Der Sandmann Nathanael an Lothar Gewiß seid Ihr ... - ETA Hoffmann
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verschwammen sie wie im Nebel, und alles, was er auswendig zeichnete, hatte, wie jedes nur undeutlich, verworren<br />
Gedachte, kein Regen, keine Bedeutung. Über dieses vergebliche Ringen und Streben schlich trüber Unmut in seine<br />
Seele, und oft entr<strong>an</strong>n er den Freunden, um in der Gegend von Rom Baumgruppen – einzelne l<strong>an</strong>dschaftliche Partien<br />
heimlich zu zeichnen und zu malen. Aber auch dies geriet nicht mehr wie sonst, und zum erstenmal zweifelte er <strong>an</strong><br />
seinem wahren Künstlerberuf. Die schönsten Hoffnungen schienen untergehn zu wollen. »Ach mein hochverehrter<br />
Freund und Lehrer«, schrieb Berthold <strong>an</strong> Birkner, »Du hast mir Großes zugetraut, aber – hier, wo es erst recht licht<br />
werden sollte in meiner Seele, bin ich inne worden, daß das, was Du wahrhaftes Künstlergenie n<strong>an</strong>ntest, nur etwa<br />
Talent – äußere Fertigkeit der H<strong>an</strong>d war. Sage meinen Eltern, daß ich bald zurückkehren würde, um irgend ein<br />
H<strong>an</strong>dwerk zu erlernen, das mich künftig ernähre usw.« Birkner schrieb zurück: »Oh, könnte ich doch bei Dir sein,<br />
mein Sohn! um Dich aufzurichten in Deinem Unmut. Aber glaube mir, Deine Zweifel sind es gerade, die für Dich, für<br />
Deinen Künstlerberuf sprechen. <strong>Der</strong>, welcher in stetem unw<strong>an</strong>delbaren Vertrauen auf seine Kraft immer<br />
fortzuschreiten gedenkt, ist ein blöder Tor, der sich selbst täuscht; denn ihm fehlt ja der eigentliche Impuls zum<br />
Streben, der nur in dem Ged<strong>an</strong>ken der M<strong>an</strong>gelhaftigkeit ruht. Harre aus! – Bald wirst Du Dich erkräftigen, und d<strong>an</strong>n<br />
ruhig, nicht durch das Urteil, durch den Rat der Freunde, die Dich zu verstehen vielleicht gar nicht imst<strong>an</strong>de,<br />
gezügelt, den Weg fortw<strong>an</strong>deln, den Dir Deines Ichs eigne Natur vorgeschrieben. Ob Du L<strong>an</strong>dschafter bleiben, ob Du<br />
Historienmaler werden willst, wirst Du d<strong>an</strong>n selbst entscheiden können, und <strong>an</strong> keine feindliche Absonderung der<br />
Zweige eines Stammes denken.«<br />
Es begab sich, daß gerade zu der Zeit, als Berthold diesen tröstenden Brief von seinem alten Lehrer und Freunde<br />
erhielt, sich Philipp Hackerts Ruhm in Rom verbreitet hatte. Einige von ihm dort aufgestellte Stücke von wunderbarer<br />
Anmut und Klarheit bewährten des Künstlers Ruf und selbst die Historienmaler gest<strong>an</strong>den, es läge auch in dieser<br />
reinen Nachahmung der Natur viel Großes und Vortreffliches. Berthold schöpfte Atem – er hörte nicht mehr seine<br />
Lieblingskunst verhöhnen, er sah einen M<strong>an</strong>n, der sie trieb, hochgestellt und verehrt; wie ein Funke fiel es in seine<br />
Seele, daß er nach Neapel w<strong>an</strong>dern und unter Hackert studieren müsse. G<strong>an</strong>z jubilierend schrieb er <strong>an</strong> Birkner und<br />
<strong>an</strong> seine Eltern, daß er nun nach hartem Kampf den rechten Weg gefunden habe, und bald in seinem Fach ein<br />
tüchtiger Künstler zu werden hoffe. Freundlich nahm der ehrliche deutsche Hackert den deutschen Schüler auf, und<br />
bald strebte dieser dem Lehrer in regem Schwunge nach. Berthold erl<strong>an</strong>gte große Fertigkeit, die verschiedenen<br />
Baum- und Gesträucharten der Natur getreu darzustellen; auch leistete er nicht Geringes in dem Dunstigen und<br />
Duftigen, wie es auf Hackertschen Gemälden zu finden. Das erwarb ihm vieles Lob, aber auf g<strong>an</strong>z eigene Weise<br />
schien es ihm bisweilen, als wenn seinen, ja selbst den L<strong>an</strong>dschaften des Lehrers etwas fehle, das er nicht zu nennen<br />
wußte, und das ihm doch in Gemälden Claude Lorrains, ja selbst in Salvator Rosas rauhen Wüsteneien entgegentrat.<br />
Es erhoben sich allerlei Zweifel gegen den Lehrer in ihm, und er wurde vorzüglich g<strong>an</strong>z unmutig, wenn Hackert mit<br />
<strong>an</strong>gestrengter Mühe totes Wild malte, das ihm der König zugeschickt. Doch überw<strong>an</strong>d er bald dergleichen, wie er<br />
glaubte, freveliche Ged<strong>an</strong>ken und fuhrt fort, mit frommer Hingebung und deutschem Fleiß nach seines Lehrers Muster<br />
zu arbeiten, so daß er in kurzer Zeit es ihm beinahe gleichtat. So kam es denn, daß er auf Hackerts ausdrücklichen<br />
Anlaß eine große L<strong>an</strong>dschaft, die er treu nach der Natur gemalt hatte, zu einer Ausstellung, die mehrenteils aus<br />
Hackertschen L<strong>an</strong>dschaften und Stilleben best<strong>an</strong>d, hergeben mußte. Alle Künstler und Kenner bewunderten des<br />
Jünglings treue saubre Arbeit und priesen ihn laut. Nur ein ältlicher, sonderbar gekleideter M<strong>an</strong>n sagte selbst zu<br />
Hackerts Gemälden kein Wort, sondern lächelte nur bedeutsam, wenn die Lobeserhebungen der Menge recht<br />
ausgelassen und toll daherbrausten. Berthold bemerkte deutlich, wie der Fremde, als er vor seiner L<strong>an</strong>dschaft st<strong>an</strong>d,<br />
mit einer Miene des tiefsten Bedauerns den Kopf schüttelte und d<strong>an</strong>n sich entfernen wollte. Berthold etwas aufgebläht<br />
durch das allgemeine Lob, das ihm zuteil geworden, konnte sich des innern Ärgers über den Fremden nicht erwehren.<br />
Er trat auf ihn zu und frug, indem er die Worte schärfer betonte, als gerade nötig. »<strong>Ihr</strong> scheint mit dem Bilde nicht<br />
zufrieden, mein Herr, unerachtet es doch wackre Künstler und Kenner nicht g<strong>an</strong>z übel finden wollen? Sagt mir<br />
gefälligst, wor<strong>an</strong> es liegt, damit ich die Fehler nach Euerm gütigen Rat abändere und bessere.« Mit scharfem Blicke<br />
schaute der Fremde Berthold <strong>an</strong>, und sprach sehr ernst: »Jüngling, aus dir hätte viel werden können.« Berthold<br />
erschrak bis ins Innerste vor des M<strong>an</strong>nes Blick und seinen Worten; er hatte nicht den Mut, etwas weiter zu sagen,