Broschüre Teil 2 herunterladen - Geschichtswerkstatt Europa
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26<br />
MEMORIAL IN PERM<br />
Der Einband vom sog.<br />
”Buch der Erinnerung:<br />
Jahre des Terrors.“<br />
zeugen könnte.<br />
Im Laufe unserer Feldforschungen habe ich<br />
mich gefragt, ob der „Kurs“ von Memorial<br />
der gleiche war wie der von Sybiracy.<br />
<br />
beiden Ländern unterschiedliches Vokabular<br />
<br />
von “Deportationen“ die Rede. Nach dem<br />
Studium mehrerer Schicksale sowjetischer<br />
Staatsbürger musste ich feststellen, dass sie<br />
in ihrem Lebenslauf jedoch auch immer<br />
eine Art Zwangsreise zu absolvieren<br />
hatten. Und trotzdem wurde in Russland<br />
eher von “Repressionen“ gesprochen. Es<br />
wurde mir bewusst, dass der Wortschatz<br />
wahrscheinlich Ausdruck des Unterschieds<br />
war. Zwangsmigration war bei beiden<br />
Gruppen lediglich ein <strong>Teil</strong> der Erfahrung<br />
mit dem Terror. Selbst durch ihren Namen<br />
betonen Sybiracy einen räumlichen Aspekt –<br />
Sibirien, der bei den russischen Repressierten<br />
in ihrer Selbstbezeichnung fehlte. Man muss<br />
wissen, dass eine solche Perspektive der<br />
Darstellung völlig natürlich ist. Im Falle der<br />
polnischen Betroffenen handelte es sich um<br />
einen fremden Staat, der diese Menschen<br />
unter Zwang ausgesiedelt hat. Die von uns<br />
in Perm angetroffenen Personen wurden<br />
hingegen vom eigenen Staat unterdrückt.<br />
Die Wahrnehmung der Repressionen ist<br />
<br />
Die Polen, die auf ihrem Staatsterritorium<br />
lebten, bekamen die Sowjetmacht erst ab<br />
1939 zu spüren. Die Deportationen setzten<br />
erst ab 1940 ein. Die Bevölkerung der<br />
Sowjetunion war somit länger - praktisch<br />
seit dem Zeitpunkt der bolschewistischen<br />
Machtergreifung - verschiedenen Repressalien<br />
ausgesetzt. Außerdem durften die von uns<br />
befragten Polen die Orte verlassen, zu denen<br />
sie in der damaligen Zeit deportiert wurden.<br />
Die russischen Betroffenen waren hingegen<br />
<br />
denen sie unter Zwang gebracht worden sind.<br />
So können die Sybiracy heutzutage an ihre<br />
Leidensorte mit einem gewissen räumlichen<br />
Abstand zurückdenken. Memorial und<br />
Sybiracy sind damit Träger unterschiedlicher<br />
Perspektiven (in Bezug auf einigermaßen<br />
ähnliche Erfahrungen). Dieser Unterschied<br />
<br />
führen. Die polnischen und die russischen<br />
Opfer wetteifern in keinster Weise darum, wer<br />
schwerer betroffen worden ist. Letztendlich ist<br />
es der räumliche Abstand und die sprachliche<br />
Grenze, die dazu führen, dass die Perspektiven<br />
in Polen und in Russland parallel nebeneinander<br />
existieren. Es handelt sich eher um das<br />
Ausblenden der jeweils anderen Perspektive.<br />
Naturgemäß wird in Polen an erster Stelle die<br />
Leidensgeschichte der eigenen Bevölkerung<br />
dargestellt. In Russland ist sie dagegen nur<br />
ein sehr kleines Kapitel der Geschichte der<br />
Repressionen. Nach unserer Russlandreise<br />
und dem Betreten der Büroräume von<br />
Memorial in Perm sowie der Räumlichkeiten<br />
<br />
Vermutungen nochmals bestätigt worden.<br />
<br />
Menschen verschiedener Weltanschauung,<br />
Ausbildung, Lebenserfahrung sowie zwischen<br />
Menschen unterschiedlicher Generationen.<br />
Aus diesem Grund habe ich bei den<br />
Betroffenen keinen polnisch-russischen<br />
“Krieg der Erinnerungen“ feststellen können.