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Der Sandmann Nathanael an Lothar Gewiß seid Ihr ... - ETA Hoffmann

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alten Herrn tief gebeugt hatte, und er nun den Verlust zu verschmerzen beg<strong>an</strong>n, wohl aber auch, daß er nun nicht, wie<br />

sonst, kalte Nächte schlaflos auf dem Turm zubringen und bessere Kost, guten Wein, wie es ihm gefiel, genießen<br />

durfte, genug, aus dem Greise schien ein rüstiger M<strong>an</strong>n werden zu wollen mit roten W<strong>an</strong>gen und wohlgenährtem<br />

Körper, der kräftig auftrat und mit lauter Stimme mitlachte, wo es einen Spaß gab.<br />

Das lustige Leben in R..sitten wurde durch die Ankunft eines M<strong>an</strong>nes unterbrochen, von dem m<strong>an</strong> hätte denken<br />

sollen, er gehöre nun gerade hin. Wolfg<strong>an</strong>gs jüngerer Bruder, Hubert, war dieser M<strong>an</strong>n, bei dessen Anblick Wolfg<strong>an</strong>g,<br />

im Antlitz den bleichen Tod, laut aufschrie: »Unglücklicher, was willst du hier!« Hubert stürzte dem Bruder in die Arme,<br />

dieser faßte ihn aber und zog ihn mit sich fort und hinauf in ein entferntes Zimmer, wo er sich mit ihm einschloß.<br />

Mehrere Stunden blieben beide zusammen, bis endlich Hubert herabkam mit verstörtem Wesen und nach seinen<br />

Pferden rief.<br />

<strong>Der</strong> Justitiarius trat ihm in den Weg, er wollte vorüber, V., von der Ahnung ergriffen, daß vielleicht gerade hier ein<br />

tödlicher Bruderzwist enden könnte, bat ihn, wenigstens ein paar Stunden zu verweilen, und in dem Augenblick kam<br />

auch der Freiherr herab, laut rufend: »Bleibe hier, Hubert! Du wirst dich besinnen!« – Huberts Blicke heiterten sich<br />

auf, er gew<strong>an</strong>n Fassung, und indem er den reichen Leibpelz, den er, schnell abgezogen, hinter sich dem Bedienten<br />

zuwarf, nahm er V.s H<strong>an</strong>d und sprach, mit ihm in die Zimmer schreitend, mit einem verhöhnenden Lächeln: »<strong>Der</strong><br />

Majoratsherr will mich doch also hier leiden.«<br />

V. meinte, daß gewiß sich jetzt das unglückliche Mißverständnis lösen werde, welches nur bei getrenntem Leben<br />

habe gedeihen können. Hubert nahm die stählerne Z<strong>an</strong>ge, die beim Kamin st<strong>an</strong>d, zur H<strong>an</strong>d, und indem er damit ein<br />

astiges, dampfendes Stück Holz ausein<strong>an</strong>der klopfte und das Feuer besser aufschürte, sprach er zu V.: »Sie merken,<br />

Herr Justitiarius, daß ich ein gutmütiger Mensch bin und geschickt zu allerlei häuslichen Diensten. Aber Wolfg<strong>an</strong>g ist<br />

voll der wunderlichsten Vorurteile und – ein kleiner Geizhals.«<br />

V. f<strong>an</strong>d es nicht geraten, weiter in das Verhältnis der Brüder einzudringen, zumal Wolfg<strong>an</strong>gs Gesicht, sein Benehmen,<br />

sein Ton den durch Leidenschaften jeder Art im Innersten zerrissenen Menschen g<strong>an</strong>z deutlich zeigte.<br />

Um des Freiherrn Entschlüsse in irgendeiner das Majorat betreffenden Angelegenheit zu vernehmen, ging V. noch am<br />

späten Abend hinauf in sein Gemach. Er f<strong>an</strong>d ihn, wie er, die Arme über den Rücken zusammengeschränkt, g<strong>an</strong>z<br />

verstört mit großen Schritten das Zimmer maß. Er blieb stehen, als er endlich den Justitiarius erblickte, faßte seine<br />

beiden Hände, und düster ihm ins Auge schauend, sprach er mit gebrochener Stimme: »Mein Bruder ist gekommen!<br />

Ich weiß«, fuhr er fort, als V. kaum den Mund zur Frage geöffnet, »ich weiß, was Sie sagen wollen. Ach, Sie wissen<br />

nichts. Sie wissen nicht, daß mein unglücklicher Bruder – ja unglücklich nur will ich ihn nennen – daß er wie ein böser<br />

Geist mir überall in den Weg tritt und meinen Frieden stört. An ihm liegt es nicht, daß ich nicht unaussprechlich elend<br />

wurde, er tat das Seinige dazu, doch der Himmel wollt’ es nicht.<br />

Seit der Zeit, daß die Stiftung des Majorats bek<strong>an</strong>nt wurde, verfolgt er mich mit tödlichem Haß. Er beneidet mich um<br />

das Besitztum, das in seinen Händen wie Spreu verflogen wäre. Er ist der wahnsinnigste Verschwender, den es gibt.<br />

Seine Schuldenlast übersteigt bei weitem die Hälfte des freien Vermögens in Kurl<strong>an</strong>d, die ihm zufällt, und nun, verfolgt<br />

von Gläubigern die ihn quälen, eilt er her und bettelt um Geld.«<br />

»Und Sie, der Bruder, verweigern« wollte ihm V. in die Rede fallen, doch der Freiherr rief, indem er V.s Hände fahren<br />

ließ und einen starken Schritt zurücktrat, laut und heftig: »Halten Sie ein! ja! ich verweigere! Von den Einkünften des<br />

Majorats k<strong>an</strong>n und werde ich keinen Taler verschenken! Aber hören Sie, welchen Vorschlag ich dem Unsinnigen vor<br />

wenigen Stunden vergebens machte, und d<strong>an</strong>n richten Sie über mein Pflichtgefühl.

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