Der Sandmann Nathanael an Lothar Gewiß seid Ihr ... - ETA Hoffmann
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Wie wird mir in diesem Augenblick so klar das dunkle Verhängnis jenes Hauses, dem ich durch festere B<strong>an</strong>de, als<br />
Verw<strong>an</strong>dtschaft sie zu schlingen vermag, verknüpft wurde. Wie liegt alles so erschlossen vor meines Geistes Augen!<br />
– doch, wie ich nun alles so gestaltet vor mir sehe, das Eigentliche, das k<strong>an</strong>n ich nicht mit Worten sagen, keines<br />
Menschen Zunge ist dessen fähig. Höre, mein Sohn, das, was ich dir nur wie eine merkwürdige Geschichte, die sich<br />
wohl zutragen konnte, zu erzählen vermag. Bewahre tief in deiner Seele die Erkenntnis, daß die geheimnisvollen<br />
Beziehungen, in die du dich vielleicht nicht unberufen wagtest, dich verderben konnten! – doch das ist nun vorüber!«<br />
Die Ceschichte des R..schen Majorats, die der Alte jetzt erzählte, trage ich so treu im Gedächtnis, daß ich sie beinahe<br />
mit seinen Worten (er sprach von sich selbst in der dritten Person) zu wiederholen vermag.<br />
In einer stürmischen Herbstnacht des Jahres 1760 weckte ein entsetzlicher Schlag, als falle das g<strong>an</strong>ze weitläuftige<br />
Schloß in tausend Trümmer zusammen, das Hausgesinde in R..sitten aus tiefem Schlafe. Im Nu war alles auf den<br />
Beinen, Lichter wurden <strong>an</strong>gezündet, Schrecken und Angst im leichenblassen Gesicht, keuchte der Hausverwalter mit<br />
den Schlüsseln herbei, aber nicht gering war jedes Erstaunen, als m<strong>an</strong> in tiefer Totenstille, in der das pfeifende<br />
Gerassel der mühsam geöffneten Schlösser, jeder Fußtritt recht schauerlich widerhallte, durch unversehrte Gänge,<br />
Säle, Zimmer fort und fort w<strong>an</strong>delte.<br />
Nirgends die mindeste Spur irgendeiner Verwüstung. Eine finstere<br />
Ahnung erfaßte den alten Hausverwalter. Er schritt hinauf in den<br />
großen Rittersaal, in dessen Seitenkabinett der Freiherr Roderich v.<br />
R. zu ruhen pflegte, wenn er astronomische Beobachtungen <strong>an</strong>gestellt.<br />
Eine zwischen der Tür dieses und eines <strong>an</strong>dern Kabinetts <strong>an</strong>gebrachte<br />
Pforte führte durch einen engen G<strong>an</strong>g unmittelbar in den astronomischen<br />
Turm.<br />
Aber sowie D<strong>an</strong>iel (so war der Hausverwalter geheißen) diese Pforte öffnete, warf ihm der Sturm, abscheulich<br />
heulend und sausend, Schutt und zerbröckelte Mauersteine entgegen, so daß er von Entsetzen weit zurückprallte<br />
und, indem er den Leuchter, dessen Kerzen prasselnd verlöschten, <strong>an</strong> die Erde fallen ließ, laut aufschrie: »O Herr des<br />
Himmels! der Baron ist jämmerlich zerschmettert!«<br />
In dem Augenlick ließen sich Klagelaute vernehmen, die aus dem Schlafkabinett des Freiherrn kamen. D<strong>an</strong>iel f<strong>an</strong>d die<br />
übrigen Diener um den Leichnam ihres Herrn versammelt. Vollkommen und reicher gekleidet als jemals, ruhigen Ernst<br />
im unentstellten Gesichte, f<strong>an</strong>den sie ihn sitzend in dem großen, reich verzierten Lehnstuhle, als ruhe er aus von<br />
gewichtiger Arbeit.<br />
Es war aber der Tod, in dem er ausruhte. Als es Tag geworden, gewahrte m<strong>an</strong>, daß die Krone des Turms in sich<br />
eingestürzt. Die großen Quadersteine hatten Decke und Fußboden des astronomischen Zimmers eingeschlagen,<br />
nebst den nun vor<strong>an</strong>stürzenden mächtigen Balken mit gedoppelter Kraft des Falles das untere Gewölbe durchbrochen<br />
und einen Teil der Schloßmauer und des engen G<strong>an</strong>ges mit fortgerissen. Nicht einen Schritt durch die Pforte des<br />
Saals durfte m<strong>an</strong> tun, ohne Gefahr, wenigstens achtzig Fuß hinabzustürzen in tiefe Gruft.<br />
<strong>Der</strong> alte Freiherr hatte seinen Tod bis auf die Stunde vorausgesehen und seine Söhne davon benachrichtigt. So<br />
geschah es, daß gleich folgenden Tages Wolfg<strong>an</strong>g Freiherr von R., ältester Sohn des Verstorbenen, mithin<br />
Majoratsherr, eintraf. Auf die Ahnung des alten Vaters wohl bauend, hatte er, sowie er den verhängnisvollen Brief<br />
erhalten, sogleich Wien, wo er auf der Reise sich gerade bef<strong>an</strong>d, verlassen und war, so schnell es nur gehen wollte,<br />
nach R..sitten geeilt.