquide Ansprüche turbiert<br />

werden.<br />

Was der Verstorbene für Grund gehabt habe, einen <strong>an</strong>dern Majoratsherrn aufzustellen, sei g<strong>an</strong>z gleichgültig, nur<br />

werde bemerkt, daß er selbst, wie aus den nachgelassenen Papieren erforderlichen Falls nachgewiesen werden<br />

könne, eine Liebschaft in der Schweiz gehabt habe, und so sei vielleicht der <strong>an</strong>gebliche Bruderssohn der eigne, in<br />

einer verbotenen Liebe erzeugte, dem er in einem Anfall von Reue das reiche Majorat zuwenden wollen.<br />

So sehr auch die Wahrscheinlichkeit für die im Testament behaupteten Umstände sprach, so sehr auch die Richter<br />

hauptsächlich die letzte Wendung, in der der Sohn sich nicht scheute, den Verstorbenen eines Verbrechens<br />

<strong>an</strong>zuklagen, empörte, so blieb doch die Ansicht der Sache, wie sie aufgestellt worden, die richtige, und nur den<br />

rastlosen Bemühungen V.s, der bestimmten Versicherung, daß der die Legitimation des Freiherrn Roderich von R.<br />

bewirkende Beweis in kurzer Zeit auf das bündigste geführt werden solle, konnte es gelingen, daß die Übergabe des<br />

Majorats noch ausgesetzt und die Fortdauer der Administration bis nach entschiedener Sache verfügt wurde.<br />

V.sah nur zu gut ein, wie schwer es ihm werden würde, sein Versprechen zu halten. Er hatte alle Briefschaften des<br />

alten Roderich durchstöbert, ohne die Spur eines Briefes oder sonst eines Aufsatzes zu finden, der Bezug auf jenes<br />

Verhältnis Wolfg<strong>an</strong>gs mit dem Fräulein von St. Val gehabt hätte. Ged<strong>an</strong>kenvoll saß er in R..sitten in dem<br />

Schlafkabinett des alten Roderich, das er g<strong>an</strong>z durchsucht, und arbeitete <strong>an</strong> einem Aufsatze für den Notar in Genf,<br />

der ihm als ein scharfsinniger tätiger M<strong>an</strong>n empfohlen worden, und der ihm einige Notizen schaffen sollte, die die<br />

Sache des jungen Freiherrn ins klare bringen konnten.<br />

Es war Mitternacht worden, der Vollmond schien heil hinein in den <strong>an</strong>stoßenden Saal, dessen Tür offen st<strong>an</strong>d. Da war<br />

es, als schritte jem<strong>an</strong>d l<strong>an</strong>gsam und schwer die Treppe herauf und klirre und klappere mit Schlüsseln. V. wurde<br />

aufmerksam, er st<strong>an</strong>d auf, ging in den Saal und vernahm nun deutlich, daß jem<strong>an</strong>d sich durch den Flur der Türe des<br />

Saals nahte. Bald darauf wurde diese geöffnet, und ein Mensch mit leichenblassem entstellten Antlitz, in<br />

Nachtkleidern, in der einen H<strong>an</strong>d den Armleuchter mit brennenden Kerzen, in der <strong>an</strong>dern den großen Schlüsselbund,<br />

trat l<strong>an</strong>gsam hinein.<br />

V. erk<strong>an</strong>nte augenblicklich den Hausverwalter und war im Begriff, ihm zuzurufen, was er so spät in der Nacht wolle,<br />

als ihn in dem g<strong>an</strong>zen Wesen des Alten, in dem zum Tode erstarrten Antlitz etwas Unheimliches, Gespenstisches mit<br />

Eiskälte <strong>an</strong>hauchte. Er erk<strong>an</strong>nte, daß er einen Nachtw<strong>an</strong>dler vor sich habe. <strong>Der</strong> Alte ging mit gemessenen Schritten<br />

quer durch den Saal, gerade los auf die vermauerte Tür, die ehemals zum Turm führte. Dicht vor derselben blieb er<br />

stehen und stieß aus tiefer Brust einen heulenden Laut aus, der so entsetzlich in dem g<strong>an</strong>zen Saale widerhallte, daß<br />

V. erbebte vor Grauen.<br />

D<strong>an</strong>n, den Armleuchter auf den Fußboden gestellt, den Schlüsselbund <strong>an</strong> den Gürtel gehängt, fing D<strong>an</strong>iel <strong>an</strong>, mit<br />

beiden Händen <strong>an</strong> der Mauer zu kratzen, daß bald das Blut unter den Nägeln hervorquoll, und dabei stöhnte er und<br />

ächzte, wie gepeinigt von einer namenlosen Todesqual. Nun legte er das Ohr <strong>an</strong> die Mauer, als wolle er irgend etwas<br />

erlauschen, d<strong>an</strong>n winkte er mit der H<strong>an</strong>d, wie jem<strong>an</strong>den beschwichtigend, bückte sich, den Armleuchter wieder vom<br />

Boden aufhebend, und schlich mit leisen gemessenen Schritten nach der Türe zurück.<br />

V. folgte ihm behutsam mit dem Leuchter in der H<strong>an</strong>d. Es ging die Treppe herab, der Alte schloß die große Haupttür<br />

des Schlosses auf, V. schlüpfte geschickt hindurch; nun begab er sich nach dem Stall, und nachdem er zu V.s tiefem<br />

Erstaunen den Armleuchter so geschickt hingestellt hatte, daß das g<strong>an</strong>ze Gebäude genugsam erhellt wurde ohne<br />

irgendeine Gefahr, holte er Sattel und Zeug herbei und rüstete mit großer Sorglichkeit, den Gurt fest-, die Steigbügel<br />

hinaufschnallend, ein Pferd aus, das er losgebunden von der Krippe.

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