Der Sandmann Nathanael an Lothar Gewiß seid Ihr ... - ETA Hoffmann
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Während dieser »Senza di te« – dieser »Sentimi idol mio«, dieser »Almen se non poss’io« und hundert »morir mi<br />
sento’s« und »Addio’s« und »Oh dio’s« wurden leuchtender und leuchtender Seraphinens Blicke. Sie hatte sich dicht<br />
neben mir <strong>an</strong> das Instrument gesetzt, ich fühlte ihren Atem <strong>an</strong> meiner W<strong>an</strong>ge spielen; indem sie ihren Arm hinter mir<br />
auf die Stuhllehne stützte, fiel ein weißes B<strong>an</strong>d, das sich von dem zierlichen Ballkleide losgenestelt, über meine<br />
Schulter und flatterte, von meinen Tönen, von Seraphinens leisen Seufzern berührt, hin und her wie ein getreuer<br />
Liebesbote! Es war zu verwundern, daß ich den Verst<strong>an</strong>d behielt!<br />
Als ich, mich auf irgendein neues Lied besinnend, in den Akkorden herumfuhr, spr<strong>an</strong>g Fräulein Adelheid, die in einer<br />
Ecke des Zimmers gesessen, herbei, kniete vor der Baronin hin und bat, ihre beiden Hände erfassend und <strong>an</strong> die<br />
Brust drückend: »O liebe Baronin Seraphinchen, nun mußt du auch singen!« Die Baronin erwiderte: »Wo denkst du<br />
aber auch hin, Adelheid! – wie mag ich mich denn vor unserm Virtuosen da mit meiner elenden Singerei hören<br />
lassen!«<br />
Es war lieblich <strong>an</strong>zuschauen, wie sie, gleich einem frommverschämten Kinde, die Augen niederschlagend und<br />
hocherrötend mit der Lust und mit der Scheu kämpfte.<br />
M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n denken, wie ich sie <strong>an</strong>flehte, und, als sie kleine kurländische Volkslieder erwähnte, nicht nachließ, bis sie,<br />
mit der linken H<strong>an</strong>d herüberl<strong>an</strong>gend, einige Töne auf dem Instrument versuchte, wie zur Einleitung. Ich wollte ihr Platz<br />
machen am Instrument, sie ließ es aber nicht zu, indem sie versicherte, daß sie nicht eines einzigen Akkordes<br />
mächtig sei, und daß ebendeshalb ihr Ges<strong>an</strong>g ohne Begleitung sehr mager und unsicher klingen werde.<br />
Nun fing sie mit zarter, glockenreiner, tief aus dem Herzen tönender Stimme ein Lied <strong>an</strong>, dessen einfache Melodie<br />
g<strong>an</strong>z den Charakter jener Volkslieder trug, die so klar aus dem Innern herausleuchten, daß wir in dem hellen Schein,<br />
der uns umfließt, unsere höhere poetische Natur erkennen müssen.<br />
Ein geheimnisvoller Zauber liegt in den unbedeutenden Worten des Textes, der zur Hieroglyphe des<br />
Unaussprechlichen wird, von dem unsere Brust erfüllt. Wer denkt nicht <strong>an</strong> jene sp<strong>an</strong>ische K<strong>an</strong>zonetta, deren Inhalt<br />
den Worten nach nicht viel mehr ist, als: »Mit meinem Mädchen schifft’ ich auf dem Meer, da wurd’ es stürmisch, und<br />
mein Mädchen w<strong>an</strong>kte furchtsam hin und her. Nein! nicht schiff’ ich wieder mit meinem Mädchen auf dem Meer!« So<br />
sagte der Baronin Liedlein nichts weiter: »Jüngst t<strong>an</strong>zt’ ich mit meinem Schatz auf der Hochzeit, da fiel mir eine Blume<br />
aus dem Haar, die hob er auf und gab sie mir und sprach: >W<strong>an</strong>n, mein Mädchen, gehn wir wieder zur Hochzeit?