Glaube geht - Miteinander
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miteinander 7–8/2013<br />
Gesellschaft der Pilger<br />
<strong>Glaube</strong> in der Risikogesellsch<br />
Unsicherheit ist die zentrale<br />
Konstante in einer nach-traditionalen<br />
Gesellschaft. Das gilt auch für<br />
die religiösen Biografien. Ein zeitdiagnostischer<br />
Erkundungsgang von<br />
Johannes Sinabell.<br />
Wer pilgert, bricht auf, macht sich auf den<br />
Weg, lässt Gewohntes hinter sich. In diesem<br />
Sinn ist der moderne Mensch heute gezwungenermaßen<br />
Pilger: stets ist er auf der Suche<br />
nach Neuem, stets auf dem Sprung, Traditionelles<br />
wie Ballast über Bord zu werfen.<br />
Die vom deutschen Soziologen Ulrich Beck<br />
beschriebene „Risikogesellschaft“ ist eine Gesellschaft<br />
der Pilger.<br />
Früher, schreibt der Psychologe Franz-Christian<br />
Schubert, gab es noch ein Bewusstsein<br />
für gelingendes Leben, für den rechten Lebensweg,<br />
für die geeignete Religion oder<br />
Weltanschauung. Eltern, Großeltern oder andere<br />
Instanzen konnten dies wie Fixsterne<br />
vermitteln. „Man bekam sozusagen ein Reisebündel<br />
mit auf den Lebensweg, das aus<br />
kulturellen und religiösen Traditionen und in<br />
der Lebenswelt erprobten Erfahrungen, aus<br />
sicheren Tipps zusammengestellt war.“<br />
Heute hingegen liegen die Dinge anders. Die<br />
langen Lebensbögen, in denen sich bald klar<br />
abgezeichnet hat, welchen Beruf man lernt<br />
und dann sein Leben lang ausübt, wo man<br />
lebt, wen man heiratet, bis der Tod scheidet,<br />
und welche Kirche man besucht, gibt es häufig<br />
so nicht mehr. Die persönliche Biografie<br />
ist heute vielfach geprägt von Trennung,<br />
Umschulung, Arbeitslosigkeit oder Karrieresprung<br />
sowie der Entscheidung, wie Arbeitsplatz<br />
und Wohnort in Einklang gebracht werden<br />
können. Die Lebensführung ist unübersichtlich<br />
geworden und oft auf längere Frist<br />
gar nicht zu planen.<br />
Zweischneidige Freiheit<br />
Auf der Habenseite dieser neuen Unsicherheit<br />
steht zweifellos ein individueller Freiheitsgewinn.<br />
Jeder kann sein Leben und seine<br />
Lebensführung selbst planen und flexibel<br />
auf die Anforderungen, Entwicklungsmöglichkeiten<br />
oder Chancen, die er sieht, reagieren<br />
– er ist seines Glückes Schmied.<br />
Gesellschaftliche Normen und Vorschriften<br />
(„das gehört sich so“) haben vielfach an Bedeutung<br />
verloren.<br />
Allerdings birgt dieses Mehr an Freiheit und<br />
Unsicherheit auch eine konkrete Gefahr. So<br />
sehen sich viele Menschen den gestiegenen<br />
Anforderungen sowie den tagtäglichen Entscheidungsfragen<br />
nicht mehr gewachsen. Traditionelle<br />
Lebensentwürfe und -weisen haben<br />
ihren Reiz nicht verloren, allein, sie bilden<br />
keinen tragfähigen gesellschaftlichen<br />
Konsens mehr aus. Bei dem Versuch, das Leben<br />
gut zu gestalten und zu leben, ist der<br />
Einzelne vielfach auf sich selbst, auf Versuch<br />
und Risiko des Irrtums angewiesen.<br />
Die Lebensweisen der Eltern und Großeltern<br />
sind bestenfalls Empfehlungen.<br />
Suche nach Antworten<br />
Auch Religion und religiöse Lebensweisen<br />
werden von diesen gesellschaftlich einschneidenden<br />
Veränderungen nicht verschont. Während<br />
es früher vielfach üblich war, zeitlebens<br />
ein und dieselbe Kirche zu besuchen,<br />
ist das heute schon deswegen nicht möglich,<br />
weil die Menschen häufiger umziehen oder<br />
kein Pfarrer vor Ort ist. Während früher fa-<br />
Risikogesellschaft:<br />
Überlieferte Lebensrezepturen und Rollenvorbilder<br />
versagen. Es gleicht einem Balanceakt,<br />
eigenes und soziales Leben neu aufeinander<br />
abzustimmen.