Broschüre Teil 2 herunterladen - Geschichtswerkstatt Europa
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34<br />
AUF DEM WEG NACH TJUS<br />
<br />
Woran haben wohl die<br />
Deportierten gedacht,<br />
die diesen Weg in den<br />
30 er Jahren gehen<br />
mussten?<br />
Der Terror in der Sowjetunion fand<br />
an ganz konkreten Orten statt. Auch die<br />
Zwangsumsiedlungen, welcher Art auch<br />
immer, wurden auf eine ganz konkrete<br />
Weise durchgeführt. In Polen sind Namen<br />
wie Katyn, Workuta, Magadan oder<br />
auch einfach Kasachstan und Sibirien<br />
im Allgemeinen bekannt. Daher wollten<br />
wir uns während unserer Feldforschung<br />
in Russland auch jenen Schauplätzen<br />
des terroristischen Systems in der Sowjetunion<br />
widmen, die dem breiten<br />
Publikum in Polen unbekannt sind. Wir<br />
erfuhren beispielsweise von einem Erschießungsplatz<br />
am so genannten 12.<br />
Kilometer in der Nähe von Jekaterinburg<br />
(zwischen 1924-1991 Swerdlowsk),<br />
an dem in den 30er Jahren Tausende<br />
Menschen erschossen worden sind.<br />
Außerdem schauten wir uns ehemalige<br />
NKWD-Gefängnisse in Perm an, die<br />
noch in der Zarenzeit als Aufenthaltsorte<br />
für Verbannte, die auf dem Weg nach<br />
Sibirien waren, entstanden sind. Eines<br />
davon fungiert selbst nach 130 Jahren<br />
seines Bestehens noch bis heute als<br />
Strafvollzugsanstalt. Auch der Besuch<br />
eines ehemaligen Gulag-Lagers, in dem<br />
heutzutage das Museum für politische<br />
Repressionen «Perm-36» untergebracht<br />
ist, stand mit auf unserem Programm.<br />
Unser Ziel war es, uns den Erfahrungen der<br />
Betroffenen zu nähern. Zugleich konnten<br />
wir uns z.B. nicht leisten, einige Wochen<br />
lang in einem Viehwaggon zu sitzen. Nun<br />
waren wir unterwegs zu einer ehemaligen<br />
Sondersiedlung.<br />
Durch die engmaschige Vernetzung<br />
verschiedener Verkehrswege im heutigen<br />
Zeitalter der Globalisierung gelangt<br />
man relativ schnell ans Ziel. Manche<br />
behaupten, dass der Raum aus diesem<br />
Grund verschwunden sei. Manchmal ist<br />
das Erreichen des Reisezieles sogar zu<br />
<br />
nicht immer mental vorbereitet ist. Wir<br />
hingegen nahmen uns die Zeit und gingen<br />
vom Dorf Zawoschik zu Fuß zur Siedlung.<br />
Bereits der erste Blick auf die Karte der<br />
Region verdeutlichte mir, dass wir es<br />
mit einem abgelegenen Ort mitten im<br />
Wald zu tun hatten, zu dem es nur einen<br />
einzigen Zufahrtsweg gab. Obwohl zu<br />
Beginn ein breiter Weg - der wohl nicht<br />
für die Bewohner des Ortes, sondern in<br />
erster Linie aus wirtschaftlichen Gründen<br />
angelegt worden ist, dorthin führte, wurde<br />
mir sehr bald bewusst, dass wir ans Ende<br />
der Welt gingen. Der Wald ist in dieser<br />
Gegend ein sehr großer Reichtum. An<br />
einem Schild, das uns darüber informierte,<br />
dass wir uns am Rande eines Jagdreviers<br />
befanden, bogen wir auf einen schmaleren<br />
Weg Richtung Tjus ein. Für diejenigen, die<br />
hierher deportiert wurden, war der Wald<br />
jedoch auch ein großer Fluch. Unterernährt<br />
mussten sie die Arbeitsnorm erfüllen und<br />
eine bestimmte Anzahl an Bäumen fällen.<br />
Tjus war einst eine Sondersiedlung. Das<br />
heißt, dass die Menschen, die dort gegen<br />
ihren Willen hingebracht wurden, sich<br />
dort ansiedeln und arbeiten mussten. Ohne