Broschüre Teil 2 herunterladen - Geschichtswerkstatt Europa
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28<br />
BUND DER SIBIRIENVERSCHLEPPTEN<br />
Gespräch mit<br />
<br />
Vorsitzenden des Bunds<br />
für Sibirienverschleppte<br />
<br />
ehemalige Deportierte teilnehmen. Die<br />
<br />
September statt, dem Tag, an dem die<br />
Sowjetunion 1939 Polen überfallen hat. Sie<br />
ist nicht nur für die ehemaligen Deportierten<br />
von großer Bedeutung. Im Laufe der Zeit<br />
ist sie auch <strong>Teil</strong> der lokalen Tradition und<br />
Stadtkultur geworden. Gleichzeitig gibt<br />
diese Veranstaltung immer wieder Anlass<br />
dazu, der Deportationen und Repressionen<br />
<br />
fragten, in welchem Ausmaß der Bund<br />
von der lokalen Bevölkerung akzeptiert<br />
wird, antwortete dieser, dass man zwar<br />
immer versuche, auf das Anliegen der<br />
Sibirienverschleppten aufmerksam zu<br />
machen, aber gleichzeitig aber auch oberstes<br />
Ziel ist, bescheiden zu bleiben und sich<br />
nicht in den Vordergrund zu drängen. Das<br />
hat zu großem Erfolg geführt. Heute sei<br />
es undenkbar, dass eine Veranstaltung in<br />
Gedenken an den Zweiten Weltkrieg ohne<br />
<br />
wäre es allerdings wiederum unmöglich, sich<br />
eine Siegesparade am 9. Mai vorzustellen,<br />
bei der ehemalige von Repressionen<br />
betroffene Menschen mit einer ”Memorial“-<br />
Fahne über den Roten Platz ziehen würden.<br />
Denn am Tag des Sieges soll an keine<br />
Tragödie erinnert werden. Ausserdem würde<br />
die öffentliche Auseinandersetzung mit dem<br />
Thema der stalinistischen Repressionen den<br />
Großteil der russländischen Bevölkerung<br />
schockieren. In Polen allerdings ist das<br />
anders. Niemand hegt daran Zweifel, dass<br />
unter Stalin Verbrechen ausgeübt wurden,<br />
die das sowjetische Regime zu verantworten<br />
hat. In Russland ist diese Tatsache bisher<br />
<br />
Die Veranstaltungen des Bunds sind<br />
<br />
Bestandteil des städtischen Lebens. So<br />
werden die sie sogar von der Ehrengarde<br />
des Schlesischen Militärbezirks begleitet.<br />
Zu besonders feierlichen Anlässen spielt<br />
auch das dazugehörige Orchester mit<br />
auf. In besonderer Weise wird auch<br />
historische Aufklärung geleistet. Für Jugendliche<br />
werden unter anderem Geschichtswettbewerbe<br />
veranstaltet und<br />
Lehrveranstaltungen über stalinistische Repressionen<br />
konzipiert. Diese Aufgabe wurde<br />
dem Bund quasi von staatlicher Seite in die<br />
Hand gelegt.<br />
Auch in Perm und in anderen russischen<br />
Städten übernehmen NGOs diese Aufgabe.<br />
Allerdings ist es kaum vorstellbar, dass der<br />
Lehrstoff mit jener Art von Hilfsmitteln<br />
nähergebracht wird – nämlich in Form<br />
von Comiczeichnungen! Wir konnten<br />
unseren Augen kaum trauen: In den Heften<br />
wird in bunten Bildern die Verhaftung<br />
von Familienmitgliedern durch den KGB<br />
dargestellt, der Ablauf der Deportationen<br />
veranschaulicht sowie andere ähnliche<br />
Themen aufgearbeitet. Diese für uns<br />
ungewohnte Vermischung tragischer<br />
<br />
man eher aus der Darstellung fröhlicher<br />
Momente gewohnt ist, hat uns ebenso<br />
wie die mutige und radikale Einfachheit<br />
der Interpretation, mit welcher die Fakten<br />
einer der vielschichtigsten Periode der<br />
sowjetischen Geschichte dargestellt<br />
wurden, schockiert. Den Kindern wurde<br />
mit ungeahnter Leichtigkeit vermittelt,<br />
was ein Mitarbeiter des NKWD gewesen<br />
ist. Diesem wurden unschuldige, ”gute“<br />
Menschen gegenübergestellt, welche die<br />
Qualen, der Deportationen zu erleiden<br />
hatten. Dieser Ansatz birgt allerdings die<br />
Gefahr Stereotype zu verfestigen und zu<br />
einfache Antworten auf komplexe Fragen zu<br />
geben. Eine Vereinfachung kann zu einem<br />
”Krieg der Erinnerungen“ führen. Trotz<br />
des Risikos wurde dieser Ansatz von der<br />
polnischen Bevölkerung für gut geheißen,<br />
was wiederum ein Indiz dafür ist, wie loyal<br />
die Bevölkerung der Tätigkeit dem Bund<br />
gegenüber ist. Die polnische Organisation<br />
<br />
Probleme. Beispielsweise erhält sie keine<br />
beständigen Zuwendungen von staatlicher<br />
Seite, so dass sie nur auf materieller<br />
Grundlage der Mitgliedsbeiträge arbeiten<br />
kann. Auch wenn unser Gesprächspartner<br />
<br />
sich bemüht, auch Jugendliche in die<br />
Vereinsarbeit einzubeziehen, haben wir<br />
während unseres Besuchs dennoch keinerlei<br />
jungen Menschen sehen können. Diese<br />
und andere Probleme sind denen russischer<br />
NGOs ähnlich. Es bleibt nur die Hoffnung,<br />
dass die historisch-aufklärerischen Organisationen<br />
beider Länder in Zukunft<br />
versuchen werden, noch stärker zusammenzuarbeiten,<br />
den internationalen<br />
Dialog zu suchen und mit vereinten Kräften<br />
jene Voraussetzungen zu schaffen, die für<br />
eine intensive Auseinandersetzung mit dem<br />
tragischen Erbe der totalitären Vergangenheit<br />
notwendig sind.