Glaube geht - Miteinander
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miteinander 7–8/2013 7<br />
Jedes Ziel ein neuer Anfang<br />
Jeden Tag, an dem ich einen Ort verlasse,<br />
habe ich das Gefühl, etwas vergessen zu haben.<br />
Nach ein paar hundert Metern überprüfe<br />
ich alles nochmal, gehe mein Marschgepäck<br />
durch. Und – obwohl ich alles bei mir<br />
habe – so lasse ich doch jeden Tag etwas<br />
zurück. Mein Kopf ist voller Bilder. Bilder so<br />
schön, dass man weinen könnte. Aber meine<br />
Augen sind so voll mit diesen wunderbaren<br />
Bildern, dass Tränen einfach keinen Platz<br />
haben. Dem Himmel so nah, nicht nur weil<br />
man sich auf einer Hochebene befindet.<br />
Das Leben spüren<br />
Nach drei Wochen habe ich das Gefühl, mein<br />
Tempo gefunden zu haben. Wäre das zu Hause<br />
doch auch nur so leicht … Am höchsten<br />
Punkt meiner Reise, dem „Cruz de Ferro“ auf<br />
1.530 Metern, ist es Tradition, dass man einen<br />
aus der Heimat mitgebrachten Stein ablegt.<br />
Auch ich lege einen Stein ab und sage<br />
Danke für die bereits geschaffte Strecke.<br />
Wenn es tatsächlich so sein sollte, dass der<br />
Weg das eigene Leben spiegelt, so war mir<br />
bisher nicht bewusst, wie schön, wunderbar<br />
und einzigartig es ist. Man kommt nicht nur<br />
Santiago, sondern auch sich selbst näher.<br />
Manchmal habe ich das Gefühl – trotz der<br />
schweren Last, die ich trage und die ich jetzt<br />
seit 28 Tagen am Rücken habe –, als würde<br />
nicht ich am Camino gehen, sondern als<br />
würde der Weg sich unter meinen Füßen<br />
durchschieben. Wie schweben.<br />
Wer bin ich?<br />
Mein letzter Tag am Jakobsweg. Beim Gehen<br />
spüre ich gleichzeitig Anspannung und<br />
Entspannung. Es <strong>geht</strong> hinauf auf den „Monte<br />
de Gozo“, die letzte Anhöhe vor Santiago<br />
de Compostela. Ich steh dort oben, blicke<br />
auf die Stadt hinunter, und dicke Tränen rinnen<br />
über meine Wangen. Ich hab etwas geschafft,<br />
von dem ich nicht gedacht hätte, es<br />
zu schaffen. Ich bin überglücklich – und zugleich<br />
todtraurig. Ich kenn mich, aber: Wer<br />
bin ich?<br />
Und dann bin ich endlich am Ziel – in Santiago<br />
de Compostela, auch „Sternenfeld“ genannt.<br />
Und im selben Augenblick wird mir bewusst,<br />
dass dieses Ziel wieder ein neuer Anfang<br />
ist. Ich weiß nicht, ob mir die ersten<br />
oder die letzten paar Schritte am schwersten<br />
gefallen sind. Auf jeden Fall möchte ich<br />
mich herzlich bei meinen Füßen bedanken,<br />
dass sie mich so weit getragen haben – und<br />
bei dem Engel, der mich begleitet hat. Oder<br />
vielleicht war es ja sogar ein noch „höheres<br />
Wesen“, das dann und wann ein Auge auf<br />
mich geworfen hat …?<br />
Am Schluss der Reise hab ich in den Spiegel<br />
geschaut. Ganz knapp vor dem Spiegel bin<br />
ich gestanden und hab mir ganz fest in die<br />
Augen geblickt. Und ich denke, ich schau<br />
mir jetzt ähnlicher als vor dieser Reise …<br />
Kabarettist Wolfgang Pisseckers Resümee<br />
über fünfeinhalb Wochen Pilgern am Jakobsweg:<br />
„Eine der besten Lebenserfahrungen und eine große<br />
Bereicherung für mein Leben!“<br />
Und vielleicht die wichtigste Erkenntnis nach<br />
diesen 40 Wandertagen am Jakobsweg: Gott<br />
wird dich nicht fragen, was du alles gemacht<br />
hast. Er wird dich fragen, warum du<br />
so viel nicht gemacht hast. Gracias. Buen<br />
Camino!<br />
Wolfgang Pissecker<br />
Wolfgang „Fifi“ Pissecker ist Kabarettist, Schauspieler<br />
und Autor. Er ist Gründungsmitglied der Kabarettgruppe<br />
„Die Hektiker“. Im Jahr 2003 pilgerte er auf<br />
dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela. Aus<br />
dieser Reise entstand sein erstes Soloprogramm „Ich<br />
kenn’ Sie! Wer sind Sie? – Erlebnisse vom Jakobsweg!“<br />
Mehr Infos unter: www.pissecker.com