Der Sandmann Nathanael an Lothar Gewiß seid Ihr ... - ETA Hoffmann
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Familiensukzession durch seines Vaters Tod das Majorat zugefallen. Die genauesten Rechnungen über Einnahme<br />
und Ausgabe, über den vorzufindenden Best<strong>an</strong>d u.s.w. würde m<strong>an</strong> in seinem Nachlaß finden. Wolfg<strong>an</strong>g von R., so<br />
erzählte Hubert in dem Testament, lernte auf seinen Reisen in Genf das Fräulein Julie von St. Val kennen und faßte<br />
eine solche heftige Neigung zu ihr, daß er sich nie mehr von ihr zu trennen beschloß. Sie war sehr arm, und ihre<br />
Familie, unerachtet von gutem Adel, gehörte eben nicht zu den glänzendsten.<br />
Schon deshalb durfte er auf die Einwilligung des alten Roderich, dessen g<strong>an</strong>zes Streben dahin ging, das<br />
Majoratshaus auf alle nur mögliche Weise zu erheben, nicht hoffen. Er wagte es dennoch, von Paris aus dem Vater<br />
seine Neigung zu entdecken; was aber vorauszusehen, geschah wirklich, indem der Alte bestimmt erklärte, daß er<br />
schon selbst die Braut für den Majoratsherrn erkoren und von einer <strong>an</strong>dern niemals die Rede sein könne.<br />
Wolfg<strong>an</strong>g, statt, wie er sollte, nach Engl<strong>an</strong>d hinüberzuschiffen, kehrte unter dem Namen Born nach Genf zurück und<br />
vermählte sich mit Julien, die ihm nach Verlauf eines Jahres den Sohn gebar, der mit dem Tode Wolfg<strong>an</strong>gs<br />
Majoratsherr wurde. Darüber, daß Hubert, von der g<strong>an</strong>zen Sache unterrichtet, so l<strong>an</strong>ge schwieg und sich selbst als<br />
Majoratsherr gerierte, waren verschiedene Ursachen <strong>an</strong>geführt, die sich auf frühere Verabredungen mit Wolfg<strong>an</strong>g<br />
bezogen, indessen unzureichend und aus der Luft gegriffen schienen.<br />
Wie vom Donner gerührt, starrte der Baron den Gerichtsschreiber <strong>an</strong>, der mit eintöniger schnarrender Stimme alles<br />
Unheil verkündete. Als er geendet, st<strong>an</strong>d V. auf, nahm den jungen Menschen, den er mitgebracht, bei der H<strong>an</strong>d und<br />
sprach, indem er sich gegen die Anwesenden verbeugte: »Hier, meine Herren, habe ich die Ehre, Ihnen den Freiherrn<br />
Roderich von R., Majoratsherrn von R..sitten, vorzustellen!« Baron Hubert blickte den Jüngling, der, wie vom Himmel<br />
gefallen, ihn um das reiche Majorat, um die Hälfte des freien Vermögens in Kurl<strong>an</strong>d brachte, verhaltenen Grimm im<br />
glühenden Auge, <strong>an</strong>, drohte d<strong>an</strong>n mit geballter Faust und r<strong>an</strong>nte, ohne ein Wort hervorbringen zu können, zum<br />
Gerichtssaal hinaus.<br />
Von den Gerichtspersonen dazu aufgefordert, holte jetzt Baron Roderich die Urkunden hervor, die ihn als die Person,<br />
für die er sich ausgab, legitimieren sollten. Er überreichte den beglaubigten Auszug aus den Registern der Kirche, wo<br />
sein Vater sich trauen lassen, worin bezeugt wurde, daß <strong>an</strong> dem und dem Tage der Kaufm<strong>an</strong>n Wolfg<strong>an</strong>g Born,<br />
gebürtig aus K., mit dem Fräulein Julie von St. Val in Gegenwart der gen<strong>an</strong>nten Personen durch priesterliche<br />
Einsegnung getraut worden. Ebenso hatte er seinen Taufschein (er war in Genf als von dem Kaufm<strong>an</strong>n Born mit<br />
seiner Gemahlin Julie, geb. v. St. Val, in gültiger Ehe erzeugtes Kind getauft worden), verschiedene Briefe seines<br />
Vaters <strong>an</strong> seine schon längst verstorbene Mutter, die aber alle nur mit W. unterzeichnet waren.<br />
V. sah alle diese Papiere mit finsterm Gesichte durch und sprach, ziemlich bekümmert, als er sie wieder<br />
zusammenschlug: »Nun, Gott wird helfen!«<br />
Schon <strong>an</strong>dern Tages reichte der Freiherr Hubert von R. durch einen Advokaten, den er zu seinem Rechtsfreunde<br />
erkoren, bei der L<strong>an</strong>desregierung in K. eine Vorstellung ein, worin er auf nichts weniger <strong>an</strong>trug, als sofort die<br />
Übergabe des Majorats R..sitten <strong>an</strong> ihn zu ver<strong>an</strong>lassen. Es verstehe sich von selbst, sagte der Advokat, daß weder<br />
testamentarisch, noch auf irgendeine <strong>an</strong>dere Weise, der verstorbene Freiherr Hubert von R. habe über das Majorat<br />
verfügen können. Jenes Testament sei also nichts <strong>an</strong>ders, als die aufgeschriebene und gerichtlich übergebene<br />
Aussage, nach welcher der Freiherr Wolfg<strong>an</strong>g von R. das Majorat <strong>an</strong> einen Sohn vererbt haben solle, der noch lebe,<br />
die keine höhere Beweiskraft, als jede <strong>an</strong>dere irgendeines Zeugen haben und also unmöglich die Legitimation des<br />
<strong>an</strong>geblichen Freiherrn Roderich von R. bewirken könne.<br />
Vielmehr sei es die Sache dieses Prätendenten, sein vorgebliches Erbrecht, dem hiermit ausdrücklich widersprochen<br />
werde, im Wege des Prozesses darzutun und das Majorat, welches jetzt nach dem Recht der Sukzession dem Baron<br />
Hubert von R. zugefallen, zu vindizieren. Durch den Tod des Vaters sei der Besitz unmittelbar auf den Sohn