02.11.2013 Aufrufe

Der Sandmann Nathanael an Lothar Gewiß seid Ihr ... - ETA Hoffmann

Der Sandmann Nathanael an Lothar Gewiß seid Ihr ... - ETA Hoffmann

Der Sandmann Nathanael an Lothar Gewiß seid Ihr ... - ETA Hoffmann

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Der</strong> Nervenzufall meiner Frau war durchaus nicht gefährlich, das sehe ich jetzt ein, aber hier – hier in diesem Schloß,<br />

in das ein finstrer Geist geb<strong>an</strong>nt ist, fürcht’ ich das Entsetzliche, und d<strong>an</strong>n ist es auch das erstemal, daß sie hier<br />

erkr<strong>an</strong>kte. Sie – Sie allein sind schuld dar<strong>an</strong>!«<br />

Wie das möglich sein könne, davon hätte ich keine Ahnung, erwiderte ich gelassen. »Oh«, fuhr der Baron fort, »o<br />

wäre der verdammte Unglückskasten der Inspektorin auf bl<strong>an</strong>kem Eise zerbrochen in tausend Stücke, o wären Sie<br />

doch nein! – nein! Es sollte, es mußte so sein, und ich allein bin schuld <strong>an</strong> allem. An mir lag es, in dem Augenblick, als<br />

Sie <strong>an</strong>fingen in dem Gemach meiner Frau Musik zu machen, Sie von der g<strong>an</strong>zen Lage der Sache, von der<br />

Gemütsstimmung meiner Frau zu unterrichten.«<br />

Ich machte Miene zu sprechen »Lassen Sie mich reden«, rief der Baron, »ich muß im voraus Ihnen alles voreilige<br />

Urteil abschneiden. Sie werden mich für einen rauhen, der Kunst abholden M<strong>an</strong>n halten. Ich bin das keineswegs, aber<br />

eine auf tiefe Überzeugung gebaute Rücksicht nötigt mich, hier womöglich solcher Musik, die jedes Gemüt und auch<br />

gewiß das meinige ergreift, den Eing<strong>an</strong>g zu versagen. Erfahren Sie, daß meine Frau <strong>an</strong> einer Erregbarkeit kränkelt,<br />

die am Ende alle Lebensfreude wegzehren muß.<br />

In diesen wunderlichen Mauern kommt sie gar nicht heraus aus dem erhöhten, überreizten Zust<strong>an</strong>de, der sonst nur<br />

moment<strong>an</strong> einzutreten pflegt, und zwar oft als Vorbote einer ernsten Kr<strong>an</strong>kheit. Sie fragen mit Recht, warum ich der<br />

zarten Frau diesen schauerlichen Aufenthalt, dieses wilde verwirrte Jägerleben nicht erspare? Aber nennen Sie es<br />

immerhin Schwäche, genug, mir ist es nicht möglich, sie allein zurückzulassen. In tausend Ängsten und nicht fähig<br />

Ernstes zu unternehmen würde ich sein, denn ich weiß es, die entsetzlichsten Bilder von allerlei verstörendem<br />

Ungemach, das ihr widerfahren, verließen mich nicht im Walde, nicht im Gerichtssaal.<br />

D<strong>an</strong>n aber glaube ich, daß dem schwächlichen Weibe gerade diese Wirtschaft hier wie ein erkräftigendes Stahlbad<br />

<strong>an</strong>schlagen muß. Wahrhaftig, der Seewind, der nach seiner Art tüchtig durch die Föhren saust, das dumpfe Gebelle<br />

der Doggen, der keck und munter schmetternde Hörnerkl<strong>an</strong>g muß hier siegen über die verweichelnden,<br />

schmachtelnden Pinseleien am Klavier, das so kein M<strong>an</strong>n spielen sollte, aber Sie haben es darauf <strong>an</strong>gelegt, meine<br />

Frau methodisch zu Tode zu quälen!«<br />

<strong>Der</strong> Baron sagte dies mit verstärkter Stimme und wildfunkelnden Augen – das Blut stieg mir in den Kopf, ich machte<br />

eine heftige Bewegung mit der H<strong>an</strong>d gegen den Baron, ich wollte sprechen, er ließ mich nicht zu Worte kommen »Ich<br />

weiß, was Sie sagen wollen«, fing er <strong>an</strong>, »ich weiß es und wiederhole es, daß Sie auf dem Wege waren, meine Frau<br />

zu töten, und daß ich Ihnen dies auch nicht im mindesten zurechnen k<strong>an</strong>n, wiewohl Sie begreifen, daß ich dem Dinge<br />

Einhalt tun muß. – Kurz! – Sie exaltieren meine Frau durch Spiel und Ges<strong>an</strong>g, und als sie in dem bodenlosen Meere<br />

träumerischer Visionen und Ahnungen, die <strong>Ihr</strong>e Musik wie ein böser Zauber heraufbeschworen hat, ohne Halt und<br />

Steuer umherschwimmt, drücken Sie sie hinunter in die Tiefe mit der Erzählung eines unheimlichen Spuks, der Sie<br />

oben im Gerichtssaal geneckt haben soll.<br />

<strong>Ihr</strong> Großonkel hat mir alles erzählt, aber ich bitte Sie, wiederholen Sie mir alles, was Sie sahen oder nicht sahen –<br />

hörten – fühlten – ahnten.« Ich nahm mich zusammen und erzählte ruhig, wie es sich damit begeben, von Anf<strong>an</strong>g bis<br />

zu Ende. <strong>Der</strong> Baron warf nur d<strong>an</strong>n und w<strong>an</strong>n einzelne Worte, die sein Erstaunen ausdrückten, dazwischen. Als ich<br />

darauf kam, wie der Alte sich mit frommem Mut dem Spuk entgegengestellt und ihn geb<strong>an</strong>nt habe mit kräftigen<br />

Worten, schlug er die Hände zusammen, hob sie gefaltet zum Himmel empor und rief begeistert: »Ja, er ist der<br />

Schutzgeist der Familie! ruhen soll in der Gruft der Ahnen seine sterbliche Hülle!«<br />

Ich hatte geendet. »D<strong>an</strong>iel, D<strong>an</strong>iel! was machst du hier zu dieser Stunde!« murmelte der Baron in sich hinein, indem<br />

er mit überein<strong>an</strong>dergeschlagenen Armen im Zimmer auf- und abschritt. »Weiter war es also nichts, Herr Baron?« frug<br />

ich laut, indem ich Miene machte mich zu entfernen. <strong>Der</strong> Baron fuhr auf wie aus einem Traum, faßte freundlich mich

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!