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Der Sandmann Nathanael an Lothar Gewiß seid Ihr ... - ETA Hoffmann

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Damit hüllte sich der Alte in die Decke und schien sofort einzuschlafen. Als ich die Kerzen ausgelöscht und mich auch<br />

ins Bette gelegt hatte, vernahm ich, daß der Alte leise betete.<br />

Am <strong>an</strong>dern Morgen ging die Arbeit los, der Wirtschaftsinspektor kam mit den Rechnungen, und Leute meldeten sich,<br />

die irgendeinen Streit geschlichtet, irgendeine Angelegenheit geordnet haben wollten. Mittags ging der Großonkel mit<br />

mir herüber in den Seitenflügel, um den beiden alten Baronessen in aller Form aufzuwarten. Fr<strong>an</strong>z meldete uns, wir<br />

mußten einige Augenblicke warten und wurden d<strong>an</strong>n durch ein sechzigjähriges gebeugtes, in bunte Seide gekleidetes<br />

Mütterchen, die sich das Kammerfräulein der gnädigen Herrschaft n<strong>an</strong>nte, in das Heiligtum geführt.<br />

Da empfingen uns die alten, nach längst verjährter Mode abenteuerlich geputzten Damen mit komischem Zeremoniell,<br />

und vorzüglich war ich ein Gegenst<strong>an</strong>d ihrer Verwunderung, als der Großonkel mich mit vieler Laune als einen<br />

jungen, ihm beisteheenden Justizm<strong>an</strong>n vorstellte. In ihren Mienen lag es, daß sie bei meiner Jugend das Wohl der<br />

R..sittenschen Untert<strong>an</strong>en gefährdet glaubten.<br />

<strong>Der</strong> g<strong>an</strong>ze Auftritt bei den alten Damen hatte überhaupt viel Lächerliches, die Schauer der verg<strong>an</strong>genen Nacht<br />

fröstelten aber noch in meinem Innern, ich fühlte mich wie von einer unbek<strong>an</strong>nten Macht berührt, oder es war mir<br />

vielmehr, als habe ich schon <strong>an</strong> den Kreis gestreift, den zu überschreiten und rettungslos unterzugehen es nur noch<br />

eines Schritts bedürfte, als könne nur das Aufbieten aller mir inwohnenden Kraft mich gegen das Entsetzen schützen,<br />

das nur dem unheilbaren Wahnsinn zu weichen pflegt. So kam es, daß selbst die alten Baronessen in ihren seltsamen<br />

hochaufgetürmten Frisuren, in ihren wunderlichen stoffnen, mit bunten Blumen und Bändern ausstaffierten Kleidern<br />

mir statt lächerlich, g<strong>an</strong>z graulich und gespenstisch erschienen.<br />

In den alten gelbverschrumpften Gesichtern, in den blinzenden Augen wollt’ ich es lesen, in dem schlechten<br />

Fr<strong>an</strong>zösisch, das halb durch die eingekniffenen blauen Lippen, halb durch die spitzen Nasen herausschnarrte, wollt’<br />

ich es hören, wie sich die Alten mit den unheimlichen, im Schlosse herumspukenden Wesen wenigstens auf guten<br />

Fuß gesetzt hätten und auch wohl selbst Verstörendes und Entsetzliches zu treiben vermochten.<br />

<strong>Der</strong> Großonkel, zu allem Lustigen aufgelegt, verstrickte mit seiner Ironie die Alten in ein solches tolles Gewäsche, daß<br />

ich in <strong>an</strong>derer Stimmung nicht gewußt hätte, wie das ausgelassenste Gelächter in mich hineinschlucken, aber wie<br />

gesagt, die Baronessen samt ihrem Geplapper waren und blieben gespenstisch, und der Alte, der mir eine besondere<br />

Lust bereiten wollte, blickte mich ein Mal übers <strong>an</strong>dere g<strong>an</strong>z verwundert <strong>an</strong>.<br />

Sowie wir nach Tische in unserm Zimmer allein waren, brach er los:<br />

»Aber, Vetter, sag’ mir um des Himmels willen, was ist dir? – Du<br />

lachst nicht, du sprichst nicht, du issest nicht, du trinkst nicht?<br />

Bist du kr<strong>an</strong>k? oder fehlt es sonst wor<strong>an</strong>?«<br />

Ich nahm jetzt gar keinen Anst<strong>an</strong>d, ihm alles Grauliche, Entsetzliche, was ich in voriger Nacht überst<strong>an</strong>den, g<strong>an</strong>z<br />

ausführlich zu erzählen. Nichts verschwieg ich, vorzüglich auch nicht, daß ich viel Punsch getrunken und in Schillers<br />

»Geisterseher« gelesen. »Bekennen muß ich dies«, setzte ich hinzu, »denn so wird es glaublich, daß meine<br />

überreizte arbeitende F<strong>an</strong>tasie all die Erscheinungen schuf, die nur innerhalb den Wänden meines Gehirns<br />

existierten.«<br />

Ich glaubte, daß nun der Großonkel mir derb zusetzen würde mit körnichten Späßen über meine Geisterseherei, statt<br />

dessen wurde er sehr ernsthaft, starrte in den Boden hinein, warf d<strong>an</strong>n den Kopf schnell in die Höhe und sprach, mich<br />

mit dem brennenden Blick seiner Augen <strong>an</strong>schauend: »Ich kenne dein Buch nicht, Vetter! aber weder seinem, noch<br />

dem Geist des Punsches hast du jenen Geisterspuk zu verd<strong>an</strong>ken. Wisse, daß ich dasselbe, was dir widerfuhr,

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