Manuskript (pdf) - WDR 5
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DOK 5 – Das Feature: 10./11.03.2013<br />
Arme Irre – Zurück zur Nachkriegspsychiatrie?<br />
Atmo - Raum "Psychiatrie"<br />
O-Ton - Joachim (Psychiatrie-Erfahrener):<br />
Und dann hab ich die erste Nacht an einem Bett fixiert, das ist schon eine<br />
interessante Erfahrung, also an allen Extremitäten, einschließlich den Körper,<br />
gefesselt in einem Bett gelegen in einem Zimmer, wo so eine große Scheibe war,<br />
so auf der anderen Seite der Scheibe sah ich ab und zu mal einen Kopf, aber ich<br />
hatte kaum Gelegenheit, solche Dinge zu äußern wie daß ich auf Toilette muß,<br />
weil dann war der Kopf schon wieder weg; [...] Ja, man ist völlig hilflos.<br />
O-Ton - Sabine (Psychiatrie-Erfahrene) [Stimme verfremdet]:<br />
Ich hab auch das Gefühl, es gab mal mehr Zeit für die einzelnen Patienten. [...]<br />
Die einzelnen Ärzte müssen so viel dokumentieren, dokumentieren,<br />
dokumentieren, [...] daß der einzelne Patient wirklich nur noch drei Minuten hat.<br />
Musik<br />
Sprecher: Zitat 1<br />
"Der zunehmende Einfluss der pharmazeutischen Industrie auf Forschung, ärztliche<br />
Fortbildung und Verschreibungsverhalten, [...] führen dazu, daß die Unabhängigkeit<br />
der Psychiatrie als Wissenschaft und Praxis und die Integrität des ärztlichen<br />
Berufsstandes gefährdet ist."<br />
[DGSP: Memorandum der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V. zur<br />
Anwendung von Antipsychotika. Überarbeitete Fassung, 29.09.2009. zit. nach der<br />
Kurzfassung, S. 2]<br />
O-Ton - Sabine (Stimme verfremdet):<br />
Mich würd's nicht mehr geben, wenn ich da nicht irgendwo rausgegangen wäre!<br />
Wenn ich nicht den "Chemischen Knebel" gelesen hätte und daraus nicht erfahren<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der<br />
engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das<br />
<strong>Manuskript</strong> weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich<br />
zugänglich gemacht ) werden..<br />
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DOK 5 – Das Feature: 10./11.03.2013<br />
Arme Irre – Zurück zur Nachkriegspsychiatrie?<br />
hätte, daß mir keine Psychopharmaka, vor allem keine Neuroleptika jemals helfen<br />
können, wenn ich die dauerhaft nehme - ich würd' heute nicht hier sitzen!<br />
O-Ton - Joachim:<br />
Ich hab mich da so gefühlt wie unter der Käseglocke. Und eine Begebenheit, das<br />
war mit total peinlich. Da hatt ich Besuch von meinem Cousin, und ich hatte einen<br />
Zungenschlundkrampf. Also, ich konnte nicht normal sprechen, da kam denn so<br />
ein Gewurstel heraus, das war so unangenehm für mich, wir wollten uns<br />
unterhalten, und ich war körperlich dazu nicht in der Lage. [...] Die Klinik macht<br />
nicht gesund. Die verschiebt das Gesundwerden auf später.<br />
O-Ton - Theo Zander:<br />
Wir sind uns leider Gottes im Moment auf'm Rückzug hier, wir sind also, wir<br />
bewegen uns rückwärts. Das heißt, rückwärts in dem Sinne, daß kein Geld mehr<br />
da ist; [...] allein aus personellen Gründen, das heißt aus Sparmaßnahmen, wird<br />
das alles 'n Stück zurückgefahren.<br />
Sprecher (Ansage):<br />
Arme Irre - Zurück zur Nachkriegspsychiatrie?<br />
Ein Feature von Beate Hinrichs.<br />
Atmo - Raum "Psychiatrie"<br />
O-Ton - Theo Zander (Pfleger, LVR-Klinik Düren):<br />
Wir haben jetzt diesen Nachteinschluß hier, der auch eigentlich nicht von uns<br />
gewollt ist, aber sein muß, weil dadurch wird wieder 'ne Nachtwache eingespart,<br />
und dementsprechend heißt es wieder: Geld. Und das ist das alles, was ich schon<br />
mal erlebt habe. Ich sage es nur mal: Wehret den Anfängen, [...] sonst sind wir da,<br />
wo wir mal waren und wo wir nicht wieder hinwollen.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
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DOK 5 – Das Feature: 10./11.03.2013<br />
Arme Irre – Zurück zur Nachkriegspsychiatrie?<br />
Sprecherin:<br />
Theo Zander ist seit mehr als einem Vierteljahrhundert Pfleger in der Psychiatrie. Er<br />
hat die "Irrenhäuser" noch erlebt, in denen Menschen weggesperrt, selten geheilt,<br />
stattdessen oft zerstört wurden. Er war Zeuge der wütenden Proteste gegen<br />
menschenunwürdige Verwahranstalten und begrüßte die große Psychiatriereform der<br />
siebziger und achtziger Jahre. Heute warnt er vor dem Vergessen und den Folgen<br />
eines vermeintlichen Sparzwangs.<br />
Atmo - Rundgang Haus 5 (LVR-Klinik Düren)<br />
[Schlüssel in Gittertür (hallt) - Hax: "Durch diese Tür öffnete der Pförtner allen<br />
Mitarbeitern diesen Trakt; die Mitarbeiter hatten keine Schlüssel." - Schlüssel<br />
prägnant hörbar]<br />
Sprecherin:<br />
Theo Zander hat hier gearbeitet – in Haus 5, dem sogenannten "Bewahrungshaus für<br />
psychisch kranke Rechtsbrecher" der Landesklinik Düren.<br />
O-Ton - Theo Zander:<br />
Wir hatten zum Teil vorher, waren in dem Haus 120 Patienten, das waren dann<br />
vier Stationen, waren das, und da gab's Achterbett-, also -zimmer, oder -zellen;<br />
Einzelzimmer waren's eigentlich, da waren Vierbettzimmer draus gemacht, es gab<br />
kein Fernsehen, kein Radio, 'n frühen Einschluß abends um halb sieben bis<br />
morgens um sieben. [...] Es waren ja psychisch kranke Menschen, die da waren,<br />
und dementsprechend der eine halluzinierte, der andere war 'n<br />
Persönlichkeitsgestörter, da waren ja sehr unterschiedliche Charaktere zusammen<br />
auf einer Zelle, und dementsprechend waren dann auch diese Auswirkungen da.<br />
Da gab's Wutausbrüche, Schlägereien, da gab's versuchte, -- na, Suizide kann<br />
man nicht direkt sa--, aber doch versuchte Selbstverstümmelungen und und.<br />
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DOK 5 – Das Feature: 10./11.03.2013<br />
Arme Irre – Zurück zur Nachkriegspsychiatrie?<br />
Atmo - Rundgang Haus 5:<br />
[...Schlüssel in Gittertür (hallt) - Frage: ... hier kommt überall die Farbe von den<br />
Wänden runter, die Fenster sind blind, alles ist vergittert, das Linoleum ist<br />
mackelig, und dann sind das, wie man auf dem Photo sieht, ja so schlichte<br />
Metallbetten, und mehr hatten die Patienten ja offenbar nicht.<br />
Hax: Nein, nein.<br />
Frage: Ein Bett und basta. Kein Nachtschrank.<br />
Hax: Das war alles.<br />
Frage: Und wissen Sie, wozu der Käfig hier in der Ecke war? [...] Das ist kein<br />
Käfig, das ist 'ne Schleuse.<br />
Hax: Das ist 'ne Schleuse, jaja.<br />
Frage: Das ist 'ne Schleuse, damit die Pfleger erst in die Schleuse konnten und<br />
dann durch das Käfigtor in das Zimmer.<br />
Hax: Genau. Das hat 'n bißchen was von Löwenkäfig.]<br />
O-Ton - Christa Wirtz-Stützer (ehemalige Sozialarbeiterin im LKH):<br />
Das ist die absolute Entwertung des menschlichen Daseins.<br />
O-Ton - LVR-Film Psychiatriegeschichte (& Musik):<br />
"Denn der gesellschaftliche Auftrag heißt: Wegsperren der psychisch kranken<br />
Menschen. [...] Der Patient dient mit seiner Existenz und Arbeitskraft dem<br />
Fortbestehen des Großkrankenhauses, eines autarken, von der Außenwelt<br />
abgeschotteten Dorfes."<br />
Sprecherin:<br />
Ein Werbefilm des Landschaftsverbandes Rheinland, Träger der größten<br />
psychiatrischen Kliniken im Rheinland. Was der Film als "abgeschottet" beschreibt,<br />
hat der US-amerikanische Soziologe Erving Goffman als "totale Institution"<br />
bezeichnet. Solche Einrichtungen, egal ob Gefängnisse, Kasernen oder Psychiatrien,<br />
definiert er als Herrschaftsinstrumente und Orte erzwungener Anpassung, als<br />
Ausdruck einer im Kern autoritären Gesellschaft.<br />
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DOK 5 – Das Feature: 10./11.03.2013<br />
Arme Irre – Zurück zur Nachkriegspsychiatrie?<br />
Sprecher: Zitat 2<br />
"Ihr allumfassender oder totaler Charakter wird symbolisiert durch Beschränkungen<br />
des sozialen Verkehrs mit der Außenwelt sowie der Freizügigkeit, die häufig direkt in<br />
die dingliche Anlage eingebaut sind, wie verschlossene Tore, hohe Mauern,<br />
Stacheldraht, Felsen, Wasser, Wälder oder Moore. Solche Einrichtungen nenne ich<br />
totale Institutionen [...]. Sie sind Treibhäuser, in denen unsere Gesellschaft versucht,<br />
den Charakter von Menschen zu verändern."<br />
[Erving Goffman: Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und<br />
anderer Insassen. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1972, S. 15f., 23]<br />
O-Ton - Horst Kapellen (Psychiatrie-Erfahrener):<br />
1967 in der Uniklinik waren wir in einem Schlafsaal mit circa 12, 13, 14 Betten,<br />
und das schönste war daran, alle die Patienten, die aus der Neurologie im Sterben<br />
lagen, kamen zu uns in die 31 A und das war nicht schön; und da sieht man jede<br />
Woche einen raustragen.<br />
O-Ton - Rainer Kukla (ehemaliger Gesundheitsdezernent des LVR):<br />
Auch das gehört eigentlich zu den Bildern, daß man Schlafsäle fand, wo die<br />
Betten so eng standen, daß überhaupt kein Nachttisch dazwischen paßte.<br />
Sprecherin:<br />
Schlafsäle ohne Privatsphäre, unhygienische und defekte sanitäre Einrichtungen,<br />
eine Zahnbürste für alle (wenn überhaupt), verrottete Bausubstanz in<br />
Gründerzeitgebäuden, Dreck - so sah es in den meisten psychiatrischen Kliniken der<br />
Nachkriegszeit aus. Einige beherbergten 2.000 Patienten und mehr.<br />
Michael Haupt arbeitete 1969 als Hilfspfleger im Landeskrankenhaus Grafenberg:<br />
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DOK 5 – Das Feature: 10./11.03.2013<br />
Arme Irre – Zurück zur Nachkriegspsychiatrie?<br />
O-Ton - Michael Haupt (Pflegeleiter, ehemals Pfleger LKH Grafenberg):<br />
Es hat barbarisch gestunken. [...] Diesen Geruch können, glaub ich, nur Leute<br />
nachvollziehen, die's wirklich auch selbst erlebt haben. Das ist 'ne Mischung aus<br />
mangelnder Körperpflege, Fäkalien und einem Gemäuer, das um die<br />
Jahrhundertwende erbaut wurde und seitdem auch nicht mehr renoviert worden<br />
war. Das kann man schlecht beschreiben, wie das gerochen hat. [schmunzelt]<br />
Sprecherin:<br />
Auf der Station für sogenannte Oligophrene in Düsseldorf-Grafenberg waren rund 80<br />
Menschen untergebracht: Geistig und körperlich Behinderte, Demente, Kinder und<br />
Alte. Manche trugen Anstaltsdrillich; die meisten hinten offene OP-Hemden. Den<br />
Tagesablauf bestimmten Hierarchie und katastrophaler Personalmangel. Auf der<br />
Station regierten die Pfleger.<br />
O-Ton - Michael Haupt:<br />
Das waren also dann pro Schicht drei oder vier Leute, die - ich hätte jetzt fast<br />
gesagt, die sich um die Menschen, die dort lebten, kümmerten. Aber das kann<br />
man nicht wirklich so sagen. Denn das waren über die fünfziger, sechziger Jahre<br />
eingespielte Abläufe, die eigentlich darauf hinausliefen, daß sich das Personal vor<br />
den Eindrücken und vor dem Elend auf dieser Station schützte. Nach allen nur<br />
denkbaren Möglichkeiten.<br />
O-Ton - Christa Wirtz-Stützer:<br />
Mit Bettlaken, da wurden einige fixiert; dann gab's auch diese Lederbänder, die<br />
man auch um diese Bettgestelle machen konnte, wo dann die Füße dran<br />
festgebunden wurden, und auch die Arme. Und dann auch die Körpergurte, die<br />
dann auch mitten um den Körper gemacht worden sind. Wenn man so<br />
festgebunden war, ging nichts mehr, da hatte man keine Bewegungsfreiheit mehr.<br />
Sprecherin:<br />
Christa Wirtz-Stützer, 1976 Sozialpädagogin im Landeskrankenhaus Brauweiler bei<br />
Köln. Patienten wurden damals in erster Linie ruhiggestellt. Psychopharmaka oder<br />
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DOK 5 – Das Feature: 10./11.03.2013<br />
Arme Irre – Zurück zur Nachkriegspsychiatrie?<br />
körperlicher Zwang haben sie oft auch seelisch gebrochen. Viele Opfer, die davon<br />
erzählen könnten, sind nicht mehr zu finden. Einen Runden Tisch, der ihre<br />
Geschichte aufarbeitet wie die der damaligen Heimkinder, wird es nicht geben.<br />
Etliche sind früh gestorben - weil sie in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen und<br />
lange schlecht versorgt worden sind, weil sie auf der Straße gelebt haben, weil sie<br />
mit Medikamenten vollgepumpt wurden. Manche sind den Erniedrigungen der<br />
Anstaltspsychiatrie entkommen und wollen nie wieder darüber sprechen. Andere<br />
malen die Erinnerung rosarot - auch ein Überlebensmechanismus.<br />
Einer, der nicht verdrängt hat, ist Horst Kapellen, heute Anfang 60. Seit 1967 war er<br />
immer wieder Patient in den Landeskrankenhäusern Düren und Köln-Merheim:<br />
O-Ton - Horst Kapellen:<br />
Fixieren ist so: Einen Bauchgut kriegt man um, und an den Beinen, rechte und<br />
linke Bein wird am Pfosten vom Bett festgemacht, dann kann man sich kaum<br />
bewegen und nichts, und wenn man dann noch irgendwie laut wird und so was,<br />
dann kriegt man Haldol-Spritze. Die wollten ihre Ruhe haben, die Pfleger.<br />
Frage: Und wenn Sie sich gewehrt haben dagegen?<br />
Dann wurd' man zu fünf, sechs, Mann festgehalten, und dann war das so. Je mehr<br />
man aufbrauste, je mehr man meckerte, um so schlimmer war es.<br />
Frage: Wie lange wurden Sie denn dann so fixiert?<br />
Zwei, drei Stunden. Und dann wurd' man losgelassen, und je nach dem, wenn<br />
man wieder 'n bißchen laut war, wurd' man wieder fixiert.<br />
Frage: Und wenn Sie in der Zeit zum Beispiel mal auf die Toilette mußten?<br />
Ja, hab ich ja auch gesagt, dann mußt ich ins Bett machen, auf Deutsch gesagt! In<br />
den sechziger, siebziger Jahren mußte man - bis da mal einer kam mit 'ner<br />
Urinflasche, die haben nur gesagt: Der spinnt, oder so, oder laß den mal laufen,<br />
laß den mal sein; auch in Merheim war das so.<br />
O-Ton - Christa Wirtz-Stützer:<br />
Das war ja auch damals diese Situation in Bonn im Landeskrankenhaus, wo ja<br />
auch die Patienten teilweise in Säcke gesteckt worden sind, oben zugeknotet, und<br />
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DOK 5 – Das Feature: 10./11.03.2013<br />
Arme Irre – Zurück zur Nachkriegspsychiatrie?<br />
wenn dann jemand einkotete oder aus Angst unter sich machte, das wurde dann<br />
auch rigoros bestraft, mit Abspritzen mit kaltem Wasser und solchen Sachen. Und<br />
es ist damals auch ein Patient in dieser Situation an Herzversagen gestorben.<br />
Sprecherin:<br />
Steile Hierarchien, keinerlei Kontrolle, kaum Personal - das erleichterte<br />
Grenzüberschreitungen jeder Art, bis hin zu Mißhandlungen und Folter.<br />
O-Ton - Rainer Kukla:<br />
Ich hab schon auch Patienten gefunden, wo offenkundig Zigaretten ausgedrückt<br />
waren auf der Haut; ich hab gesehen, wie Patienten unter der Dusche mit einem<br />
Kaltwasserstrahl traktiert wurden.<br />
Sprecherin:<br />
Rainer Kukla, 1964 Hilfspfleger im Landeskrankenhaus Süchteln, heute Viersen:<br />
O-Ton - Rainer Kukla:<br />
… ich habe mitbekommen, wie ein Patient eine Packung bekommen hat; das war<br />
damals eine Strafaktion, die sehr berüchtigt war; das heißt ein Patient wurde in<br />
nasse Laken gewickelt, und wenn das trocknet, zieht sich das zusammen und übt<br />
einen unglaublichen Druck aus; [...] - ja gut, die Stationen wurden von den<br />
Pflegern beherrscht.<br />
O-Ton - Christa Wirtz-Stützer:<br />
Therapie, die einem quasi raushilft, konnte ich da nicht feststellen.<br />
O-Ton - Horst Kapellen:<br />
Einmal in der Woche kam die Visite, oder jeden zweiten Tag - einmal in der<br />
Woche kam Oberarztvisite. Oder Chefarztvisite. Und immer: "Hallo wie geht's?<br />
Tschüß, auf Wiedersehen!" Dann waren die fertig.<br />
Frage: Das heißt, im Grunde haben die Sie gar nicht behandelt?<br />
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Nö. Die haben den Pflegern vorgeschrieben, was die mir für Medikamente geben<br />
sollen und mehr nicht. Und vielleicht einmal die Woche hat man die dann<br />
gesehen: "Wie geht es Ihnen? Tschüß, auf Wiedersehen."<br />
Sprecherin:<br />
Nachdem in den fünfziger Jahren Psychopharmaka entwickelt wurden, konnten<br />
Pfleger und Ärzte häufiger auf körperlichen Zwang verzichten - oft um den Preis von<br />
Überdosierungen und Nebenwirkungen der "chemischen Keule".<br />
Alix Arnold, 1980 Hilfsschwester im Landeskrankenhaus Bonn:<br />
O-Ton - Alix Arnold (SSK-Aktivistin):<br />
Das war 'ne sogenannte Schwerbehindertenstation, wo die Leute wirklich nur<br />
verwahrt waren, die waren völlig sediert, die waren teilweise ans Bett gefesselt,<br />
Tag und Nacht, die ganze Zeit; der Personalmangel war so kraß, daß selbst im<br />
Hochsommer keiner Zeit hatte, mit denen mal rauszugehen, das heißt, die waren<br />
den ganzen Tag auf dieser stinkenden Station eingeschlossen, und [...] Manche<br />
von diesen Menschen, die so aussahen, als hätten sie noch nie in ihrem Leben<br />
irgendwas alleine gemacht, die hatten Abitur. Irgendwas war in ihrem Leben<br />
passiert, und dann waren sie verstummt, und dann wurden sie in diesem LKH<br />
eingekerkert, und ihr Leben war vorbei.<br />
O-Ton - Michael Haupt:<br />
Sichtbare Nebenwirkungen waren bei dann [...] ständig vorkommenden<br />
Überdosierungen, wir nannten das "die Haldol-Bären"; dann entwickelte sich bei<br />
hängenden Schultern und beim Gehen ohne Mitbewegen der Arme ein tapsiger<br />
Gang; also Leute, die mit hängenden Schultern und teilnahmslosen Armen durch<br />
die Flure schlurften und, ja, Speichelfäden rannen aus dem Mund, und Menschen,<br />
die dann auch den Eindruck machten, daß sie reduziert waren auf das<br />
Seelenleben eines Broccoli.<br />
Sprecherin:<br />
Üblich waren zudem Elektroschocks - in den späten dreißiger Jahren noch<br />
psychiatrisch verbrämte Foltermethoden. Die Patienten bäumten sich unter den<br />
elektrischen Stößen so auf, daß sie sich Knochen und Kiefer brachen. In den<br />
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sechziger Jahren wurden die Betroffenen vorher betäubt, um solche<br />
"Nebenwirkungen" oder auch einen Herzstillstand zu vermeiden. Elektroschocks<br />
führen oft zu Gedächtnisverlust, so daß manche Psychiatrie-Überlebende heute gar<br />
nicht wissen, ob und wie oft sie geschockt worden sind.<br />
O-Ton – Nathalie (Psychiatrie-Erfahrene):<br />
Ich bin elektrogeschockt worden, dann weiß ich nichts davon. Meine Eltern<br />
mußten das damals unterschreiben, man war ja damals mit 21 erst volljährig<br />
Sprecherin:<br />
Nathalie, ab 1964 Patientin in Langenfeld und Brauweiler:<br />
O-Ton – Nathalie:<br />
… sagten sie entweder es geht gut oder es geht nicht gut, meine Eltern haben<br />
gesagt, lassen Se uns das machen, und ich sah, ein japanischer Arzt gab mir 'ne<br />
Spritze, und dann wußt' ich nichts mehr, und wie ich denn wach wurde, war ich in<br />
einem geschlossenen Bau und war angebunden am Bett und war mit acht, neun<br />
Personen, acht, neun Frauen im Zimmer. [...]<br />
Frage: Das heißt, Sie haben durch die Elektroschocks Erinnerungen verloren?<br />
Die Erinnerung war weg, ja. Ich sah noch 'n japanischen Arzt, der mir 'ne Spritze<br />
gab, und da bin ich denn aufgewacht, und dann sagte er, ich bin sechs oder<br />
sieben Mal geschockt worden und hab das Gedächtnis verloren.<br />
Frage: (OFF): So oft?<br />
Ja, sechs, das war damals üblich. Sechs Stück war an der Norm, drei oder sechs<br />
Stück waren an der Norm.<br />
Sprecherin:<br />
Schockierend sind aus heutiger Sicht aber nicht nur Behandlungsmethoden und<br />
Übergriffe. Genauso grausam wirkt, wie alltäglich die Rechte von Menschen verletzt<br />
wurden, die die Gesellschaft ausgesondert hatte.<br />
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O-Ton - Michael Haupt:<br />
In diesem eben beschriebenen Flur, als Verlängerung des Tagesraumes, standen<br />
die Gitterkäfige, die waren in den Abmessungen vielleicht etwas größer als ein<br />
Kinderbett, [...] ja und da waren halt Schwerstbehinderte, hauptsächlich geistig<br />
und körperlich schwerstbehinderte Menschen drin, die den ganzen Tag damit<br />
beschäftigt waren, sich Schlag- oder Beißschwielen zuzubringen. Das heißt, die<br />
hatten dann durch das unentwegte Klopfen mit der Stirn gegen diese Gitterstäbe<br />
über viele Jahre hin riesige Hornschwielen über diese Stirn hin entwickelt, oder<br />
ebensolche Hornschwielen an den Handrücken, weil sie sich da ständig<br />
hineinbissen.<br />
Sprecherin:<br />
Michael Haupt, damals Pfleger auf der Station für Oligophrene in Düsseldorf-<br />
Grafenberg.<br />
O-Ton - Michael Haupt:<br />
Das Erschreckende war eigentlich, daß diese Angehörigen am Wochenende<br />
dahinkamen, ganz selbstverständlich ihre Angehörigen aus diesen Käfigen<br />
herausnahmen; weil die durch Kontrakturen so verformt waren, daß die ihre<br />
Gliedmaßen nicht mehr strecken konnten, denn sie waren in diesen Käfigen ja<br />
auch so zusammengezwängt, daß man auch kein Bein ausstrecken konnte, 'n<br />
Arm auch nur, wenn man ihn durch die Gitterstäbe streckte, die waren also durch<br />
langjährig entstandene Kontrakturen so verformt, so deformiert, die Menschen,<br />
daß man ihnen auch keine Kleidung mehr hätte anziehen können, selbst wenn<br />
man welche gehabt hätte. [...] Dann wurde mit denen spazierengegangen im<br />
Gelände, und dann kamen die wieder [lacht] in die Käfige! [lacht] Das war<br />
erschütternd!<br />
Sprecherin:<br />
Die totale Institution Psychiatrie sperrte Kranke und Behinderte weg - als<br />
"gesellschaftlichen Ballast", den niemand wollte. Diese Sichtweise hat eine<br />
schreckliche Tradition. Das Menschenbild, das Kranke und Behinderte als<br />
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"lebensunwertes Leben" abstempelte, hatte bereits europaweit Konjunktur, bevor es<br />
die Nazis zur Staatsräson erhoben.<br />
Friedrich Leidinger, seit drei Jahrzehnten Psychiater beim Landschaftsverband<br />
Rheinland:<br />
O-Ton - Friedrich Leidinger (Psychiater, LVR):<br />
Wenn wir das besser verstehen wollen, das Phänomen der NS-Psychiatrie, dann<br />
müssen wir einfach zugeben, daß diese Verbrechen zwar einerseits ganz typische<br />
Eigenschaften der NS-Massenmorde haben, aber daß sie in ihrem Ursprung<br />
einfach woanders herkommen und daß die politischen Verhältnisse unter der<br />
Nazidiktatur den Ärzten es ermöglicht hat, dieses Vorhaben auszuführen. Aber es<br />
ist eigentlich nicht genuin nationalsozialistisch, es hat viel ältere Ursprünge als der<br />
Nationalsozialismus selbst, das würd' ich doch sagen.<br />
Sprecherin:<br />
Die Einteilung in Menschen und "Untermenschen" hatten Ärzte und Sozialtheoretiker<br />
schon Ende des 19. Jahrhunderts populär gemacht - und in der Konsequenz für die<br />
Tötung der "Entarteten" plädiert. Die Nazis ließen schließlich rund 200.000 Patienten<br />
ermorden - die meisten durch Gas, durch Hunger, durch überdosierte Medikamente.<br />
Das organisierte Töten hat nicht etwa die SS begonnen - die ersten Täter waren<br />
deutsche Psychiater.<br />
O-Ton - Michael Haupt:<br />
Dieses schön gefärbte Euthanasiegeschwätz. Das war im Grunde bei der<br />
Generation der Übervierzigjährigen allgegenwärtig.<br />
O-Ton - LVR-Film Psychiatriegeschichte (& Musik):<br />
"Leider wird die Psychiatrie immer noch oft mit Bedrohung und nicht mit<br />
Hilfeleistung in Verbindung gebracht. Informationsdefizite, triviale Überlieferungen<br />
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<strong>Manuskript</strong> weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich<br />
zugänglich gemacht ) werden..<br />
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DOK 5 – Das Feature: 10./11.03.2013<br />
Arme Irre – Zurück zur Nachkriegspsychiatrie?<br />
aus der Psychiatriegeschichte und vereinfachende, dramatisierende<br />
Berichterstattung in den Medien führen zu Schreckensbildern, die in vielen Köpfen<br />
noch herumspuken."<br />
Sprecherin:<br />
Aus der Selbstdarstellung des Landschaftsverbandes Rheinland im Jahr 2007. Die<br />
Schreckensbilder hatten ihren Grund. Denn eine "Stunde Null" gab es in der<br />
Psychiatrie eben sowenig wie im Rest der Nachkriegsgesellschaft. Deutsche<br />
Nervenärzte waren in der Nazi-Zeit entweder emigriert, oder sie waren auf die eine<br />
oder andere Weise in die Euthanasiemorde verstrickt. Die meisten von ihnen<br />
praktizierten nach 1945 weiter.<br />
Zum Beispiel Friedrich Panse. Während des Zweiten Weltkriegs entschied er als<br />
Gutachter darüber, welche Patienten in eine Tötungsanstalt kamen. Nach dem Krieg<br />
wurde er Leiter der Rheinischen Landesklinik für Hirnverletzte in Langenberg und<br />
übernahm 1955 die ärztliche Leitung des Landeskrankenhauses Grafenberg sowie<br />
den Lehrstuhl für Psychiatrie an der Universität Düsseldorf.<br />
O-Ton - Michael Haupt:<br />
Seelische Erkrankung wurde als so 'ne Art Charakterfehler behandelt, wie damals<br />
auch alle möglichen Suchterkrankungen, und dahinter stand nicht 'n<br />
Linderungsgedanke oder [...] 'n Ausgleichgedanke [...], sondern dahinter stand 'n<br />
Reglementierungs- und Bestrafungsgedanke: Wer also sich störend verhält, da<br />
fragen wir jetzt nicht, ob der nicht will oder nicht kann, der wird bestraft. dafür.<br />
Sprecherin:<br />
Kontinuität gab es in fast allen Bereichen: Der Landschaftsverband Rheinland,<br />
gegründet 1953, entstand als Rechtsnachfolger des rheinischen<br />
Provinzialverbandes, dem bisherigen Träger der Landeskrankenhäuser. Sein erster<br />
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Arme Irre – Zurück zur Nachkriegspsychiatrie?<br />
Direktor wurde der Jurist Udo Klausa. 1936 hatte er eine Abhandlung mit dem Titel<br />
"Rasse und Wehrrecht" veröffentlicht. In dem Kapitel "Die Aussonderung der<br />
Entarteten" heißt es:<br />
Sprecher: Zitat 3<br />
"Das Recht muß daran mitwirken, daß hier stets den wertvolleren Erbströmen die<br />
Entfaltungsmöglichkeit gesichert wird. Das geschieht positiv durch Förderung der<br />
rassisch wertvollen Menschen, negativ durch Aussonderung der Entarteten."<br />
[Udo Klausa: Rasse und Wehrrecht. Reihe: Recht und Rechtswahrer. Beiträge<br />
zum Rassegedanken. Stuttgart/Berlin: Kohlhammer 1936. Zit. nach: SSK: Die<br />
Aussonderung der Entarteten. Dokumentation über den Landschaftsverband<br />
Rheinland. 2. Auflage. Köln: SSK, 1979, S. 41]<br />
O-Ton - Lothar Gothe (SSK-Aktivist):<br />
Jetzt könnt man sagen: "Ist ja 40 Jahre oder was nach Kriegsende!" - aber er hatte<br />
ja Zustände zu verantworten, die ja immer noch ihre Wurzeln in der Zeit hatten, in<br />
der er dieser Schreibtischtäter gewesen ist.<br />
Sprecherin:<br />
Lothar Gothe, Sozialarbeiter und Ökobauer, damals Aktivist des sogenannten SSK,<br />
der Sozialistischen Selbsthilfe Köln - ein Zusammenschluß von Studenten und<br />
kritischen Sozialberuflern, obdachlosen Jugendlichen und geflohenen<br />
Psychiatriepatienten. Der SSK entwickelte sich in den siebziger Jahren zur<br />
Speerspitze der psychiatriekritischen Bewegung im Rheinland. Der Kölner<br />
Rechtsanwalt Detlef Hartmann hat den SSK in mehreren Prozessen verteidigt:<br />
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DOK 5 – Das Feature: 10./11.03.2013<br />
Arme Irre – Zurück zur Nachkriegspsychiatrie?<br />
O-Ton - Detlef Hartmann (Rechtsanwalt):<br />
Wir hatten doch die Auseinandersetzung mit Udo Klausa! [...] Den hatten wir mal<br />
in einem Prozeß als Zeugen, [...] und dann hab ich den befragt, wir hatten da<br />
rausgekriegt, daß der im Dritten Reich ein Buch "Rasse und Wehrrecht"<br />
geschrieben hatte, und da wurde dann auch deutlich, wie das ist, wenn man dann<br />
tatsächlich mal die hochrangigen Tiere da hat. Dann fing ich an, dem Fragen zu<br />
stellen: [bellt] "Gehört nicht zur Sache!" - "Ja doch, das gehört zur Sache, weil<br />
Psychiatrie ja damals angefangen hat und es sind viele Leute umgekommen usw.<br />
durch Nationalsozialisten, die im Amt geblieben sind usw." - [bellt] "Gehört hier<br />
nicht zur Sache!"<br />
Frage: Hat wer gesagt?<br />
Der Richter! Udo Klausa also sozusagen, der "Herr über Rasse und Wehrrecht" -<br />
der wurde geschützt!<br />
Sprecherin:<br />
Nicht nur Mitläufer und Täter waren aus der Nazizeit geblieben. Überlebt hatten auch<br />
die Strukturen und eine Denkweise, die Menschen nach ihrem angeblichen "Wert" für<br />
Staat und Gesellschaft bemaß. Psychisch und körperlich Kranke waren<br />
sozialrechtlich nicht gleichgestellt - die Krankenkassen übernahmen für die<br />
Behandlung psychisch Kranker nur einen Teil der Kosten; der Rest mußte von<br />
Angehörigen beglichen werden. Gleichzeitig wurden Menschen mit geistiger<br />
Behinderung - die ja nicht krank sind - wie psychisch Kranke behandelt und in den<br />
gleichen Anstalten weggeschlossen. Heilpädagogische Heime gab es nicht. Die<br />
meisten Mitarbeiter nahmen die Zustände hin.<br />
O-Ton - Michael Haupt:<br />
Und das war etwas, [...] das auch von Ärzten zum Beispiel oder auch von mir, der<br />
ich da neu reinkam, zwar zunächst mal mit Entsetzen quittiert, aber dann mehr<br />
oder weniger geduldet wurde; ich zieh da heute viele Parallelen zum Dritten Reich;<br />
in Form einer Mitläuferschuldigkeit beteiligte man sich an der Aufrechterhaltung,<br />
verdiente da sein Geld mit, an der Aufrechterhaltung von menschenunwürdigen<br />
Zuständen.<br />
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Sprecherin:<br />
Weit ausgeprägter als in Krankenhäusern herrschte in den Anstalten eine<br />
Zweiklassenmedizin. Wer kein Geld hatte, dem drohte noch im Deutschland der<br />
fünfziger Jahre der Hungertod, erinnert sich Friedrich Leidinger:<br />
O-Ton - Friedrich Leidinger:<br />
Eine der wirksamsten Maßnahmen zur Ermordung der Kranken war ja, sie<br />
auszuhungern. Und der Hunger, der systematische Hunger, hat auch in den<br />
Rheinischen Anstalten furchtbar gewütet, nicht nur während der NS-Zeit im<br />
Übrigen, sondern auch in den Nachkriegsjahren noch hat er gewütet, und wir<br />
wissen also, daß die Essensportionen bis in die fünfziger Jahre nicht ausreichend<br />
gewesen sind. Und daß die Menschen wirklich, wenn sie länger in den Anstalten<br />
lebten ohne zusätzliche Nahrungsquellen, in der Regel verhungerten.<br />
O-Ton - Alix Arnold:<br />
Und das andere, was man in der Psychiatrie immer gefunden hat, ist 'ne ganz,<br />
ganz krasse Armut gewesen. Weil, da landen nicht die Leute, die irgendwie Geld<br />
haben, die kaufen sich ihre Privatpsychiater und ihre wunderschönen Mittelchen,<br />
mit denen sie das geregelt kriegen, und im LKH landen die Leute, die keinen<br />
haben oder die zum Beispiel keine Wohnung haben. Uns hat wirklich mal 'n Arzt<br />
im Bonner LKH gesagt, wo wir ihn gefragt haben: "Warum sind diese ganzen<br />
Leute hier? Die wollen sich nicht umbringen, die wollen niemandem was tun,<br />
warum werden die hier eingesperrt?", hat er gesagt: "Ja, die haben ja keine<br />
Wohnung. 40 Prozent der Leute könnten wir sofort entlassen, wenn wir<br />
Wohnungen für sie hätten." Es ist ein ganz krasses Armutsproblem auch.<br />
Sprecherin:<br />
SSK-Mitglied Alix Arnold hat 1980 als Hilfsschwester im Landeskrankenhaus Bonn<br />
gearbeitet, um das System von innen kennenzulernen.<br />
Postfaschistische Zustände in den psychiatrischen Kliniken - Aufbruchstimmung in<br />
der bundesrepublikanischen Gesellschaft: Aus dieser Gemengelage entstand Anfang<br />
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der siebziger Jahre eine breite psychiatriekritische Bewegung. Im Rheinland kämpfte<br />
an vorderster Front der SSK.<br />
O-Ton - Ulla Goebel (SSK-Aktivistin) & Lothar Gothe:<br />
[Ulla Goebel:] Wir klopften einfach nicht an.<br />
[Lothar Gothe:] Ja, und dann sagt man: "Jetzt ist das besetzt."<br />
O-Ton - LVR-Film Psychiatriegeschichte (& Action-Musik):<br />
"Aktionen und Publikationen der antipsychiatrischen Bewegung und der<br />
Sozialistischen Selbsthilfe Köln nehmen dagegen radikale, skandalisierende und<br />
extrem politische Formen an. Sie richten sich gegen die Institution Krankenhaus<br />
und gegen den Landschaftsverband."<br />
O-Ton - Detlef Hartmann / Ulla Goebel / Alix Arnold:<br />
[Hartmann:] Kritik ist was für'n Intellektuellen - das war das damals nicht. [...]<br />
[Goebel:] Wir haben nicht einfach Gesellschaftskritik gemacht, sondern die Leute<br />
sollten wieder selber ihr Leben in die Hand kriegen. [p2]<br />
[Arnold:] Und so haben denn Leute Sachen gelernt, die eigentlich in dieser<br />
Gesellschaft gar nicht vorgesehen sind, [schmunzelt] [...] wo dann so Bürokraten<br />
vom Landschaftsverband überhaupt nicht mit klar kamen.<br />
Sprecherin:<br />
Psychiatrieentflohene und Studierte lebten in Wohngemeinschaften, schrieben<br />
Flugblätter und demonstrierten gemeinsam. Erfolgreich und gefürchtet war der SSK.<br />
Erfolgreich und gefürchtet war der SSK vor allem, weil er nicht nur die Öffentlichkeit<br />
alarmierte, sondern in den Psychiatrien selbst aktiv war.<br />
O-Ton - Alix Arnold:<br />
Das wichtige war, daß wir reingegangen sind. Daß wir diese Zeitung gemacht<br />
haben, die "Unbequemen Nachrichten", und Flugblätter, und damit im LKH auf<br />
dem Gelände rumgelaufen sind, über Stationen, wo man reinkam, gegangen sind,<br />
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dann uns Leute Namen zusteckten, sagten: "Hier, der ist auf der geschlossenen<br />
Station, der hat Probleme, besucht den mal!" und so.<br />
Sprecherin:<br />
Eine der spektakulärsten Aktionen war eine Gefangenenbefreiung. Karl-Heinz Bauer,<br />
damals knapp 40 Jahre alt, war wegen einer Lappalie in der forensischen Station in<br />
Düren weggesperrt worden, im berüchtigten Haus 5.<br />
Atmo - Rundgang Haus 5<br />
Hax: Schauen Sie sich hier den Toilettentrakt an, jetzt unbenutzt, damals haben<br />
sich da die Patienten die Klinke in die Hand gegeben. [...]<br />
Frage: Das heißt, im Prinzip wurde man auch beim Verrichten der Notdurft oder<br />
beim Duschen eingesperrt.<br />
Hax: Im Bedarfsfall ja. [...]<br />
Frage: Das heißt, es gab auch keine einzelnen Toiletten, sondern es mußten<br />
schon mehrere, auf Deutsch gesagt, gleichzeitig kacken.<br />
Hax: Genau.<br />
Frage: Keine Privatsphäre.<br />
Hax: Also, die gab's hier wirklich nicht, das ist hier das grausamste Fallbeispiel,<br />
hier ist die sogenannte Sechserzelle, zum Teil haben hier, glaub ich, auch schon<br />
sieben gelegen. [...] Da kann man machen, was man will - wenn man auf so einem<br />
Raum sechs Patienten, die gestört sind oder krank sind, wenn man die<br />
zusammenpfercht, da gibt es kein Halten.<br />
Sprecherin:<br />
Hier saß Bauer seit Ende der siebziger Jahre, ohne Aussicht auf Entlassung.<br />
Hochdosierte Psychopharmaka sind mitverantwortlich für eine Schüttellähmung, die<br />
ihn bis heute schwer beeinträchtigt.<br />
O-Ton - Karl-Heinz Bauer (Psychiatrie-Erfahrener):<br />
Frage: Haben Ärzte sich um Sie gekümmert?<br />
Ja, ein Arzt hat sich um mich gekümmert. Ein Arzt.<br />
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Frage: Was hat der denn gemacht?<br />
["mümmelt"] Den Blutdruck gemessen.<br />
Frage: Die haben Sie ja hingeschickt nach Düren, weil sie gesagt haben,<br />
irgendwas ist seelisch bei Ihnen nicht in Ordnung. Haben die nur Blutdruck<br />
gemessen? Nichts anderes?<br />
Nee. [Flattern und Atmen sehr deutlich!]<br />
Frage: Dann waren Sie eigentlich nur - eingesperrt.<br />
Eingesperrt, ja. [lacht]<br />
O-Ton - Friedrich Leidinger:<br />
Das war ja ein enormer Justizskandal vor allen Dingen, ja, daß da dieser Mann<br />
wegen einer Lächerlichkeit - ich glaube, er hatte besoffen die Straße überquert<br />
und war unachtsam gewesen und da war 'n Taxi in ein parkendes Auto<br />
reingefahren, irgendwie so was, da war 'n Blechschaden entstanden - und dafür<br />
steckt man diesen Mann über 20 Jahre in die Anstalt. Das war schon an sich<br />
schrecklich. Und daß die Justiz das auch permanent weiter durchgezogen hat und<br />
immer wieder gemeint hat: [...] Nein, muß weiter untergebracht werden!<br />
Sprecherin:<br />
Karl-Heinz Bauers Lebensgefährtin alarmierte schließlich den SSK. Als<br />
Demonstrationen erfolglos blieben, entführten Aktivisten Karl-Heinz Bauer in einem<br />
wartenden Wagen, während er Ausgang hatte. Sie versteckten ihn bei einer<br />
befreundeten Wohngruppe, aber Bauer brauchte dringend psychiatrische Hilfe.<br />
Friedrich Leidinger war zwar als Arzt beim Landschaftsverband beschäftigt, aber er<br />
half schnell und unbürokratisch - obwohl er wußte, daß nach dem Flüchtigen<br />
polizeilich gefahndet wurde.<br />
O-Ton - Friedrich Leidinger:<br />
Und da kam dann der Vorschlag: "Das regeln wir!" Und das haben die toll<br />
geregelt, weil die haben dann, nach meiner Kenntnis, ein Sit-in beim Minister<br />
gemacht.<br />
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Sprecherin:<br />
Karl-Heinz Bauer bekam seine Freiheit zurück. Der Fall machte Schlagzeilen in Köln.<br />
Andere Skandale schlugen bundesweit Wellen - so die Zustände in Brauweiler bei<br />
Köln.<br />
Die ehemalige Abtei war bis 1968 Arbeitsanstalt gewesen - hier wurden Arme<br />
eingesperrt, die sich als Bettler oder Landstreicher strafbar gemacht hatten. Als<br />
Landeskrankenhaus beherbergte Brauweiler neben psychisch Kranken und<br />
Obdachlosen, Behinderten und Dementen besonders viele Suchtkranke. Die seilten<br />
sich nachts regelmäßig aus den oberen Stockwerken ab, um Alkohol einzukaufen.<br />
Einige stürzten dabei zu Tode. Die Klinikleitung sah zu. Christa Wirtz-Stützer, damals<br />
Sozialpädagogin in Brauweiler.<br />
O-Ton - Christa Wirtz-Stützer:<br />
Und dann gab's ja auch den Klinikleiter damals, Dr. Stockhausen, der 'n<br />
ausgeprägtes Alkoholproblem hatte und dazu auch noch 'ne psychische,<br />
[schmunzelt] psychiatrische Erkrankung hatte, und der dann immer im weißen<br />
Kittel durchs Gelände ging und seinen Revolver in der Kitteltasche hatte und sich<br />
bedroht fühlte von der RAF, und 'ne Kollegin von mir, die hatte rote Haare, und die<br />
mußte dann ziemlich dran glauben, weil sie eben der Ableger der RAF im<br />
Klinikgelände war - da kann man so drüber auch schmunzeln, wenn man diese<br />
Geschichten hört, aber's war eben so, daß alles entglitt.<br />
Sprecherin:<br />
Die Vorgesetzten im Landschaftsverband Rheinland wußten, daß Fritz Stockhausen<br />
schwer suchtkrank war - er blieb auf seinem Posten.<br />
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O-Ton - Christa Wirtz-Stützer:<br />
Und der stellvertretende Direktor, Dr. Thewalt, war jemand, der hieß auch<br />
Sonnengott, das war sein Spitzname, das war jemand, der hatte so 'ne sehr<br />
militärische Art und dann an Sonn- und Feiertagen lief er dann auch in Uniform<br />
durchs Gelände...<br />
Frage: In was für 'ner Uniform?<br />
Militäruniform. [...] Das war was ganz Wesentliches: Der marschierte durchs<br />
Gelände und patrouillierte im Grunde. Und seine Arbeit bestand im Grunde darin,<br />
sehr hoch zu dosieren mit den Psychopharmaka.<br />
Sprecherin:<br />
Die Zustände in Brauweiler waren bekannt; es gab Beschwerden. Aber ein<br />
Untersuchungsausschuß des Landschaftsverbandes kam 1976 zu dem Schluß, die<br />
Vorwürfe seien "im Wesentlichen unbegründet".<br />
O-Ton - Christa Wirtz-Stützer:<br />
Niemand ist verantwortlich. Jeder der 'n Stück Autorität oder Macht hat, konnte<br />
machen, was er wollte, und es gab keine Reglementierung. [...] Und das war was<br />
Typisches für Brauweiler, daß im Grunde da das Personal des<br />
Landschaftsverbandes sich sammelte, was nirgendwo anders mehr tragbar war.<br />
Und auch aus Arbeitshauszeiten, also nach dem Krieg, da noch Personal war.<br />
Was letztendlich genauso mit den Patienten auch umging.<br />
Sprecherin:<br />
Dann gab es kurz nacheinander zwei Tote. Im Juli 1977 starb der 25jährige Patient<br />
Franz Machwirth unter ungeklärten Umständen, im Januar 1978 die 20jährige Marion<br />
Masuhr an einer Überdosis Psychopharmaka.<br />
Der SSK erstattete Strafanzeige und trug die Fälle mit Demonstrationen und<br />
Flugblättern in die Öffentlichkeit. Der Landschaftsverband sah sich gezwungen,<br />
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Brauweiler zu schließen; die Klinikleitung mußte vor Gericht. Der Prozeß endete mit<br />
Bewährungsstrafen.<br />
O-Ton - Alix Arnold / Detlef Hartmann / Ulla Goebel:<br />
[Arnold:] Es wurde dann alles als Einzelfälle, als durchgeknallte Psychopathen, die<br />
dann zufällig in der Klinikleitung gelandet waren, also es wurde nicht als, wie wir<br />
das gesehen haben, als System natürlich verhandelt, sondern als Einzelfälle, [...]<br />
[Hartmann:] Da wurden ja Pfleger gehört, da wurden Ärzte gehört und<br />
Sachverständige gehört usw., aber die Leute selber kamen nicht zu Wort! Das<br />
wäre ein Prozeß gewesen, wie ich ihn gerne gehabt hätte!<br />
[Goebel:] Also, der Alltag ist der Skandal! Und der interessierte nun wiederum<br />
keinen.<br />
Sprecherin:<br />
Den SSK interessierte der Alltag auch weiterhin. Seine Mitstreiter sammelten<br />
Berichte von Betroffenen, aber auch von Ärzten und Pflegern, die auspackten.<br />
Mehrfach besetzten sie auch die Station eines Landeskrankenhauses.<br />
O-Ton - Alix Arnold:<br />
Eine Geschichte, die dann bekannt geworden ist, war genau im Bonner LKH, was<br />
dann der Bonner Skandal wurde, daß da zwei Ärztinnen einfach mal akribisch<br />
Buch geführt haben über die sogenannten besonderen Vorkommnisse, also wo<br />
alte Menschen, 'ne Liste von über 100 Vorfällen, eben sich verletzt hatten,<br />
irgendwie zu Schaden gekommen waren, wegen Personalmangel. Und diese<br />
beiden Ärztinnen haben gesagt: "Das können wir nicht mehr verantworten, wir<br />
schreiben das jetzt den Chefs, wir schreiben das nach ganz oben, die müssen<br />
irgendwas machen." Und dann ist nichts passiert. Und dann hat irgend jemand die<br />
Schnauze voll gehabt und hat diesen Brief dem SSK zukommen lassen. Dann<br />
haben wir die Station besetzt, und dann war's öffentlich. Dann war's 'n Skandal;<br />
aber das heißt, die haben den Dienstweg benutzt, und der hat zu absolut nichts<br />
geführt, da ist einfach nichts passiert, obwohl diese Liste ja nun beeindruckend<br />
war.<br />
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Sprecherin:<br />
Für Lothar Gothe war klar, warum sich nichts änderte: Der Landschaftsverband war<br />
nicht nur Träger der Psychiatrien, sondern gleichzeitig seine eigene<br />
Aufsichtsbehörde. Gothe und seine Mitstreiter forderten, die gesamte<br />
undemokratische Institution abzuschaffen.<br />
O-Ton - Lothar Gothe:<br />
Ja, der hatte die Heimaufsicht. Also, ihm oblag die Heimaufsicht über die<br />
Psychiatrien und Heime [...] - also der Zentrale in Köln am Kennedyufer - über die<br />
eigenen Heime; das hatte dann zur Folge, wenn sich 'n Patient beschwert hat<br />
beim Landschaftsverband Rheinland [...], dann ging diese Beschwerde, wurde<br />
dann in Kopie an den Direktor der Anstalt geleitet, der leitete die an die Abteilung<br />
zur Stellungnahme; dann hat letztendlich der Erzieher, der sagen wir mal diesen<br />
Menschen brutal verprügelt hat, Stellungnahme abgegeben, die ging dann den<br />
Weg zurück und kam dann mit dem Kopf, Briefkopf, des Landschaftsverbands<br />
Rheinland an den Beschwerdeführer zurück, natürlich mit der Äußerung - als<br />
objektive Feststellung wurde dann die Äußerung des betroffenen Erziehers dem<br />
Mann mitgeteilt. [p1/2] [...] Und gerade bei Menschen, bei denen so rabiate<br />
Eingriffe in die Grundrechte möglich sind, dann eine so wenig kontrollierte<br />
Einrichtung zu führen, ist im Grunde ein Skandal, der bis heute zum Himmel<br />
schreit.<br />
Sprecherin:<br />
Formal kontrolliert wird der Verband von der sogenannten Landschaftsversammlung.<br />
Dort sitzen Kommunalpolitiker, die von ihren Parteien delegiert werden. Für die FDP<br />
gehörte Michael Kleff ab Mitte der siebziger Jahre dazu. Er setze einen<br />
Beschwerdeausschuß für Patienten durch.<br />
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O-Ton - Michael Kleff (ehemals Mitglied im Gesundheitsausschuss der<br />
Landschaftsversammlung):<br />
Wir hatten manchmal das Gefühl: Da stimmt was nicht, aber wir konnten's nicht<br />
aufklären, weil uns medizinische Fachkenntnis, Verwaltungsfachkenntnis, alle<br />
möglichen Kenntnisse fehlten, um der Sache wirklich auf den Grund zu gehen,<br />
und manchmal mußten wir einfach drauf vertrauen, daß der Kollege Kukla ehrlich<br />
war [schmunzelt], wenn er gesagt hat: "Glaubt mir, so und so ist das..."<br />
Sprecherin:<br />
Der ständige Druck von unten hatte längst auch im Landschaftsverband selbst<br />
Wirkung gezeigt. Auch hier gab es einen "Marsch durch die Institutionen". Rainer<br />
Kukla, später fast ein Vierteljahrhundert lang Gesundheitsdezernent des Verbandes,<br />
forschte Ende der sechziger Jahre als junger Soziologe in der Psychiatrie.<br />
O-Ton - Rainer Kukla:<br />
Es waren natürlich auch etwas wilde Jahre, es waren die Achtundsechziger Jahre,<br />
und wir haben natürlich hier den jungen Ärzten, mit denen wir dann natürlich im<br />
Laufe der Zeit befreundet waren, erst mal erklärt, daß sie Agenten der sozialen<br />
Kontrolle seien; oder ein Freund von mir, der hat dann hier in der<br />
Krankenpflegeschule, sehr zum Entsetzen der etablierten Mediziner, in der<br />
Krankenpflegeschule Marxismusunterricht gegeben; das paßte in die damalige<br />
Zeit, wäre heute natürlich völlig undenkbar.<br />
Sprecherin:<br />
1971 reagierte die Politik. Der Bundestag richtete eine Enquête-Kommission ein, die<br />
die Lage der Psychiatrie in Deutschland untersuchen sollte. Zu ihrem Vorsitzenden<br />
bestimmte sie den Reformpsychiater Caspar Kulenkampff, der gerade sein Amt als<br />
oberster Klinikchef im Landschaftsverband Rheinland angetreten hatte.<br />
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Arme Irre – Zurück zur Nachkriegspsychiatrie?<br />
Sprecher: Zitat 4<br />
Es "darf [...] nicht in Vergessenheit geraten, daß eine sehr große Anzahl psychisch<br />
Kranker und Behinderter in den stationären Einrichtungen unter elenden, zum Teil<br />
als menschenunwürdig zu bezeichnenden Umständen leben müssen."<br />
"[...] Sofortprogramme sollten sich zuallererst auf die angemessene Befriedigung<br />
humaner Grundbedürfnisse in den Einrichtungen beziehen. [...]<br />
Hierzu gehört z.B.:<br />
- ausreichend sanitäre Ausstattung<br />
- eigener Nachtisch<br />
- patienteneigener Schrank für das Eigentum der Kranken [...]<br />
- Ermöglichung des Tragens eigener Kleidung etc."<br />
[Zwischenbericht der Sachverständigenkommission zur Erarbeitung der Enquête<br />
über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland, 19.10.1973, BT-<br />
Drucksache 7/1124, S. 23, 27]<br />
Sprecherin:<br />
Kulenkampff hatte mit erheblichem Widerstand in den eigenen Reihen zu kämpfen.<br />
Dennoch wandelte sich die Psychiatrie ab Mitte der siebziger Jahre langsam von der<br />
überwachenden Verwahrung zu einer therapeutisch-rehabilitierenden Behandlung.<br />
Die Großkrankenhäuser machten mehr und mehr der sogenannten<br />
Gemeindepsychiatrie Platz - einer dezentralen und großenteils ambulanten<br />
Versorgung.<br />
Langsam leerten sich die Anstalten. In Bedburg-Hau etwa sank die Zahl der Insassen<br />
von über 3.500 im Jahr 1972 auf heute 1.100; in Grafenberg von 1.600 auf rund 600.<br />
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zugänglich gemacht ) werden..<br />
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DOK 5 – Das Feature: 10./11.03.2013<br />
Arme Irre – Zurück zur Nachkriegspsychiatrie?<br />
Die Veränderungen waren gewaltig – aber sie gingen längst nicht so weit wie in<br />
manchen anderen europäischen Ländern. Lothar Gothe und seine Mitstreiter wollten<br />
die Psychiatrie abschaffen, weil sie Menschen in kapitalistische Verwertungsnormen<br />
presse. Ihre Forderung blieb unerfüllt.<br />
O-Ton - Rainer Kukla:<br />
Es war 'n fundamentaler Unterschied insofern, als der SSK und Lothar Gothe<br />
hatten, wenn man so will, den revolutionären Ansatz und sagten: Dieses ganze<br />
System muß abgeschafft werden, es ist inhuman. Und der Ansatz von<br />
Kulenkampff und allen, die sich jetzt auf der anderen Seite um Reform bemühten,<br />
war eher so 'n reformistischer Ansatz, nach dem Motto: Es muß gelingen, in<br />
kleinen Schritten die Situation so zu verändern in Richtung mehr Humanität, mehr<br />
Therapie, usw. Und es gab 'ne ganz klare Auseinandersetzung insofern, als<br />
Lothar Gothe zum Beispiel sagte: Wir werden Euch immer wieder beweisen, daß<br />
dieses System nicht zu humanisieren ist.<br />
O-Ton - Lothar Gothe:<br />
Da habe ich dem versucht zu erklären, was der Unterschied zwischen unserer Art,<br />
mit Menschen, mit psychisch Kranken, die's ja wirklich gibt, umzugehen, und ihrer,<br />
seiner Art ist, daß er versucht, - zum Beispiel mit Einsperren oder durch<br />
Psychopharmaka - die Leute wieder anzupassen. an die Verhältnisse, aus denen<br />
sie kommen. Wenn aber die Verhältnisse, ham wir gesagt, die Krankheitsursache<br />
sind, dann ist das ja zum Scheitern verurteilt, und dann produziert das die<br />
Menschen, die sie selber Drehtürpatienten nennen: raus rein, raus rein. Und<br />
deshalb war für uns das Wichtigste, diese neue Gemeinschaft zu schaffen, in<br />
denen sie leben konnten, das war unser Medikament, wenn man so will, - also die<br />
Verhältnisse zu ändern, in denen sie dann eben nicht ausflippen mußten oder<br />
depressiv oder Selbstmordversuche machen mußten. Dat seh ich immer noch so.<br />
O-Ton - LVR-Film Psychiatriegeschichte (& Musik):<br />
"Diese Entwicklung der Rheinischen Psychiatrie, von der Institution hin zum<br />
Menschen, vom zentralen Krankenhaus in die Gemeinde, ist ohne den<br />
Landschaftsverband Rheinland nicht denkbar."<br />
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Atmo - Rundgang Station 14 G:<br />
[Schlüssel - Pflegerin: "Hier ist unser Pflegezimmer..." - Schlüssel im Schloß<br />
.Schließgeräusch - Atmo hallt jetzt [...] - Pflegerin: [...]"Wenn wir hier drin sind, ist<br />
höchstens in der Übergabe die Tür zu, sonst ist die immer auf. Also, wir sind im<br />
Gegensatz zur Somatik immer präsent für die Leute. Hier ist eigentlich alles auf - und<br />
das find ich persönlich sehr gut. Man hat mehr Kontakt zu den Leuten." [...] -<br />
Schlüssel und Schritte]<br />
Sprecherin (auf Atmo):<br />
Psychiatrische Klinik Düren, Station 14 G. Ein modernes Haus, das der<br />
Landschaftsverband gerne vorzeigt. Man hat die braune Vergangenheit<br />
aufgearbeitet, aus eigenem Antrieb eine Reform durchgesetzt, die unumkehrbar ist -<br />
so stellt sich der größte Träger der rheinischen Psychiatrie heute selber dar.<br />
O-Ton - Gabi und Steffi:<br />
[Gabi:] Wichtig wäre uns allen, daß dieser alte Mythos Irrenhaus endlich mal<br />
verschwindet, weil es ist nicht an dem, [...]<br />
[Steffi:] Negatives kann ich überhaupt nicht sagen. Das ist supertoll, und wenn die<br />
Leute draußen sagen, das ist eine Psychiatrie, das ist falsch.<br />
Atmo - Rundgang Station 14 G:<br />
[Schritte im Gang - Pflegerin: "Das ist das Büro von unserer Stationsärztin, wie<br />
gesagt; das ist unser Psychologe und das ist die Oberärztin. Das heißt, wenn die<br />
Patienten irgendwas haben, die sind wirklich immer präsent, die Ärzte, können<br />
immer hingehen.<br />
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O-Ton - Friedrich Leidinger:<br />
Aus meiner Sicht ist diese Diskussion über Zwang eine der zentralen<br />
Diskussionen zur Zeit.<br />
O-Ton - LVR-Film Psychiatriegeschichte (& Musik):<br />
"Die Beziehung zum Patienten auf gleicher Augenhöhe wird immer wichtiger.<br />
Kontinuität und persönliche Zuwendung werden immer mehr zum Maßstab für<br />
Behandlung, Begleitung und Überleitungspflege in den Kliniken. Und dies wird<br />
verstärkt durch zunehmend bedarfsgerechte Personalausstattung."<br />
O-Ton - Michael Haupt:<br />
Wenn ich heute die Personalausstattung im stationären Bereich angucke, dann<br />
darf ich eigentlich nirgendwo laut sagen, was wir an Personal haben, weil ich dann<br />
mit Katzenscheiße beworfen werde [lacht], die Personalausstattung heute ist<br />
deutlich schlechter.<br />
Sprecherin:<br />
Michael Haupt, heute Pflegefachwirt und Hausleiter eines Wohnheims für psychisch<br />
Kranke in Eitorf.<br />
Mittlerweile sind Einsparungen und Personallücken so massiv, daß nicht nur<br />
Berufsverbände, sondern auch viele unabhängige Fachleute Alarm schlagen.<br />
Gesetzlich garantierte Mindeststandards werden flächendeckend unterlaufen: Im<br />
Schnitt fehlen zehn Prozent, in vielen Fällen weitaus mehr Personal. Zudem sind<br />
gute Fachkräfte knapp, so daß notgedrungen weniger qualifizierte Mitarbeiter<br />
eingestellt werden. Ärzten bleibt wegen neuer bürokratischer Aufgaben weniger als<br />
die Hälfte ihrer Arbeitszeit für therapeutische Gespräche.<br />
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Arme Irre – Zurück zur Nachkriegspsychiatrie?<br />
Gleichzeitig hat sich die Zahl der Patienten zwischen 1991 und 2004 fast verdoppelt.<br />
Seitdem hat das Bundesgesundheitsministerium keine Zahlen mehr vorgelegt.<br />
O-Ton - Sabine (Stimme verfremdet):<br />
... daß wir diese zwei Klassen haben: daß wir auf der einen Seite diese<br />
psychosomatischen Kliniken haben, wo man wer weiß was schreiben muß,<br />
beantragen muß, warten muß, und auf der anderen Seite die Psychiatrie, wo man<br />
nur einmal falsch pupsen muß und dann ist man drin und dann vielleicht auch<br />
länger als einem lieb ist, ...<br />
O-Ton - Christa Wirtz-Stützer:<br />
Was ich so beobachte, ist ja immer, daß so geguckt wird, möglichst am Profit<br />
orientiert und möglichst wenig Geld auszugeben auch in den Bereichen, wo<br />
Institutionen wirtschaftlich geführt werden müssen. Und das öffnet Tür und Tor in<br />
die Richtung, wie wir sie früher hatten. Weil das kann nicht funktionieren. Man<br />
muß schon mit etwas mehr Personal, auch gut ausgebildetem Personal, muß man<br />
in solchen Einrichtungen, die muß man einfach zur Verfügung stellen. In dem<br />
Moment, wo man's nicht macht, ist es wieder Verwahrpsychiatrie. Und das bleibt's<br />
dann auch. Und es entsteht wieder die Drehtürpsychiatrie wie früher.<br />
O-Ton - Sabine (Stimme verfremdet):<br />
Mich würd's nicht mehr geben, wenn ich da nicht irgendwo rausgegangen wäre!<br />
Wenn ich nicht den "Chemischen Knebel" gelesen hätte und daraus nicht erfahren<br />
hätte, daß mir keine Psychopharmaka, vor allem keine Neuroleptika jemals helfen<br />
können, wenn ich die dauerhaft nehme, und mir ging's ja Scheiße, mir ging's ja<br />
deswegen Scheiße, weil ich Neuroleptika immer genommen hab - ich würd' heute<br />
nicht hier sitzen! Mir haben sie auch mal irgendwann gesagt: "Nee, also Studium,<br />
lassen Se stecken, werden Sie nie schaffen! Was wollen Sie - arbeiten gehen?<br />
Sie? Wir überlegen uns doch gerade, wo wir für Sie die Langzeitstation haben!"<br />
[...] Ja klar, mir ging's auch Scheiße, aber warum ging's mir Scheiße? Weil ich 'ne<br />
Depotspritze im Arsch hatte! Alle zwei Wochen. Um 's mal platt zu sagen.<br />
O-Ton - Friedrich Leidinger:<br />
Was wir dann sehen, ist, daß in der Praxis eigentlich die Psychopharmaka<br />
weniger nach wissenschaftlichen Erkenntnissen verordnet werden als so, wie man<br />
es dann in der Not des Alltages für richtig hält. [...] Und dann haben wir gesehen,<br />
daß das in sehr unterschiedlicher Art und Weise erfolgt, und daß insbesondere,<br />
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Arme Irre – Zurück zur Nachkriegspsychiatrie?<br />
wo wir dann mal kritisch hingeschaut haben, bei einer großen Zahl von Patienten<br />
problematisch, jedenfalls aus der Sicht der Leitlinien nicht empfohlene oder sogar<br />
problematische, schädliche Kombinationen oder Dosierungen gegeben wurden.<br />
Sprecherin:<br />
Sedieren statt Heilen - die Mißstände nehmen wieder zu, das sieht auch Friedrich<br />
Leidinger. Die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie geht hart mit dem<br />
eigenen Berufsstand ins Gericht: Viele Psychopharmaka würden zu oft und zu hoch<br />
dosiert eingesetzt. Menschen mit Psychosen sterben 20 bis 25 Jahre früher als<br />
Gesunde - Schuld daran seien wenigstens zu einem Teil die Medikamente. Daß die<br />
weiterhin unkritisch verschrieben werden, dafür sorge die Pharma-Lobby mit riesigen<br />
Werbeetats, Geschenken und bezahlter Forschung.<br />
Sprecher: Zitat 1<br />
"Der zunehmende Einfluss der pharmazeutischen Industrie auf Forschung, ärztliche<br />
Fortbildung und Verschreibungsverhalten, die Form ihres Marketing wie die zum Teil<br />
massiven Interessenskonflikte führender Vertreter des Fachgebietes führen dazu,<br />
daß die Unabhängigkeit der Psychiatrie als Wissenschaft und Praxis und die<br />
Integrität des ärztlichen Berufsstandes gefährdet ist."<br />
[DGSP: Memorandum der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V. zur<br />
Anwendung von Antipsychotika. Überarbeitete Fassung, 29.09.2009. zit. nach der<br />
Kurzfassung, S. 2]<br />
Sprecherin:<br />
Gewiß - es droht kein Rückfall zu Massenschlafsälen, Käfighaltung, offenen Latrinen<br />
und Selektion durch Hunger. Trotzdem sind viele neue Probleme der Psychiatrie die<br />
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alten: Immer wieder entzündet sich die Kritik an der Anwendung von<br />
Psychopharmaka und Zwang.<br />
O-Ton - Friedrich Leidinger:<br />
Die häufigste Anwendung überhaupt des Fixierens, die finden Sie in der<br />
Gerontopsychiatrie übrigens, also bei alten Menschen, [...] Aus meiner Sicht ist<br />
diese Diskussion über Zwang eine der zentralen Diskussionen zur Zeit. Und es ist<br />
natürlich eigentlich keine medizinische Diskussion, keine fachliche Diskussion, es<br />
ist eine Diskussion über Bürgerrechte!<br />
Sprecherin:<br />
Psychisch kranke Menschen haben die gleichen Bürger- und Freiheitsrechte wie<br />
Gesunde, und die Gesellschaft trägt ihnen gegenüber Verantwortung, auch wenn<br />
das Geld kostet - das ist eine der großen Errungenschaften der Psychiatriereform.<br />
Heute widerspricht dem öffentlich niemand. Noch nicht. Denn in Zeiten knapper<br />
öffentlicher Mittel werden die Kosten psychosozialer Versorgung mehr und mehr als<br />
unproduktive Sozialausgaben wahrgenommen.<br />
Hinzu kommt: Mißstände provozieren nicht mehr den gleichen Widerstand wie in den<br />
siebziger Jahren. Ende der achtziger sind die Proteste des SSK gegen die<br />
Psychiatrie abgeebbt. Unter anderem fehlte der direkte Kontakt zu Patienten, weil<br />
Aktivisten fast überall Hausverbot hatten.<br />
Kritik mobilisiert heute keine Öffentlichkeit mehr. Keiner besetzt das Büro eines<br />
Dezernenten oder Klinikleiters. Dazu beigetragen haben auch die<br />
Beschwerdestellen, auf die Verfechter der Psychiatriereform so stolz sind. Alix<br />
Arnold:<br />
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O-Ton - Alix Arnold:<br />
Was denen wirklich gelungen ist, [...] ist 'ne totale Individualisierung gewesen. [...]<br />
Und dazu gehören natürlich genau auch solche internen Beschwerdestellen. Weil,<br />
man macht dann eben nicht mehr gemeinsam irgendwas, sondern als einzelne<br />
Person, als einzelner Patient, geht man zu seinem Ombudsmann, zu seiner<br />
Beschwerdekommission, wird sein Problem los, und das wird dann irgendwie<br />
verarbeitet.<br />
Sprecherin:<br />
Kaum jemand außer den Opfern und einzelnen Pflegern, Ärzten und Aktivisten<br />
erinnert sich an einen der vielleicht größten Skandale der deutschen<br />
Nachkriegsgeschichte: Systematisch wurde die Würde von Hunderttausenden<br />
verletzt, die der Gesellschaft als unproduktive, abweichende und damit letztlich<br />
verzichtbare "Irre" galten.<br />
Atmo - Rundgang Haus 5<br />
[… Ja, das ist unser Haus 5. [hallige Raumatmo, Schlüssel, Tür] Es gibt ja aktuell<br />
das, was wir Rückwärtsbewegung nennen.]<br />
Sprecherin:<br />
Haus 5, das "Bewahrungshaus für psychisch kranke Rechtsbrecher" in Düren.<br />
Atmo - Rundgang Haus 5<br />
Als das Haus 5 abgelöst wurde vom Forensischen Dorf, da hatten wir, was die<br />
Behandlungsmöglichkeit von forensischen Patienten anging, so was wie 'ne<br />
euphorische Phase; es war das Geld da, es war viel Idealismus da, die Kliniken<br />
waren maximal gut ausgestattet, und aufgrund der Ereignisse, vielleicht auch der<br />
Krisen der letzten Jahre, gibt's nicht mehr das Postulat: Behandlung und<br />
Sicherung, sondern es hat sich umgekehrt in Richtung Sicherung und dann<br />
irgendwann mal Behandlung; die Mittel sind knapper geworden, deshalb ist auch<br />
wichtig, daß dieses Haus hier stehen bleibt, weil man, wenn man durch eine neue<br />
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Arme Irre – Zurück zur Nachkriegspsychiatrie?<br />
forensische Abteilung geht - die sind alle nicht so berühmt -, aber wenn man durch<br />
eine neue geht, dann bekommt man nicht so die Idee davon, wie schlimm es mal<br />
war. Und irgendwann braucht man mal wieder so 'n Mahnmal dergestalt, daß man<br />
sagen kann: "Also, gespart werden muß überall, das wollen wir nicht bestreiten,<br />
und wir wollen jetzt auch hier keinen Luxus, aber so, wie es mal war, darf es nie<br />
wieder werden, das ist klar. [Schritte, Halle, Raumatmo, Tür fällt ins Schloß]<br />
Sprecher (Absage):<br />
Arme Irre - Zurück zur Nachkriegspsychiatrie?<br />
Ein Feature von Beate Hinrichs.<br />
Es sprachen:<br />
Johanna Gastdorf<br />
und Andreas Laurenz Maier<br />
Technische Realisation: Benedikt Bitzenhofer und Tobias Kiendl<br />
Regieassistenz: Ellen Versteegen<br />
Regie: Susanne Krings<br />
Redaktion: Thomas Nachtigal<br />
Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks 2011.<br />
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